Als die Auszubildende Mara Gustav* aus dem Krankenhaus zu einem Einsatz in eine MS-Wohngruppe in Berlin-Kreuzberg wechselte, hieß es, sie sollte in privater Kleidung kommen. Sie war ratlos: Was tragen? Wo umziehen? Zu Hause oder vor Ort? Und: Wie oft waschen?
Wer aus dem Krankenhaus kommt, kann sich gar nichts anderes vorstellen, als offizielle Dienstkleidung zu tragen. Doch dort wo Pflegekräfte „im zu Hause“ der Bewohner oder Patienten arbeiten, soll so wenig wie möglich daran erinnern, dass man sich unter dem Dach einer Institution befindet. Hier empfinden sowohl Fachkräfte als auch Bewohner oder Patienten die offizielle Dienstkleidung häufig als zu streng und distanziert. Sie sehen in der privaten Kleidung die Möglichkeit, ein vertrauteres Verhältnis zueinander aufzubauen. Doch seit einigen Jahren kehren viele Einrichtungen wieder zu einheitlicher Dienstkleidung zurück. Das hat mehrere Gründe.
1. Mehr Klarheit für Patienten und Bewohner
Ein Argument ist die bessere Identifizierung. „Einheitliche Berufskleidung ermöglicht ein homogenes Erscheinungsbild und somit einen hohen Erkennungsgrad. Es wird deutlich, wer Mitarbeitender ist und welcher Berufsgruppe der- oder diejenige angehört“, so Ansgar Köhler, Bereichsleiter „VivanTex“ bei Vivantes. Das kommunale Klinik-Unternehmen betreibt auch 22 Pflegeheime in Berlin.
Dort tragen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einheitliche Dienstkleidung, die sich allerdings – je nach Berufsgruppe – in der Farbe unterscheidet. Die examinierten Pflegekräfte kleiden sich rot, die Auszubildenden und die Stationsassistenzen blau und die Kollegen in der Hauswirtschaft schwarz-weiß. So seien für die Bewohner alle Angestellten gut zu identifizieren und einzuordnen. „Die rote Farbe ist besonders kontrastreich und somit für unsere Bewohner sehr gut zu erkennen“, erklärt Ansgar Köhler. „Viele haben nämlich eine eingeschränkte Sehleistung.“
Der Arbeitgeber muss jetzt die Dienstkleidung waschen. Das hat der Verwaltungsgerichtshof in Baden-Württemberg voriges Jahr beschlossen.
2. Wie ein Fußballteam
Birger Schlürmann, Buchautor bei der Schlüterschen und erfahrener Berater von Pflegediensten, erhofft sich bei professioneller Dienstkleidung außerdem ein besseres Teamgefühl unter den Pflegekräften: „Als Fußball-Fan sage ich scherzhaft, das ist das Trikot des Klubs, für den ich spiele.“
3. Zuverlässigere Hygiene
Nicht zu vernachlässigen ist auch der hygienische Aspekt. In der Pflege bleibt es nicht aus, dass die Kleidung auch mal mit Urin, Kot, Blut oder Erbrochenem in Berührung kommt. Zwar soll in der Regel eine Einmalschürze dagegen schützen. In der Praxis gelingt das aber häufig nicht. Entweder ist keine Zeit, die Schürze anzulegen oder es gelangen trotzdem Körperflüssigkeiten neben oder unter den abgedeckten Bereich. Eine Reinigung mit hoher Temperatur ist dann nötig, um alle Verunreinigungen zuverlässig zu beseitigen.
Auch andersherum können Probleme entstehen. Nämlich dann, wenn die Kleidung, die eine Pflegekraft bei der Arbeit trägt, im Privatleben verunreinigt wurde. Dabei kann es sich beispielsweise auch um Tierhaare oder Blütenpollen handeln, die später im engen Kontakt mit Bewohnern zu Allergien führen könnten.
Damit eine hygienische Reinigung garantiert ist, hat der Gesetzgeber voriges Jahr beschlossen, dass die im Dienst getragenen Textilien vom Arbeitgeber zu waschen sind. Sie dürfen nicht mehr zu Hause in die Waschmaschine gesteckt werden. Das ist im Grunde das Aus für die private Dienstkleidung, denn die Organisation ist für den Arbeitgeber schwierig, wenn die einzelnen Teile wieder der richtigen Person zugeordnet werden müssen.
4. Klare Trennung zwischen Arbeit und Privatleben
Zu guter Letzt kann es gerade im stressigen Pflegedienst ein klares inneres Zeichen der Abgrenzung sein, die Dienstkleidung am Ende der Schicht auszuziehen. Man legt sozusagen zugleich die Rolle der Pflegefachkraft ab und damit symbolisch die Sorgen und den Stress des Jobs. Genauso wie man zu Arbeitsbeginn zusammen mit der Dienstkleidung den Fokus wieder auf den Job legt.
Was gegen offizielle Dienstkleidung spricht
Bei allen Argumenten für eine einheitliche Dienstkleidung, empfinden Skeptiker es trotzdem als sinnvoller, wenn Pflegekräfte weiterhin ihre individuellen Klamotten tragen dürfen. Das Hauptargument: Für die Bewohner ist das Heim oder die Wohngruppe das (vielleicht sogar letzte) Zuhause. Und wer möchte in seinem privaten Umfeld schon gerne jemanden in erkennbarer Arbeitskleidung herumlaufen haben? Heim- und WG-Bewohner sollen sich wie zu Hause fühlen und in einer familiären Atmosphäre leben.
Kritiker widersprechen diesem Gedanken. So auch Birger Schlürmann: „Ich finde eine gewisse Abgrenzung dank Dienstkleidung schon besser. Heim bleibt Heim, egal, welchen Anstrich man dem Ganzen gibt. Dasselbe gilt für WGs oder den ambulanten Pflegedienst. Schließlich geht es hier um eine Dienstleistung, bei der Grund- und Behandlungspflege erbracht wird.“
Vor allem älteren Patienten flößt Dienstkleidung jedoch unter Umständen übermäßigen Respekt und Angst ein. Sie können dann schwerer ein Vertrauensverhältnis zu den Pflegekräften aufbauen. Auch in Kinder- und Jugendeinrichtungen oder Heimen für behinderte Menschen fühlt sich für viele Pflegekräfte das Tragen einer Dienstkleidung befremdlich an. Für Demenzerkrankte sind sie zwar mit einheitlicher Kleidung leichter als Pflegepersonal zu identifizieren. Andererseits tritt dadurch natürlich die Persönlichkeit jedes Einzelnen mehr in den Hintergrund. Eine bestimmte Pflegekraft zu erkennen, kann dadurch erschwert sein.
Bitte passgenauere Dienstkleidung!
Dienstkleidung passt wahrscheinlich nie ganz so gut wie private Kleidung. Da kann es schonmal hier und da zwicken oder rutschen, was auf Dauer natürlich störend sein kann. Damit hat auch Birger Schlürmann schon seine Erfahrungen: „Ich erinnere mich an meine Zeit im Altenheim: Entweder passten mir die Hosen um die Hüften, dafür waren sie Hochwasser, oder besser Sturmflut. Die passenden Längen hingegen hatten Sackformat und ließen sich oben herum nur mit Spanngurten halten.“ An diesen Aspekt sollten Hersteller von Dienstkleidung und Arbeitgeber denken und künftig ausreichend unterschiedliche Größen zur Verfügung stellen.
Melanie Thalheim
*Name von der Redaktion geändert