Datenschutz und berufliche Schweigepflicht sind in Pflege und Medizin ein besonders hohes Gut. Ein Verstoß kann mit einer bis zu einjährigen Freiheitsstrafe geahndet werden. Das sogenannte „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ des Patienten muss gewahrt werden. Speicherung, Verarbeitung, Nutzung und Weitergabe personenbezogener Gesundheitsdaten sind in der Regel nur zulässig, wenn diese für die Behandlung vonnöten sind.
Kliniken suchen per Fax Heimplätze für Patienten
Aber so klar, wie es bisweilen scheint, ist die Sache offenbar doch nicht. Das zeigt ein Beispiel aus dem Entlassmanagement einer großen Klinik, über das die Pflegedienstleitung (PDL) einer stationären Einrichtung in Norddeutschland berichtet. Danach erhält ihr Heim vom nahegelegenen Krankenhaus regelmäßig ungefragt fast komplette Patientenakten per Fax geschickt - mit der Bitte zu prüfen, ob es für den Patienten einen Heimplatz gebe. „Das sind oft drei bis vier Anfragen pro Tag. Ich vermute, dass wir nicht die einzigen sind, die diese Faxe bekommen, sondern dass sie an 20 bis 30 Heime gleichzeitig verschickt werden“, sagt die PDL. „Sie enthalten Namen, Adressen, Kontaktdaten, Diagnosen und Pflegestatus.“
Und alles ohne Zustimmung der Patienten?
Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:
Die PDL fragt sich, ob diese Vorgehensweise – das Versenden kompletter Patientenakten ohne vorherige telefonische Kontaktaufnahme mit dem Heim – mit dem Datenschutz konform gehe: „Dürfen derart persönliche Daten einfach so weitergegeben werden? Ist das wirklich gewollt, dass die Daten an ‚Hans und Franz‘ geschickt werden? Ich finde es immer etwas verstörend, wenn ich ein Leben in dieser Ausführlichkeit vor mir ausgebreitet sehe. Früher wurde vorher miteinander telefoniert, das fällt heute weg.“ Und noch etwas irritiert die PDL: Auf den Bögen sei keine Zustimmung der Patienten erkenntlich.
Kliniken unter wirtschaftlichem Druck
Der Hintergrund ist klar: Plätze im Pflegeheim, vor allem in der Kurzzeitpflege, sind extrem rar, gerade in den großen Städten. Das ist ein Problem für die Kliniken: Sie stehen unter Druck, möglichst schnell für ihre Patienten eine Anschlussbehandlung zu finden. Denn längere Liegezeiten als nötig sind für sie unwirtschaftlich. Die Frage ist nur: Darf sie Datenbögen aus Akten an mehrere Heime gleichzeitig schicken, ohne vorherige Absprache - sprich: ohne persönliches Telefonat mit der Heimleitung? Darf die Klinik das, selbst wenn eine allgemeine Einwilligung des Patienten vorliegt?
Krankenhausgesellschaft (DKG): Ja, Kliniken dürfen das!
Eine „allgemeinverbindliche Antwort“ könne sie nicht geben, schreibt Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburger Krankenhausgesellschaft auf Anfrage. Eine erforderliche Datenweitergabe an Dritte werde vom Krankhaus „in der Regel im Rahmen der Behandlungsverträge und Datenschutzerklärungen mit den Patienten geregelt“.
DKG: Schauen Sie in den Rahmenvertrag Entlassmanagement
Klarer positioniert sich die Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), deren Sprecher unmissverständlich betont: Ja, die Klinik darf das. Und zwar dann, wenn sie sich vorher die „Einwilligung des Patienten" nach Anlage 1b „Rahmenvertrag Entlassmanagement von Krankenhäusern nach § 39 Abs. 1 a SGB V“ besorgt habe. Der Patient beziehungsweise sein bevollmächtigter Angehöriger willigt dann ein, „dass das o.g. Krankenhaus für mich ein Entlassmanagement durchführt. Dabei geht es im Wesentlichen darum, für mich eine lückenlose Anschlussbehandlung nach meinem Krankenhausaufenthalt zu gewährleisten. Zu diesem Zweck darf das Krankenhaus die erforderlichen Daten erheben, verarbeiten und nutzen. Dazu gehört unter anderem die Weitergabe der erforderlichen Daten an meinen weiterbehandelnden Arzt und zum Beispiel an Reha-Einrichtungen, Pflegedienste und Physiotherapeuten.“
Kliniken müssen Patienten die Heime konkret nennen
Ganz so eindeutig wie die DKG sieht Rechtsanwalt Dominik Neumaier von der kwm – Kanzlei für Wirtschaft und Medizin in Berlin die Sachlage allerdings nicht. Er betont, dass die Klinik sich zwar nach Artikel 9 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) die Einwilligung des Patienten bereits bei der Aufnahme einholen könne: allerdings nur in der Form, „die aufgezählten Daten an die dort benannten konkreten Pflegeheime weitergeben zu dürfen“. Der Patient muss also vorab wissen, an wen genau seine Daten verschickt werden. Die entsprechenden Einrichtungen müssen schon in der Einwilligung namentlich benannt werden. Grundsätzlich, so warnt er, sei die Einwilligung jedoch immer „die schwächste Form der Rechtsgrundlage, da sie jederzeit widerrufen werden kann“.
Es sollten nur relevante Daten geschickt werden
Neumaier weist aber noch auf eine andere Rechtsgrundlage im Rahmen der DSGVO hin: die „Verarbeitung für Zwecke zur Gesundheitsvorsorge“ beziehungsweise „die Versorgung oder Behandlung im Gesundheitsbereich“. Entscheidend sei danach, welche Datenweitergabe „erforderlich“ sei. Sprich: Überflüssige Daten weiterzureichen, ist in jedem Fall zu vermeiden! Neumaier: „Wegen des Grundsatzes der Datenvermeidung müsste man insoweit wohl sagen, dass nur die Daten weitergegeben werden dürften, welche für die Prüfung des Vorliegens eines Heimplatzes unbedingt notwendig sind. Werden zu viele beziehungsweise irrelevante Daten weitergegeben, dürfte dies mit dem Datenschutzrecht der DSGVO nicht im Einklang stehen – es sei denn, es liegt eine entsprechend wirksame Einwilligung vor.“
Bei Asklepios werden Daten nur noch anonymisiert versandt
Bei den Asklepios Kliniken ist man gerade dabei, das gesamte, bereits in eine Tochtergesellschaft ausgelagerte Entlassmanagement umzustellen auf eine betriebseigene Software, in der Patientendaten nur noch anonymisiert auftauchen. „Unsere Software ist befreit von allen persönlichen Daten“, versichert Sprecher Matthias Eberenz. Die Anfragen der Kliniken an die Heime würden nur noch per E-Mail gestellt, nicht per Fax. Sie seien dann grundsätzlich anonym gehalten. Anderes würde die Maske im System gar nicht zulassen. „Erst wenn ein Heim konkret einen Platz anbietet, schicken wir die persönlichen Daten rüber.“ Der Prozess läuft unter „datenschutzkonforme Vermittlung der Anschlussversorgung“, die sich Asklepios auf die Fahnen geschrieben hat.
Ohne Griff zum Telefonhörer geht's meistens nicht
Wer als Klinik noch nicht so weit ist, wird am rechtzeitigen Griff zum Telefonhörer aber nicht vorbeikommen. Der WDR berichtete in der Sendung „Westpol“, dass 5.500 Heimplätze in Nordrhein-Westfalen binnen eines halben Jahres weggefallen seien durch Inkrafttreten der neuen Einzelzimmer-Quote. Die ohnehin langen Wartelisten seien dadurch noch einmal länger geworden. Die Zuschauer sahen, wie Krankenschwester Kathrin Goldenhaus vom Maria-Hilf-Krankenhaus in Krefeld täglich „oft stundenlang“ über 20 Heime abtelefoniert. Das ist mühsam. Aber datenschutzrechtlich ist sie damit in jeden Fall auf der sicheren Seite.
Autorin: Birgitta vom Lehn