Foto: Gunnar Göpel

Personalbemessung

Neues PPR 2.0: Künftig immer zu Zweit im Nachtdienst

Das ist nur eine der vielen Neuerungen im Personalbessungsinstrument, auf das sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), der Deutsche Pflegerat (DPR) und Verdi geeinigt haben

Das neue Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstrument PPR 2.0 könnte schon 2021 umgesetzt werden. Minister Jens Spahn will den Vorschlag nun prüfen.

DKG hält Beginn 2021 für realistisch

Die Akteure der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) haben DKG, DPR und Verdi beauftragt, ein Instrument zur Bemessung des Personalbedarfs im Krankenhaus zu erarbeiten. Jetzt haben die drei Projektpartner dem Bundesgesundheitsministerium ihren Vorschlag vorgestellt. „Wir haben gestern dem Minister gesagt, dass wir, als Krankenhäuser, uns in der Lage sehen, zum 1. Januar 2021 zu beginnen und die PPR 2.0 umzusetzen“, so Dr. Gerald Gaß (Foto oben), Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), am 14. Januar (2020) in Berlin. „Der Bundesgesundheitsminister hat die Prüfung des Instruments signalisiert. Weitergehende Zusagen gibt es noch nicht. Die Projektpartner bleiben dran, das Instrument auf den Weg zu bringen.“

PPR 2.0 soll Übergangslösung sein

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Die aktualisierte Pflegepersonalregelung (PPR 2.0) soll als Interimsinstrument zur Ermittlung des Pflegepersonalbedarfs für die unmittelbare Patientenversorgung auf allen bettenführenden somatischen Stationen für Erwachsene im gesamten Krankenhaus dienen. Sie basiert auf der Pflege-Personalregelung (PPR), die stammt von 1992 und wird heutzutage immer noch von vielen Krankenhäusern angewendet.

So funktioniert die PPR 2.0 (siehe auch Downloads ganz unten)

Im Fokus haben jetzt die Aktualisierung der Grund- und Fallwerte sowie die fachlich-inhaltliche Bewertung der Leistungsinhalte der allgemeinen und speziellen Pflege (A- und S-Bereich) gestanden. Vorgesehen ist laut Konzept eine tägliche Einstufung der Patienten in 4 Leistungsstufen der allgemeinen Pflege (A1 Grundleistungen bis A4 hochaufwändige Leistungen) sowie in 4 Leistungsstufen der speziellen Pflege (S1 bis S4) erfolgen. Jeder A- und S-Leistungsstufe sind entsprechende Minutenwerte zugeordnet. Zudem gibt es für jeden Patienten einen Grundwert pro Tag und einen einheitlichen Fallwert.

PKMS geht in PPR 2.0 auf

Auch wurden die Leistungsinhalte der allgemeinen und speziellen Pflege fachlich-inhaltlich bewertet. Den Pflegekomplexmaßnahmen-Score (PKMS) haben DKG, DPR und Verdi in PPR 2.0 überführt. Die momentanen Pflegepersonaluntergrenzen sollen ebenfalls wegfallen.

Nachts mindestens zwei Pflegekräfte pro Station

Unter den Partnern sei ein Ausfallkonzept (zum Beispiel ein Pool) für jedes Krankenhaus vereinbart worden, damit die Regelungsbesetzung eingehalten werde, so Sylvia Bühler (Foto oben), Mitglied im Verdi-Bundesvorstand. Nachts sollen künftig mindestens zwei Pflegekräfte (davon eine Examinierte) pro Station arbeiten.

Positiver Testlauf mit 44 Krankenhäusern

In einem Testlauf mit 44 Krankenhäusern im November soll sich gezeigt haben, dass das PPR 2.0 gut anwendbar ist und die Zeitwerte und Einstufungskriterien plausibel erscheinen. Der Abschlussbericht soll bald vorliegen.

Pflegepräsident Wagner: Langfristig ist eine komplexere Lösung nötig

„Das PPR 2.0 sollte in den ersten beiden Jahren nach der Einführung wissenschaftlich begleitet, evaluiert und falls nötig angepasst werden“, so Franz Wagner (Foto oben), Präsident des Deutschen Pflegerats (DPR). „Wir haben etwas angeboten, dass kurzfristig umgesetzt werden kann. Die PPR 2.0 ist in sich fertig. Das ist nicht die Lösung für die nächsten 20, 30 Jahre, aber unter den Vorgaben Machbarkeit und kurzfristige Umsetzbarkeit eine kurzfristige Lösung. Wenn wir in die Zukunft gucken, dann brauchen wir eine komplexere Entwicklung für welche wir mit dem kurzen Zeitrahmen des KAP-Auftrages keine Zeit hatten. In der Langzeitpflege hat die komplexere Entwicklung vier Jahre gedauert. Wenn wir aber jetzt nicht anfangen, dann haben wir keine Pflege mehr.“

Bis zu 80.000 Pflegekräfte zusätzlich nötig

„Wir sind überzeugt, dass mit der Einführung der PPR 2.0 der Teufelskreis aus Fachkräftemangel und schlechten Arbeitsbedingungen durchbrochen wird“, so Bühler. Es müsse eine Übergangsregelung und einen Stufenplan zur Besetzung der offenen Stellen geben, so die Gewerkschafterin. 40.000 bis 80.000 Pflegekräfte werden zur Umsetzung der PPR 2.0 zusätzlich gebraucht. „Das wird nur gehen, wenn wir mehr junge Menschen nach der Schule für eine Ausbildung in der Pflege gewinnen. Zudem müssten Pflegekräfte zurückgewonnen werden oder Teilzeit in Vollzeit umgewandelt werden“, so Gaß. Wagner ergänzt: „Zehntausende Pflegefachpersonen üben ihren Beruf derzeit nicht mehr aus.“ Denen müsse ein Versprechen mit glaubwürdigen Aussichten gegeben werden. Gaß betonte zudem, dass es für Krankenhäuser keinen Anreiz mehr gebe an Pflege zu sparen, wenn doch jetzt jede zusätzliche Pflegekraft finanziert werde. Kliniken würden versuchen, neue Pflegekräfte einzustellen.

Statements der Parteien, Pflegeverbände und Kammern - LINKE: Schnell zum Gesetz machen

„Heute ist ein guter Tag für die Pflege im Krankenhaus. Endlich gibt es einen vernünftigen Vorschlag für eine bedarfsgerechte Personalbemessung. Daraus muss jetzt schnell ein Gesetz werden“, so Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. „Es ist bemerkenswert, dass sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft und Verdi auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen konnten. Hintergrund ist die große Unzufriedenheit mit der jetzigen kümmerlichen Regelung. Die Personaluntergrenzen sind gescheitert, sie müssen dringend ersetzt werden. […] Der Gesundheitsminister betont immer wieder, dass er die Arbeitsbedingungen und die Versorgung in den Krankenhäusern verbessern will. Mit dem neuen Instrument kann er seinen Worten Taten folgen lassen, um echte Entlastung zu schaffen. Aber dafür wird es weiter den Druck der Beschäftigten brauchen.“

Deutscher Evangelischen Krankenhausverband (DEKV): Richtige Richtung!

„Mit der PPR 2.0 steht nun eine grundlegend überarbeitete und modernisierte Fassung der seit langem bekannten und genutzten Pflegepersonalregelung (PPR) zur Verfügung. […] Wir begrüßen diese Interimslösung ausdrücklich. Besonders freut uns, dass mit der Einbindung des Pflegekomplexmaßnahmen-Scores (PKMS) und des Barthel-Index auch besonders vulnerable Patientengruppen wie kognitiv oder motorisch eingeschränkte Menschen bei der Bestimmung des Pflegebedarfs berücksichtigt werden. Mit dem neuen Pflegepersonalbemessungsinstrument werden die Weichen in die richtige Richtung gestellt, um Patienten qualifiziert zu versorgen und ihnen die benötigte Zuwendung entgegenzubringen, die den Heilungsprozess unterstützt. Zugleich werden die Arbeitsbedingungen für unsere Mitarbeitenden in der Pflege verbessert. Dadurch können Pflegefachkräfte, die aus dem Beruf ausgeschieden sind, zur Rückkehr motiviert werden. Das trägt ebenso zu einer Verminderung des Fachkräftemangels bei wie ein Wegfall der Pflegepersonaluntergrenzen durch die Einführung der PPR 2.0“, so Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV).

„In der Natur einer Interimslösung liegt es, dass sie zu einer endgültigen Version weiterentwickelt werden muss. Das ist auch bei der PPR 2.0 der Fall und wir freuen uns darauf, die Expertise des DEKV in diesen Prozess einzubringen. Dabei gehen wir davon aus, dass ein zukünftiges Pflegepersonalbemessungsinstrument Lösungen für die Nachtschicht und die Intensivstation umfasst und Zuwendung als ein wesentlicher Faktor zur Unterstützung der Gesundung künftig noch stärker Berücksichtigung findet. Darüber hinaus ist es uns wichtig, die PPR 2.0 weiter auszudifferenzieren, indem auch der Skill-Mix einbezogen wird: Es muss festgelegt werden, welche Qualifikation Pflegekräfte für die jeweilige Aufgabe benötigen: Das Spektrum reicht von der Pflegehilfskraft über die Pflegefachkraft bis zu akademisch ausgebildeten Mitarbeitenden. Erst auf dieser Basis können Krankenhäuser ihren Pflegepersonalbedarf vor dem Hintergrund der beruflichen Vielfalt der Pflege differenziert planen.“

Statement Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe (BLGS): PPR 2.0 auf eine gute Pflege

„Im Gegensatz zu den Pflegepersonaluntergrenzen zielt PPR 2.0 auf eine gute Pflege in allen Krankenhausbereichen ab. Maßstab sind die Bedürfnisse der Patient*innen sowie die Kompetenzen und berechtigten professionellen Ansprüche der Pflegenden. Als Mitgliedsver-band des Deutschen Pflegerats haben wir die Entwicklung unterstützt und plädieren nun nachdrücklich für eine zügige Umsetzung.“, so BLGS-Vorsitzender Carsten Drude.

Statement Pflegekammer Niedersachsen: Untergrenzen müssen bleiben!

Der Vorschlag zur Personalbemessung ersetzt keinesfalls verbindliche Pflegepersonaluntergrenzen, meint die Pflegekammer Niedersachsen: Die Pflegepersonaluntergrenzen legen für verschiedene Bereiche die maximale Anzahl an Patienten fest, die von einer Pflegekraft, unterteilt in Fach- und Hilfskräfte, versorgt werden dürfen. „Wir sind als Pflegekammer strikt dagegen, Pflegepersonaluntergrenzen abzuschaffen! Die derzeitige Ausgestaltung ist in vielen Punkten zu kritisieren. Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zeigt aber, dass es zum Schutz von Leben und Gesundheit der Patientinnen und Patienten und der Pflegefachpersonen unbedingt einer ‚Roten Linie‘ bedarf“, betont Sandra Mehmecke, Präsidentin der Kammer.

Die Pflegepersonaluntergrenzen seien so festgelegt, dass zumindest eine Patientengefährdung auszuschließen ist. Zudem dienen sie dem Schutz der Pflegefachpersonen vor hochgradiger Überlastung. „Auch nach dem Vorschlag von DKG, DPR und Verdi soll die letzte Entscheidung für die Personalbesetzung der Stationen bei der Krankenhausleitung liegen.“

Autor: Gunnar Göpel

Der Artikel erschien zuerst auf sgp insider

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