Boris Augurzky bei einem Round-Table-Gespräch der Münch-Stiftung  
Foto: Stiftung Münch/Sylvia Willax
Boris Augurzky bei einem Round-Table-Gespräch der Münch-Stiftung  

Gesundheitswirtschaft

Krankenpflege-Gehalt: Zeit der großen Sprünge bald vorbei

Die Politik wird das Pflegebudget innerhalb der nächsten drei Jahre deckeln, meint Boris Augurzky, Volkswirt und Autor des Krankenhaus-Rating-Reports, im Interview

Augenblicklich ist die Finanzierung der Pflegekräfte für Krankenhäuser eigentlich traumhaft: Es gibt es für Geschäftsführungen keinen Grund mehr mit Neueinstellungen oder Gehaltssteigerungen zu knausern. Die Ausgaben für Pflegepersonal sind seit 2020 aus dem DRG-System ausgegliedert. Alle Stellen in der Pflege werden jetzt aus einem nahezu ungedeckelten Pflegebudget finanziert, sofern sie im tariflich vereinbarten Rahmen liegen. Krankenhäuser dürfen also so viele Pflegekräfte einstellen und so viele neue Stellen in der Pflege schaffen, wie sie möchten, es werden alle Stellen von den Krankenkassen vergütet, so steht es im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG).

Krankenpflege: 34 Prozent mehr Gehalt seit 2011 

Tatsächlich haben sich die Gehälter und auch die Arbeitskonditionen in vielen Krankenhäusern schon verbessert. Zwischen 2014 und 2018 sind die Kosten je Vollkraft in der Pflege jährlich um rund 3 Prozent gestiegen, 2019 sogar um 4,8 Prozent und 2020 um 3,5 Prozent – weitaus stärker als vor 2014. Das hat das Team Gesundheit von Boris Augurzky am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) ermittelt. Und noch eine Zahl, die den Trend bestätigt: Nach Angaben des Statischen Bundesamtes verdienten Vollzeitbeschäftigte Fachkräfte in Krankenhäusern und Heimen (zu denen auch Pflegefachkräfte zählen) im Jahr 2021 brutto durchschnittlich 34 Prozent mehr als noch 2011. Auch gibt es mancherorts Dinge wie ein Entlastungsfrei und zusätzliche Urlaubstage bei bestimmten Schichtkombinationen. Doch wird es immer so weiter gehen? Wir fragten Boris Augurzky, der als Autor des Krankenhaus-Rating-Reports einen tiefen Einblick in die Finanzsituation von Krankenhäusern und Krankenkassen hat.                    

pflegen-online: Herr Professor Augurzky, im Evangelischen Krankenhaus Oldenburg (EKO) bekommen Intensiv-Pflegekräfte jetzt zwischen 300 und 600 Euro mehr als ihre Kollegen in Häusern mit TVöD. Ein besonderer Haustarifvertrag macht es möglich. Das zeigt doch, wie beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, von dem Pflegebudget profitieren.  Die Geschäftsführungen können es nutzen, um über bessere Gehälter dem Fachkräftemangel in ihrem Hause entgegenzuwirken. Aber werden die Krankenkassen nicht irgendwann sagen: Nicht mit uns!

Boris Augurzky: Nun ja, das sagen die Krankenkassen jetzt schon. Aber schauen wir zunächst auf die Krankenhäuser. Da gibt es nämlich das Problem mit den Zeitarbeitskräften und Honorarkräften. Für sie gilt – wie für die Festangestellten – die tariflich vereinbarte Obergrenze. Sie sind insgesamt betrachtet – inklusive Vermittlungsgebühr und so weiter – aber deutlich teurer, sodass Krankenhäuser für die Zusatzkosten selbst aufkommen müssen. Das scheint auf dem ersten Blick eine Kleinigkeit. Aber ich sprach kürzlich mit einem Krankenhaus-Geschäftsführer aus Süddeutschland, dessen Krankenhausverbund Millionen Euro zusätzlich für Honorarkräfte ausgegeben hatte. Die sind schlicht auf den Zusatzkosten sitzengeblieben.

Das ist das eine Problem, das die Krankenhäuser zurzeit haben. Das andere Problem: Krankenkassen und Krankenhäuser finden bei den Pflegebudgets zurzeit nur schwer zu einer Einigung – allerdings mit regionalen Unterschieden: In Bayern läuft es einigermaßen, auch in Bremen. In NRW eher nicht. Wer daran schuld ist, kann ich nicht beurteilen. Aber ich sehe auch, dass einzelne Akteure aus strategischen Gründen blockieren, um Verhandlungen unter den neuen Voraussetzungen erst einmal nicht zum Abschluss zu bringen. Gut, das ist vielleicht nur ein Spiel auf Zeit, denn am Ende müssen es die Kassen doch bezahlen.

Ja, so argumentiert das Evangelische Klinikum Oldenburg auch: Die Kassen müssten letztlich einlenken – so ist es doch auch, oder? 

Ja. Aber – und jetzt kommt das große Aber: Jedem ist klar, dass diese „paradiesischen Zustände“ nicht ewig zu halten sind. Wenn Krankenhäuser jede Pflegekraft einstellen, die zu haben ist, egal, was es kostet –, dann ist das augenblicklich für die Kassen noch erträglich, weil es gar nicht so viele Pflegekräfte auf dem Markt gibt, die eingestellt werden und hohe Kosten verursachen könnten.

Das ganze Konzept des quasi ungedeckelten Pflegebudgets bleibt aber nur so lange bestehen, wie es tatsächlich einen Fachkräftemangel in der Pflege gibt. Wenn der Beruf nun aber immer attraktiver wird und immer mehr junge Leute in den Beruf strömen wegen wachsender Gehälter und besserer Arbeitsbedingungen, dann werden die Pflegebudget-Ausgaben immer größer. Gleichzeitig werden die Defizite der Krankenkassen die nächsten Jahre noch größer. Schon jetzt gehen sie von einem Defizit von mindestens 17 Milliarden Euro im Jahr 2023 aus.

Gesundheitsminister Lauterbach hat jetzt angekündigt, dass nächstes Jahr die Zusatzbeiträge steigen werden. Dann kommt auf die Menschen, die derzeit auch eine hohe Preisinflation verkraften müssen, noch eine Last zu. Die neue Regierung wird in Kürze im Gesundheitswesen wieder Spargesetze einführen müssen. Davon werden alle Gesundheitssektoren betroffen sein, die Pharmaindustrie, die Heil- und Hilfsmittelhersteller, die KV-Ärzte und natürlich auch die Krankenhäuser. Da geht es um viele Milliarden Euro. Relativ schnell wird man auch beim Pflegebudget Bremsen einbauen. In drei Jahren, so vermute ich, wird es das Pflegebudget in seiner jetzigen paradiesischen Form nicht mehr geben.

So schnell? Der Fachkräftemangel in den Krankenhäusern wird doch so zügig nicht behoben sein? 

Trotzdem, das steht ja jetzt an. Das Defizit der Kassen könnte 2023 sonst auf über 17 Milliarden Euro steigen. Da muss man natürlich etwas tun. 

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Es ist doch schon eigenartig, dass Jens Spahn trotz dieser paradiesischen Zustände, die er eingeführt hat, bei den Pflegeverbänden meistens nur Kritik geerntet hat. Wie erklären Sie sich das?

Viele Menschen denken, wenn ein Gesetzgeber in diesem Jahr ein Gesetz macht, dann ist nächstes Jahr am 1. Januar, wenn es in Kraft tritt, alles anders. Dann sind Pflegekräfte ohne Ende auf dem Arbeitsmarkt, dann werden die alle eingestellt und die Arbeitsbelastung sinkt rapide. Aber selbst solch ein Pflegebudget, ein Geschenk sozusagen, braucht Zeit, um Wirkung zu entfalten. Es dauert, bis Leute auch eingestellt sind, bis sie ausgebildet sind oder zugewandert. Da vergehen nicht nur Wochen, da vergehen Monate bis Jahre, bis man die Effekte sieht.

Wenn es nun aber einen Rollback gibt, wie Sie nahelegen – wird sich da die Wirkung des nahezu ungedeckelten Pflegebudgets von Jens Spahn noch entfalten können?      

Ja. Denn erstens finden derzeit Umschichtungen zu Gunsten der Pflege statt und es steigen die Löhne in der Pflege. Diese Veränderungen werden nach Beendigung des Pflegebudgets bleiben, sodass der Pflegeberuf dann attraktiver sein sollte als im Jahr 2019.

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