Wenn Gonda Woithon Pause hat, hat sie wirklich Pause. Dann darf sie nicht auf ihrer Station sein, ihr Telefon muss sie einer anderen Pflegekraft übergeben. Pause ist Pause, ohne Störfaktor. Und ihre Teamleitung in den Waldkliniken Eisenberg (WKE) achtet penibel darauf, dass Woithon ihre regelmäßigen Auszeiten auch wirklich nimmt. Die WKE sind ein kommunales Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung in Thüringen mit dem Schwerpunkt Orthopädie.
1. Tipp: Pause ist Pause – und nicht verhandelbar
„Die Pause ist Pflicht, und es ist auch Pflicht, die Station in der Pause zu verlassen“, betonte Jeannette Kadner im Experten-Talk am Stand von pflegen-online während des Deutschen Pflegetages in Berlin. Kadner ist Pflegedirektorin der Waldkliniken Eisenberg, und die konsequente Pausen-Regelung ist eine der Besonderheiten, mit denen sich die Waldkliniken für Pflegekräfte interessant machen. Oft genug bleibt im Klinikalltag keine Zeit für die wichtigen Ruhephasen, oder Pieper, Rufanlagen oder ratsuchende Angehörige von Patienten beenden sie vorzeitig.
„Die Pause ist ein großes Kultur-Thema“, sagte auch Vera Lux, Pflegedirektorin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), die mit Kadner am pflegen-online-Stand diskutierte. Als wichtiger Teil des Gesundheitsmanagements diene sie dem Schutz der Mitarbeiter. Anders als in Eisenberg sei der MHH-Campus jedoch riesig und der Weg in die nächste Cafeteria oft lang und zeitraubend. Deshalb gelte es, in den Kliniken zentrale Bereiche zu schaffen, in denen die Mitarbeitenden ihre Auszeiten möglichst ungestört verbringen könnten.
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2. Tipp: Unit-Struktur – mit Bereichspflege zurück zum Ursprung
In den WKE schwört Jeannette Kadner seit 2015 wieder auf die Bereichspflege. Zusammen mit Klinikchef David-Ruben Thies haben sich Pflegeteams aus Eisenberg unter anderem in Dänemark und in den Niederlanden umgesehen und das dortige Unit-System auf ihre Klinik übertragen. In den WKE ist eine Pflegekraft für maximal acht Patienten verantwortlich. Die kennt sie deshalb auch genau, ist ihr Ansprechpartner und kümmert sich um alles – bringt ihnen auch Kaffee oder Wasser, gibt Essen aus, nimmt Blut ab.
„Wir haben Altes wiederbelebt. Pflege ist jetzt wieder Pflege“, sagt Jeannette Kadner. „Die Eigenverantwortung ist hoch, und damit steigt auch die Zufriedenheit.“ Gonda Woithon ist wegen des Konzeptes 2019 sogar von einer Reha-Klinik zu den WKE gewechselt. „Ich kenne jetzt alle meine Patienten richtig gut, auch ihre Besonderheiten“, sagt sie, „wir bauen Vertrauen auf, und das sorgt für Sicherheit.“ Die Übergabe von Schicht zu Schicht findet direkt am Bett der Patienten statt.
Pflegekräfte immer sichtbar und ansprechbar
Zu dem Konzept gehört auch, dass alle Pflegekräfte – außer in ihren Pausenzeiten – immer präsent sind. Stationszimmer oder verschlossene Sozialräume sind in dem neuen runden Eisenberger Bettenhaus, das 2020 bezogen wurde, Vergangenheit. „Wir haben offene Pflegestützpunkte etabliert, an denen wir für Patienten und Angehörige immer sichtbar und ansprechbar sind“, erklärt Kadner. Das sei für viele zunächst gewöhnungsbedürftig gewesen, habe sich aber mittlerweile bewährt. Umfragen zeigten, „keiner will die Bereichspflege wieder abgeben“, sagt Kadner.
Vera Lux (MHH): „Es gibt nicht nur eine Lösung“
Die Organisation der Pflege in Thüringen beeindruckt auch Vera Lux. „Grundsätzlich eine gute Lösung“, sagte die MHH-Pflegedirektorin im Experten-Talk bei pflegen-online. Im Unterschied zu den WKE mit ihren rund 200 Betten und zumeist planbaren Operationen sei die Uniklinik (rund 1.500 Betten) allerdings ganz anderen Zwängen unterworfen, müsse viel agiler reagieren können. „Unsere Strukturen sind deutlich komplexer, und es gibt auch viel mehr Vorgaben durch den Gesetzgeber“, sagt Lux. Eine individuelle Lösung müsse sich deshalb nach dem Versorgungskonzept und dem jeweiligen Klinikstandort richten.
Auch in Hannover wird sich mittelfristig manches wandeln. Mit dem Einsatz sogenannter Advanced Practice Nurses (APN), die eine akademische Ausbildung haben und zunehmend Patienten mit hohem Versorgungs- und Beratungsbedarf betreuen sollen, sei bereits ein Anfang gemacht. Zudem plant die MHH einen Neubau für die Krankenversorgung. Das Projekt ist für Lux eine gute Chance, parallel alte Strukturen zu verändern. „Wir gehen jetzt vieles an“, sagt die Pflegedirektorin. Eine Projektgruppe arbeitet bereits, im Januar sollen Ergebnisse vorliegen.
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Auch das neue Bettenhaus in Eisenberg steht für eine solche Zäsur. Und in WKE-Chef Thies, der in Thüringen seine ganz eigene Klinik-Vision umsetzt, sieht Lux noch aus einem anderen Grund ein gutes Beispiel: „Veränderung kostet ganz viel Zeit und Kraft“, sagt Lux, „und sie muss von ganz oben unterstützt und gelebt werden.“
3. Tipp: Dienstplan per App – ganz ohne Vorgesetzte
Auf mehr Eigenverantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen die WKE auch in Sachen Dienstplan. „Wir planen zentral, und über unsere App können die Beschäftigten Dienste untereinander tauschen, ohne dass die Teamleitung eingreifen muss“, erklärt Pflegedirektorin Kadner. Dabei profitieren die WKE davon, dass sie in den bettenführenden Bereichen ausschließlich Pflegefachkräfte beschäftigen. „Deshalb kann jeder mit jedem tauschen“, sagt Kadner.
Ziel sei, dass die Beschäftigten den Dienstplan letztlich selbst schreiben – und das lange im Voraus: „Momentan planen wir noch für drei Monate, doch bald wird es eine Jahresplanung geben“, sagt Kadner. Für Ihre Kollegin Lux in Hannover ist so viel Autonomie derzeit nicht denkbar. „Wir haben viele unterschiedliche Berufsgruppen – von Fach- über Hilfs- bis hin zu Servicekräften. Hinzu kommen mehrere Hundert Auszubildende von uns und anderen Trägern“, erklärt Lux: „Da muss es viel mehr Regeln geben.“
4. Tipp: Feedbackrunden – gemeinsam Lösungen finden
Die Beschäftigten intensiv einzubinden, war den WKE-Verantwortlichen in Thüringen nicht nur bei der Neubauplanung von Anfang an wichtig. Auch das Prinzip regelmäßiger Feedback-Runden haben sie sich im Ausland abgeschaut: Bei den Treffen könnten Anregungen eingebracht und auch Probleme offen angesprochen werden, erklärt Kadner. Eine Person im Team übernehme dann die Verantwortung, eine Lösung zu finden: „Dafür wird gemeinsam ein konkretes Zeitfenster festgelegt.“
5. Tipp: Offen für verschiedene Arbeitszeitmodelle – Neues ausprobieren
Darüber hinaus ist der Wandel längst nicht beendet. „Wir probieren ganz viel aus“, sagt Kadner. Dazu gehört etwa der neue Pflegepool, für den sich Pflegekräfte jetzt entscheiden können. „Alle bekommen unbefristete Verträge, doch die Pool-Zugehörigkeit bleibt begrenzt, damit wir immer wieder ins Gespräch kommen, ob sich die Situation verändert hat“, erklärt Kadner. Zudem wurde gerade mit Zwölf- statt der normalen Acht-Stunden-Schichten experimentiert – auf freiwilliger Basis und vor allem am Wochenende. Ein Ergebnis sei, dass die Teilnehmer dadurch deutlich weniger Wochenenddienste hatten, sagt Kadner. Die detaillierte Auswertung läuft noch.
Insgesamt beschäftigen die WKE rund 300 Pflegekräfte – und könnten momentan sofort zehn Stellen zusätzlich besetzen, sagt Jeanette Kadner – „gerne auch mehr“. Die Offenheit für neue Ansätze scheint sich jedenfalls auszuzahlen. „Allein die Bereichspflege schafft sehr viel Zufriedenheit“, betont Kadner. Gonda Woithon, die dafür wechselte, kann das bestätigen: „Wenn Arbeitgeber Besonderes leisten, spricht sich das rum.“
Autor: Jens Kohrs