Nachhaltigkeits-Nerd. Ein vielleicht schräger Begriff. Er kommt einem aber in den Sinn, wenn man mit Stephan Richtzenhain spricht, dem Chef des Textildienstleisters Sitex. Ob am Ausstellerstand des Familienunternehmens auf einem Kongress oder beim Vorort-Besuch in Minden (Westfalen): Schnell kommt Stephan Richtzenhain auf die Umweltverschmutzung durch Fast-Fashion zu sprechen, zeigt Gesprächspartnern auf seinem Smartphone ein Foto der Textil-Müllhalde in der Atacama-Wüste in Chile. Schnell wird klar, dass Nachhaltigkeit für ihn kein PR-Gag ist.
Herr Richtzenhain, Sie haben für Ihre Berufskleidung bereits 2015 auf Tencel umgeschwenkt, beziehungsweise Lyocell, wie die Faser eigentlich heißt. Warum haben sie sich bei Hose und Kasack komplett von der Baumwolle verabschiedet?
Für Baumwolle wird enorm viel Wasser und Anbaufläche gebraucht: Rund acht Quadratmeter Anbaufläche sind für die Herstellung eines Baumwoll-T-Shirts notwendig - Anbaufläche, die für Getreide- und Gemüseproduktion oder wild wachsende Pflanzen wegfällt.
Die Folgen des hohen Wasserverbrauchs zeigen sich ganz deutlich am Aralsee, dem einst viertgrößten Binnensee der Welt: Durch den intensiven Baumwoll-Anbau in den ehemaligen Sowjetrepubliken ist der Aralsee inzwischen über weite Strecken ausgetrocknet und in mehrere Teile zergliedert. Die Bevölkerung ist unter anderem wegen der Versalzung, aber auch wegen der Pestizid-Belastung in sehr schlechtem Gesundheitszustand. Denn ein erheblicher Anteil der weltweit landwirtschaftlich genutzten Pestizide gehen in den Baumwoll-Anbau!
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Warum ist Tencel-Gewebe, das grundsätzlich viel Ähnlichkeit mit Viskose aufweist, ökologischer?
Für Tencel-Gewebe wird hauptsächlich Restholz verwendet, das etwa bei der Möbelproduktion anfällt. Eigentlich heißt das Gewebe Lyocell, der Markenname Tencel geht auf den Hersteller dieses Gewebes der Lenzing AG in Lenzing in Oberösterreich zurück. Die Textilfabrik produziert die Faser ohne nennenswerte Wasserzufuhr mit einem geschlossenen Herstellungssystem. Zu Gewebe verarbeiten lassen wir die Faser bei uns in Westfalen bei der Firma Kettelhack bei Rheine. Wir haben den Grünen Knopf für diese Innovation erhalten - das ist ein staatliches Textilsiegel, entwickelt vom Bundesentwicklungsministerium zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.
Ist Tencel teurer als Baumwolle? Mussten Sie die Preise erhöhen?
Gerade für Damen-Oberbekleidung und Unterwäsche wird Tencel gern verwendet und teuer verkauft. Doch wir haben festgestellt, dass Tencel für uns und unsere Kunden gar nicht so viel teuer ist. Es ist in gewisser Weise sogar wirtschaftlicher als Baumwolle, weil es haltbarer ist. Das hat vor allem mit der glatten Oberfläche des Gewebes zu tun.
Man darf auch nicht vergessen: Für die Krankenhäuser ist nachhaltige Dienstkleidung auch gute PR und auch ein Faktor, der bei der Anwerbung von Mitarbeitern eine Rolle spielt. Wenn ich als Arbeitgeber in gute Dienstkleidung investiere, zeige ich Wertschätzung. Und die ist für die Mitarbeiter direkt spürbar: Man fühlt sich einfach besser, wenn man sich in seiner Kleidung wohlfühlt und – das ist jetzt ganz wörtlich gemeint – in seiner Haut.
Dass Tencel umweltfreundlicher ist, leuchtet ein. Aber warum ist das Gewebe auch angenehmer zu tragen?
Wir lassen die Mitarbeiter immer Probe tragen: Dabei kam es noch nie vor, dass sich der Tencel-Stoff nicht als überlegen erwiesen hat. Das lässt sich auch gut erklären: Für Pflegekräfte ist es ganz wichtig, dass sich die Dienstkleidung auf der Haut gut anfühlt, sie soll nicht kratzen, rote Flecken oder gar Striemen, etwa durch harte Nähte, produzieren. Die Hautsensorik spielt also eine große Rolle. Und hier hat Tencel einen eindeutigen Vorteil, weil die Faser einfach glatter und damit verträglicher ist – so verträglich, dass Tencel beispielsweise auch für Pflegekräfte mit Neurodermitis geeignet ist.
Hinzu kommt: Das Tencel-Gewebe kann Schweiß aufnehmen, so dass er nicht auf der Haut kleben bleibt, was leicht bei Polyester passiert. Anders als bei Baumwolle verdunstet der Schweiß auch nicht und lässt die Haut auskühlen. Tencel wirkt also wie moderne Sportfunktionskleidung.
Übrigens halten sich In Tencel-Gewebe auch Farben besser. Das ist wichtig, weil farbige Kasacks immer mehr gefragt sind – vermutlich liegt das an den US-amerikanischen Krankenhausserien, in denen Pflegekräfte meistens farbige Oberteile tragen. Inzwischen gibt es in deutschen Kliniken richtige Farbtrends – zurzeit sind das Blautöne in allen Schattierungen: Hellblau, Türkis, Dunkelblau und so weiter. In Baumwollstoffen bleichen Farben schneller aus, der Kasack sieht eher abgenutzt aus – da hätten wir dann wieder das Thema Nachhaltigkeit …
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Wie weit kann die Nachhaltigkeit gehen? Muss nicht auch dem Tencel-Gewebe Polyester beigemischt werden – so wie man es auch mit der Baumwolle macht?
Ja, es muss eine Kunstfaser beigemischt sein, damit Tencel überhaupt industriell verarbeitet und geglättet werden kann. Dem Gewebe unserer Bekleidung wird recyceltes Polyester beigefügt. Dadurch schonen wir den Ressourcenverbrauch. Wir haben außerdem eine Bekleidung, in der die Polyesterfasern aus Ozeanplastik stammen. Dieser Plastikmüll wird von Fischern an der Nordspanischen Küste als Beifang aussortiert und in einer Fabrik weiterverarbeitet.
Eine weitere Innovation: biokompostierbare Bekleidung. Wenn diese Kasacks und Hosen eines Tages wirklich abgetragen sind, können sie – richtig entsorgt - zu Humus und Biogas, also wieder zu natürlichen Rohstoffen, werden. Man wird sie nicht auf einer Müllkippe in der Wüste finden.
Interview: Kirsten Gaede