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Qualitätsmanagement

Neue MDK-Prüfung: Worauf es jetzt ankommt

Pflegeheim-Beraterin Nicole Ott mit Tipps, wie Pflegeheime und Pflegekräfte sich am besten auf die neu gestalteten Vorort-Prüfungen vorbereiten – ein Interview        

Unternehmensberaterin, Dozentin und Fachautorin Nicole Ott ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und Qualitätsmanagerin. Als langjährige Leitungskraft ist sie mit den Abläufen in der Altenpflege sehr vertraut. Sie ist im gesamten Bundesgebiet für Auftraggeber der privaten Wirtschaft und öffentliche Trägerschaften tätig.  Gerade ist ihr Buch „Das neue Qualitätsprüfungsverfahren: So nutzen Sie es beim Aufbau Ihres Qualitätsmanagements“ beim Schlütersche Verlag erschienen.

pflegen-online: Frau Ott, worin bestehen die zentralen Unterschiede nach der MDK-Gesetzesnovelle?

Nicole Ott: Früher hatten wir nur die MDK-Prüfung. Das neue Qualitätsprüfverfahren besteht aus zwei großen Bausteinen. Zum einen ist es die halbjährliche Meldung der Versorgungsergebnisse, zum anderen die neue externe Qualitätsprüfung.

Die halbjährliche Meldung ist die größte Umstellung für die Einrichtungen in der Altenpflege. Sie müssen dafür halbjährlich insgesamt 98 Fragen zu jedem Bewohner beantworten. Diese Zahl erschlägt erst einmal, wenn man eine Einrichtung mit 150 Bewohnern hat. Es relativiert sich aber ein bisschen. Positiv ist, dass dieses Prüfverfahren uns Pflegekräfte zu proaktivem Handeln auffordert. Das ist für mich ein sehr wichtiger Punkt, denn vorher waren wir dem Bereich der Qualitätssicherung gesetzlich verpflichtet. Mit dem neuen System sind wird jetzt auch zur Qualitätsweiterentwicklung verpflichtet. Wir selbst sollen dadurch unsere Qualitätsdefizite erkennen. Gute Einrichtungen haben das in den letzten Jahren wahrscheinlich schon umgesetzt, aber jetzt sind eben alle Einrichtungen gesetzlich verpflichtet, sich mindestens halbjährlich mit bestimmten Kernthematiken ihrer Bewohner auseinander zu setzen.

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Für mich ist das ein Meilenstein im Qualitätsmanagement – als Pflegekräfte nicht mehr nur von außen getrieben, sondern proaktiv Handelnde zu sein und die eigenen Defizite rechtzeitig zu erkennen.

Dieses Konzept lässt auch nicht zu, dass man eine schlechte Pflege durch positive, aber pflegefern Aspekte kaschieren kann?

Nein, das ist jetzt nicht mehr möglich wie beim vorherigen Notensystem. Hier steht ganz klar der Bewohner im Vordergrund, und es wird explizit auf die richtige und fachlich professionelle Pflege geschaut und wie es dem Bewohner damit geht.

Damit kommen jedoch auch andere Anforderungen auf die Pflegekräfte zu?

Genau. Der ganze Prozess ist planbarer, auch In Bezug auf die neue externe Qualitätsprüfung. Neu ist, dass die Regelprüfung am Tag zuvor angekündigt wird. Das hatten wir früher nie – bisher wurden die Mitarbeiter oft in unpassenden Augenblicken überrascht, und man war von jetzt auf gleich gezwungen, den Arbeitsablauf umzuplanen oder sogar Kollegen aus dem Frei zu holen. Jetzt werden die nicht-Anlass bezogenen Prüfungen am Tag zuvor angekündigt, und das Fachgespräch zwischen Prüfer und Pflegekraft ist deutlich aufgewertet.

Die Einrichtung kann besser planen und beispielsweise Fachkräfte einsetzen, die in der professionellen Argumentation fit sind, um sich fachlich besser aufzustellen und ein besseres Bild nach außen zu machen.

Gibt dies nicht Einrichtungen die Möglichkeit, etwaige Missstände zu kaschieren?

Das war früher die Begründung für die unangekündigte Prüfung. Ich bin froh, dass die Fachwelt sich hier durchgesetzt hat. Ich sage ihnen aus meiner Erfahrung – das geht nicht! Die Prüfung wird am Arbeitstag vorher angekündigt, oft auch erst recht spät. Selbst drei Tage vorher können sie eine richtig schlechte Dokumentation oder Real-Pflege nicht mehr ausmerzen.

Ist das neue Verfahren gerechter, auch im Vergleich mit anderen Einrichtungen, auch in Anbetracht der Unterschiedlichkeit, beispielsweise in der Größe?

Ja, ich finde es wesentlich gerechter als das alte System, da alle Einrichtungen nach den selben Kriterien beurteilt werden. Man bekommt jetzt auch zwei Ergebnisdarstellungen. Das alte Notensystem war zwar insbesondere für den Laien einfacher, hat aber auch wenig ausgesagt und mitunter dazu geführt, das schlechte Einrichtungen gute Noten erhalten haben.

Jetzt erhalten die Einrichtungen abschließend zwei DIN A4-Bögen – einmal für die halbjährlichen Ergebnisse und einmal für die Ergebnisdarstellung der Qualitätsprüfung vor Ort. Das ist allerdings auch einer meiner Kritikpunkt: Diese beiden Zettel wird kein Laie verstehen. Aber für die Einrichtungen ist es gerechter, weil alle mit den gleichen Variablen operieren und keine Möglichkeit mehr haben, irgend etwas auszugleichen.

Welche Möglichkeiten haben denn Pflegeheime, dies Laien wie Pflegebedürftigen und Angehörigen verständlich zu machen?

Die Ergebnisse sind für den Laien zu komplex und nicht aussagekräftig genug. Er wird immer noch nach dem ersten Eindruck gehen und sich über das Heim erkundigen – wie ist das Image im Ort, wie ist die Lage und andere Kriterien.

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Finden die Prüfungen eigentlich schon wieder statt? Die halbjährlichen Meldungen sind zwar noch bis zum Jahresende ausgesetzt und starten erst wieder im Januar 2022. Die Prüfungen finden aber wieder statt. Auch die Kollegen beim MDK müssen sich nun erst wieder einarbeiten und sind teilweise auch noch in den alten Denkmustern gefangen.

Haben Sie schon Fehler im neuen System erkannt, gibt es erste Kritikpunkte?

Die Prüfung muss sich erst einmal bewähren. Was in der Fachwelt bereits diskutiert wird, sind die halbjährlichen Meldungen. Viele Einrichtungen haben bereits Probeläufe über die entsprechenden Online-Möglichkeiten gestartet. So werden beispielsweise Fälle von Dekubiti abgefragt, auch mit dem Ort, an denen diese entstanden sind – also zu Hause, im Krankenhaus oder in der Einrichtung. Aber diese Differenzierungen fließen am Ende nicht in die Bewertung mit ein, sondern nur die pure Zahl. Das ist ein Kritikpunkt, den die Kommission, die regelmäßig zur Überarbeitung tagt, schon aufgenommen hat.

Einer meiner persönlichen Kritikpunkte ist der Punkt „freiheitsentziehende Maßnahmen“. Hier wird nicht differenziert nach dem Hintergrund gefragt. Es wird nur eruiert, wie oft Gurte oder Bettseitenteile angewandt wurden, aber nicht, ob diese beispielsweise auf eigenen Wunsch eingesetzt wurde.

Gibt es die Möglichkeit für Einrichtungen, derartige kritisch zu betrachtende Details weiter zu geben?

Ja, der normale Weg ist, dass jede Einrichtung über den eigenen Verband geht. Oft gibt es dort einen Ansprechpartner, der die einzelnen Punkte sammelt und entsprechend einbringt.

Hat sich denn seit der Nivellierung schon etwas getan oder verbessert, auch im Umgang mit den Bewohnern?

Das habe ich noch nicht beobachtet, aber ich weiß von jeher, dass die Kollegen in der Pflege sehr bewohnerorientiert arbeiten. Jetzt sind sie einfach noch einmal gezwungen, ihre Qualitätsdefizite, aber auch das, was gut läuft, zu reflektieren. Denn im Grunde genommen ist die Situation in Deutschland in der pflegerischen Versorgung nicht schlecht.

Haben Einrichtungen die Möglichkeit, sich in das neue System einzuarbeiten, quasi zu üben?

Mein Rat ist, dass die Pflegedienstleitungen oder das Qualitätsmanagement der Einrichtungen jetzt starten, um sich vorzubereiten und zu informieren. Und natürlich die Mitarbeiter schulen, schulen, schulen … Ich muss als PDL oder QM dafür sorgen, dass genügend Mitarbeiter in dem neuen Verfahren fit sind. Das Fachgespräch zwischen Mitarbeiter und Prüfer wird als gleichwertige Quelle gegenüber der Dokumentation angesehen.

Wenn beispielsweise eine Lagerung nicht dokumentiert wurde, die Fachkraft aber durchaus glaubhaft versichern kann, dass der betroffene Pflegekunde natürlich regelmäßig nach fachlichen Gesichtspunkten gelagert wird, so wird dies als gleichwertige Quelle anerkannt.

Mein Tipp: Alle Qualifikationsanforderungen, die Mitarbeiter im Fachgespräch erfüllen müssen, sind in meinem neuen Buch separat genannt und beschrieben.

Das heißt aber auch, dass auf die einzelnen Fachkräfte auch mehr Verantwortung zukommen?

Genau. Die Strukturprüfung zur Einrichtung, die vorher einen großen Raum eingenommen hat, ist fast um ein Drittel geringer geworden. Dafür wurde die Prüfung direkt beim Bewohner sehr stark intensiviert. Ich muss mich auskennen als Fachkraft und besser vorbereiten, denn der MDK-Prüfer hat in der Regel einen  Wissensvorsprung. Es ist für die Mitarbeiter sehr wichtig, argumentieren und begründen zu können. Es ist absolut empfehlenswert, Mitarbeiter in das Prozedere der Prüfungen frühzeitig einzuweisen und zu schulen, damit sie auch in der Tiefe Bescheid zu wissen.

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Inwiefern spielen Prüfungen dieser Art in der Ausbildung von Fachkräften eine Rolle?

Leider gar nicht. Ich bin selbst mit einigen Stunden als Dozentin an einer Fachschule unterwegs – da ist das gar kein Thema. Da schläft die Ausbildung noch ein bisschen. Das muss dann eher unter dem Konzept „lebenslanges Lernen“ fallen.

Ihr Buch ist ja sehr nutzfertig aufgebaut. Sind die Formulare als Hilfestellung gedacht?

Mit wenigen Ausnahme sind die Formulare alle von mir entwickelt, um ein strukturiertes Einarbeiten in die Materien zu ermöglichen. Der Vorteil des Buches ist, dass jeder QMler oder jede Pflegedienstleitung das neue System kurz und knapp erklärt bekommt. Dabei werden auch Fragen zur halbjährlichen Meldung, ebenso wie die Vorgehensweise der neuen MDK-Prüfung verständlich erklärt. Das Buch ist quasi wie eine kleine Handlungsanweisung. Außerdem wird im letzten Kapitel beschrieben, wie man sein internes QM so neu aufbaut, damit sich beispielsweise die Beantwortung der Fragen aus dem laufenden Tagesgeschäft ergibt – das ist eine echte Arbeitserleichterung!

Ist denn tatsächlich jede Einrichtung – vom kleinen Pflegedienst auf dem Dorf bis zur Großeinrichtung – personell in der Lage, so ein QM einzurichten?

Auf jeden Fall - das neue QM ist für jede stationäre Einrichtung sehr gut umzusetzen! Mit den neuen Vorgaben hat man die Chance, auch mal in der täglichen Dokumentation radikal auszumisten und mal alles in Frage zu stellen, denn noch immer werden viel zu oft unnötige Dinge dokumentiert, weil „das schon immer so gemacht wurde“. Pflege ist sehr häufig noch angstgesteuert und es fehlt oft noch das gesunde Selbstbewusstsein. Hier haben wir jetzt eine prima Chance, uns neu aufzustellen! Nutzen wir diese Gelegenheit!

Frau Ott, vielen Dank für das Gespräch.

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