Da wird aus Kandidat Meier schon mal rasch „Herr Müller“. Oder man dichtet dem Bewerber einen Titel an - „Herr Professor“, „Herr Doktor“ -, den er in Wirklichkeit gar nicht trägt und auch nicht in den Bewerbungsunterlagen angegeben hat. Oder man kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, nur weil man soeben Gemeinsamkeiten in puncto Hobby, Herkunft oder Ausbildungsstätte entdeckt hat.
Falsche Vorstellung vom „guten Bewerber“
Mit anderen Worten: Subjektive Eindrücke können das Urteil des Interviewers enorm beeinflussen und befeuern unter Umständen eine stereotype Vorstellung vom „guten Bewerber“, auch in Bezug auf Attraktivität und Aussehen, die aber mit der tatsächlichen Anforderung an die Stelle gar nichts zu tun hat.
Struktur schützt von Fettnäpfchen
Vor derlei Fettnäpfchen bewahrt am besten das „strukturierte Interview“. Der Name sagt es schon: das Auswahlgespräch verläuft hier nach einer standardisierten, vorher gut überlegten und dann festgelegten Struktur und ist damit für alle Kandidaten gleich. Der Personalverantwortliche folgt einem exakten Leitfaden und läuft damit auch nicht Gefahr, etwas Wichtiges zu vergessen. Allerdings verringert er seine Flexibilität und Subjektivität („kein Bauchgefühl“).
Vertrauen Sie weiterhin auf Ihre Intuition
Ragnhild Struss, Gründerin und Chefin der Hamburger Karriereberatung Struss und Partner, rät deshalb auch dazu, das strukturierte Interview nur „als Leitfaden zu nutzen statt als starres Muster, das jeden nach demselben Schema ‚abarbeitet‘“. So vermeide man, dass der Fragenkatalog „die Gefahr birgt, zu wenig Raum für individuelle Aspekte und zu viel Routine entstehen zu lassen“.
Klammern Sie nicht am Fragenkatalog
Grundsätzlich sollten Arbeitgeber auch „offen sein, um voreilige Schlüsse zu vermeiden und auch Bewerbern eine Chance zu geben, die auf den ersten Blick aus dem Raster fallen“, betont Struss. „Fatal“ sei es auch, wenn man dem Fragenkatalog mehr Vertrauen schenke als der eigenen Intuition oder wenn man unaufrichtig sei.
1. Phase: Smalltalk
Der Smalltalk dient als „warm machen“. Man begrüßt den Bewerber freundlich, etwa mit der Frage, ob er den Weg gut her gefunden hat und (bei weiteren Wegen) ob die Anreise gut verlaufen ist. Selbstverständlich serviert man nur alkoholfreie Getränke wie Kaffee, Saft oder Wasser. Der Interviewer stellt sich dann selbst kurz (!) vor und skizziert dem Kandidaten den Ablauf des Gesprächs samt Ausblick auf die gesamte Dauer desselben.
Dauer: rund fünf Minuten.
2. Phase: Der Bewerber präsentiert sich
Nach dem Smalltalk darf sich der Bewerber nun selbst präsentieren. Dazu erhält er eine Menge Fragen, die der Personaler sehr sorgfältig vorbereitet haben muss und die sich zum Teil auch auf die Bewerbungsunterlagen beziehen sollten. Dazu zählen etwa:
Welche Ausbildung hat der Kandidat wann, wo und warum gewählt?
Welche Fort- und Weiterbildungen kann er vorweisen?
Welche Zusatzqualifikationen hat er?
Wie steht es mit dem Umfang und der Qualität von Fachkenntnissen? Wie viel Berufserfahrung bringt er mit?
Gibt es Erfahrung mit Gruppenarbeit? Falls Ja: Welche? Wie geht der Kandidat mit beruflichen Konfliktsituationen um? Welche Motivation für den Beruf und welche persönlichen beruflichen Ziele hat er?
Ist ein roter Faden in der beruflichen Entwicklung im Lebenslauf erkennbar?
Was hat ihn für die aktuelle Bewerbung motiviert beziehungsweise den Stellenwechsel?
Gab es besondere Leistungen im bisherigen Berufsleben?
Dauer: rund 15 Minuten
3. Phase: Das Unternehmen präsentiert sich
Jetzt stellt sich das Unternehmen vor. Zu Zeiten des Fachkräftemangels muss es sich ebenfalls als Bewerber begreifen, das sich beim Stellensucher als möglichst attraktiver Arbeitgeber darstellt. Allerdings sollte man dabei auch immer ehrlich bleiben und nicht alles in rosaroten Farben malen. Spätere Herausforderungen des Berufes und der Arbeitsstelle müssen klar erkennbar bleiben und dürfen nicht beschönigt oder verschwiegen werden. Der Kandidat muss die Möglichkeit haben, sich ein umfassendes realistisches Bild von seinem zukünftigen Arbeitsplatz und Arbeitgeber zu machen. Ansonsten ist Frust programmiert.
Der Personaler und ein Fachkollege der jeweiligen Abteilung informieren den Kandidaten deshalb sachlich, gründlich und ehrlich über seine künftige Abteilung, den Arbeitsplatz und fragen den Bewerber auch nach dem gewünschten Eintrittstermin. Angaben zu Probezeitregelungen und zur Vertragsdauer gehören ebenso hierher.
Über Arbeitszeiten, auch mögliche Teilzeitangebote, sollte man natürlich auch reden, genauso über Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten. Benötigt der Kandidat vielleicht Hilfe bei der Wohnungssuche? Wie steht es generell mit der Mobilität? Besteht die Bereitschaft zum Umzug, auch mit Familie? Kann ihm eventuell ein Platz in einem Personalwohnheim angeboten werden?
Mit sozialen Angeboten wie Betriebskindergarten, Jobticket oder betrieblicher Altersvorsorge kann jeder Arbeitgeber punkten, weshalb man sie unbedingt hier erwähnen sollte.
Dauer: rund zehn Minuten
4. Phase: Der Bewerber fragt
Der Bewerber bekommt nun die Gelegenheit, Rückfragen zu stellen. Positiv fällt hier auf, wer sich schon vorher Fragen zum Unternehmen oder zur konkreten Stelle oder auch Fragen zum soeben geführten Gespräch notiert hat. Je detaillierter die Fragen sind, desto höher signalisiert der Kandidat sein Interesse. Auch könnte er nach dem Grund der Stellenausschreibung fragen.
Dauer: rund zehn Minuten
5. Phase: Information über den weiteren Ablauf
Zum Schluss erklärt man dem Kandidaten das weitere Vorgehen und informiert ihn über die Dauer des Auswahlprozesses. Wann kann er mit einer Antwort rechnen? An die versprochene Zeitangabe sollte man sich dann später auch halten, alles andere wirkt unseriös.
Dauer: rund fünf Minuten
Autorin: Birgitta vom Lehn