Dezember, dunkle Tage, Weihnachtszeit, Zeit der Erinnerungen: Patienten und Heimbewohner benötigen jetzt besonders viel Zuwendung. Das wirft viele Pflegekräfte auf sich selbst zurück: Die Menschen in ihrer Obhut spüren, ob ihre Betreuer mit sich – und ihrem Beruf – im Einklang sind oder sich längst seelisch abgeschottet haben, sagen Experten.
Der Dezember fördert trübe Gedanken
Es mag die Jahreszeit sein, die diese besondere Stimmung schafft. Unter den Kollegen im Krankenhaus und Pflegeheim, aber auch unter den Patienten und Heimbewohnern: Der Dezember fördert Besinnliches zutage, oft genug aber auch trübe Gedanken, Sinnfragen, das Gefühl der Einsamkeit.
Wenn Bewohner ihre Traurigkeit offen zeigen …
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Und es sind existenzielle Themen, die Patienten gerade jetzt beschäftigen: „Was habe ich nur verbrochen, dass ich so leiden muss?“ Diese Frage hören Pflegekräfte häufiger, erklärt Astrid Giebel von der Diakonie Deutschland. Gerade alte Menschen äußern jetzt oft ihre Sehnsucht nach einer Heimat, nach Familie: „Sie haben es gut“, bekämen Pflegekräfte etwa gesagt, wenn sie sich auf den Heimweg machen, „Sie können jetzt nach Hause gehen, während ich hier bleiben muss.“ Und natürlich sind da Gedanken an die Endlichkeit des Lebens: „Vielleicht ist dies ja das letzte Weihnachten, das ich erlebe...“ Wie geht man mit solcher Traurigkeit oder offen gezeigter Einsamkeit um? Wie begegnet man den Ängsten der anvertrauten Menschen? Und wie verarbeitet man selbst – als Pflegender – diese Momente?
Expertin der Diakonie: Die Seele schützt sich durch Coolout
Als gelernte Krankenschwester kennt Astrid Giebel, die heute als leitende Theologin im Diakonie-Vorstandsbüro sitzt, solche Situationen aus eigener Erfahrung. Und sie kennt die Folgen: „Neben dem Phänomen des Burnout unter Pflegekräften ist nun auch das des Coolout getreten“, sagt sie. Pflegende brennen also nicht nur aus – sie kühlen aus, de-sensibilisieren sich moralisch. Eine intuitive Taktik, um sich unempfindlich zu machen gegen die Anforderungen und Sachzwänge im Pflegealltag, ein Schutzmechanismus der Seele, um überhaupt weiter funktionieren zu können.
Eine Krankenschwester (Albertinen) spricht von „spirituellem Schmerz“
Dabei sei es nicht die Pflege oder die Konfrontation mit den existenziellen Themen selbst, die die Fachkräfte überfordere, auch wenn das manche meinten. „Nicht die Sinnfragen, nicht die erforderliche Empathie erschöpft die Pflegenden“, so Giebel. „Vielmehr leiden sie darunter, Menschen aus Zeitmangel nicht ausreichend in deren Seelennöten begleiten zu können.“ Die Pflegenden sähen täglich den Bedarf, sähen, dass ein Patient besondere Zuwendung braucht, hätten aber oft nicht einmal die Zeit, fünf Minuten die Hand eines Kranken oder Sterbenden zu halten. „Bezugspflege, wie sie in der Theorie beschrieben wird, ist von der realen Praxis weit entfernt“, bestätigt Irmgard Bracht, bis letzten Sommer Bildungsmanagerin bei der Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf. Was bei den Pflegenden zurückbleibe, seien Rat- und Hilflosigkeit, manchmal auch ein Gefühl von Schuld. Oder auch: „ein spiritueller Schmerz“, wie Susanne Bachert, Krankenschwester im Hamburger Albertinen-Krankenhaus, es nennt.
Diakonie fordert mehr Geld für zugewandte Pflege
Die Diakonie setzt sich deshalb für eine stärkere Finanzierung zumindest der palliativen Pflege
ein: Ein personenbezogener Vergütungszuschlag für jeden Tag, für den der Hausarzt einen individuellen Bedarf für „palliativ kompetente Versorgung“ bescheinigt, soll helfen, zusätzliche Stellenanteile für Mitarbeiter stemmen zu können. „Aber auch diejenigen, die für die wirtschaftlichen Belange einer Gesundheits- oder Pflegeeinrichtung zuständig sind, müssen erkennen, dass Begleitung und Spiritualität eine Wertschöpfung für ihr Haus darstellen können“, plädierte Astrid Giebel im Herbst auf einer von Agaplesion ausgerichteten Tagung in Frankfurt.
Markus Horneber (Agaplesion): Aus Spiritualität Kraft schöpfen
Der christliche Gesundheitskonzern Agaplesion hat unlängst das Jahr der Spiritualität für seine Einrichtungen ausgerufen, sammelt derzeit Anregungen, wie Spiritualität stärker im Arzt- und Pflegealltag gelebt werden kann. „Aus der Spiritualität schöpfen Patienten, Bewohner als auch Mitarbeitende Kraft, Glaube und Zuversicht“, ist Vorstandsvorsitzender Dr. Markus Horneber überzeugt.
Seelsorge und „Oasentage“ für Pflegekräfte
Auch wenn Themen wie Achtsamkeit und Resonanz heute en vogue sind – der Zusammenhang von Spiritualität und Gesundheit wird bereits seit Ende der Neunziger Jahre erforscht, so Giebel. „Dabei wird Spiritualität zunehmend auch als Ressource in der Prävention, im Zusammenhang mit Stress auf der Arbeit begriffen“, sagt die Pastorin. Und tritt dafür ein: „Neben klassischen Instrumenten wie etwa einer Rückenschule gehören auch spirituelle Angebote zur Gesundheitsförderung“, sagt sie. Das könnten Arbeitsunterbrechungen, Auszeiten – „Oasentage“, wie Giebel es nennt – sein, eine professionelle Seelsorge oder geistliche Begleitung für Mitarbeiter. Rituale zur Begrüßung, zum Abschied oder bei Übergängen schaffen Verbundenheit und Nähe. Auch ein Raum der Ruhe, „der ja kein Andachtsraum sein muss“, kann eine Oase für nötigen Rückzug sein.
Astrid Giebel (Diakonie): Wir brauchen Spiritualität-Fortbildungen
Zudem bräuchte es Fortbildungen zu spirituellen Themen, so Giebel. Der Bundesverband Diakonie hat zum Beispiel ein Curriculum erarbeitet, um Pflegekräfte in existenzieller Kommunikation zu schulen. Projektweise wurde es in elf Diakonieeinrichtungen eingeführt: In Trainings-on-the-job und unter wissenschaftlicher Begleitforschung lernen Pflegende hier, mit psychischen Belastungen im Beruf umzugehen. „Gleichzeitig werden sie befähigt, bei existenziellen Fragen ihrer Patienten umfassende Hilfe geben zu können“, so Giebel. Ziel: eine sinnstiftende Grundeinstellung im Pflegealltag.
Für sich selber sorgen – um für andere da sein zu können
Das komme nicht nur den Mitarbeitern selbst zugute. „Auch Patienten oder Bewohner spüren, ob sich Pflegende mit ihrer eigenen Spiritualität auseinandergesetzt haben“, so Giebel – ob Pflegekräfte dem Raum geben, was sie im Innersten berührt, welche Haltung sie gegenüber dem Leben und ihrem Beruf einnehmen. Susanne Bachert hat an dem Curriculum teilgenommen, einen ersten Schritt getan, um ihren „spirituellen Schmerz“ zu überwinden. „Man kann nur gut für andere sorgen, wenn man für sich selber gut gesorgt hat.“ Das habe sie erkannt. „Eine Binsenweisheit vielleicht“, meint die Hamburgerin. „Aber doch sehr nah dran.“
Autorin: Romy König
Hier finden Sie das Positionspapier der Diakonie zur Forderung nach besserer Finanzierung der Palliativpflege.