Der Appell von Professor Ojan Assadian, Ärztlicher Direktor des Landesklinikums Wiener Neustadt, ist inzwischen fünf Jahre alt, er erschien ursprünglich im November 2017 auf pflegen-online. Doch er ist auch nach der Corona-Pandemie aktuell – vielleicht aktueller denn je.
Einmalhandschuhe schützen den, der sie trägt, halten Schmutz fern, Bakterien, schirmen die Haut ab vor ungewolltem Kontakt mit Körperflüssigkeiten. Und sie schützen, so die intuitive Annahme, auch die Person, die berührt wird: den Patienten bei der Blutentnahme, den pflegebedürftigen Alten im Heim beim Katheterbeutel wechseln.
Nackte Hände hygienischer als Einmalhandschuhe
Doch die Sicherheit ist trügerisch, warnt Ojan Assadian. Der österreichische Mediziner hat viele Jahre das Institut für Infektionsprävention an der University of Huddersfield in Großbritannien geleitet und ist seit 2020 Ärztlicher Direktor des Landesklinikums Wiener Neustadt. „Viele Pflegekräfte und Ärzte glauben, wenn sie Handschuhe tragen, seien all ihre Handlungen mit den Händen automatisch steril, steriler vor allem, als wenn sie sie mit bloßen Händen ausführten.“ Das aber sei ein Irrtum. Natürlich tummeln sich an Händen, etwa an den Innenflächen und den Fingern, Tausende von Bakterien. „Doch die menschliche Haut gibt davon – wenn die Hände etwa eine Tischplatte oder die Haut eines anderen Menschen berühren –, nicht mehr als etwa 100 Bakterien ab.“ Anders dagegen die Kunststoffe, aus denen die handelsüblichen Einmalhandschuhe bestehen. „Diese Handschuhe geben, wenn sie kontaminiert sind, rund 100.000 Bakterien ab, also das Tausendfache.“ An menschlicher Haut haften Bakterien einfach besser als an Latex oder Vinyl.
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Einmalhandschuhe sind reiner Selbstschutz
Die einfachen Handschuhe, Assadian spricht von „Untersuchungshandschuhen“, um sie von jenen sterilen Handschuhen abzugrenzen, die bei Operationen verwendet werden, seien von vornherein dafür konzipiert, den Träger zu schützen, nicht den Behandelten. „Sie gehörten seit jeher zur persönlichen Schutzausrüstung des medizinischen oder pflegerischen Personals – den Anspruch, zur gleichen Zeit auch den Patienten zu schützen, hatten sie nie.“
Vorsicht vor Dauerträgern!
Das wird aber gemeinhin angenommen. Und das ist fatal. „Nehmen Sie etwa die Probenträger innerhalb einer Klinik: Oft lässt sich beobachten, wie sie sich in der Früh die Handschuhe anziehen, Untersuchungsproben aus der Station abholen, ins Labor bringen – und dann den ganzen Tag mit denselben Handschuhen im Krankenhaus herumlaufen.“ Das Risiko, dass sich daran über den Tag hinweg immer mehr Keime ansammeln und die Mitarbeiter diese mit sich herumtragen und dadurch verteilen, sei groß.
Einmalhandschuhe machen nachlässig
Auch bei der Arbeit am Patienten kann ein dauerndes Tragen von Handschuhen Folgen haben, wie eine Untersuchung, publiziert im American Journal of Infection Control, auf einer internistischen Intensivstation zeigte: Hier bat man Pflegekräfte, drei Monate lang Standardhygiene zu betreiben, also die Hände vor und nach Patientenkontakt zu waschen und zu desinfizieren, und in folgenden drei Monaten bei jeder Handlung am Patienten Untersuchungshandschuhe zu tragen und sich nach Ablegen die Hände zu desinfizieren. Ergebnis: In der zweiten Drei-Monatsphase nahm die Bereitschaft, sich vor dem Patientenkontakt die Hände zu desinfizieren, deutlich ab. Mit der Folge, dass die Raten an nosokomialer Sepsis und Harnwegsinfektionen stiegen. Zu vermuten sei hier laut Ojan Assadian, dass die Mitarbeiter nach Anziehen der Handschuhe an ein und demselben Patienten mehrere Tätigkeiten durchführten, ohne sich dabei zwischendurch die – wenn auch behandschuhten – Hände zu reinigen.
Vergesst den sozialen Druck!
Viele Pflegekräfte ziehen die Handschuhe im Umgang mit Patienten oder Heimbewohnern an, weil sie glauben, dass andere es von ihnen erwarten: die Kollegen, aber allen voran die Patienten. Es herrsche ein gewisser sozialer Druck, bei der Arbeit an anderen Menschen Handschuhe zu tragen, um damit den Anschein von Sterilität zu wecken, so Assadian.
Tipps für den Gebrauch von Einmalhandschuhen
An Pflegekräfte wie an Ärzte appelliert Assadian, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wann und warum sie sich Handschuhe anziehen. „Fragen Sie sich zwei Dinge: Ist bei meiner nächsten Tätigkeit wirklich eine Kontamination meiner Haut mit Körpersekreten vorhersehbar? Und: Wäre diese relevant?“
Beim Impfen sind Handschuhe überflüssig
Er nennt das Beispiel Impfen. „Was passiert dabei? Ich desinfiziere die kleine Einstichstelle an der Haut des Patienten und steche die Impfnadel ins Gewebe. Ich erwarte hier – wenn ich den Vorgang beherrsche – keinerlei Kontamination, hier fließt kein Blut, meine Haut kommt nicht in Kontakt mit Harn oder Auswurf. Keine Handschuhe zu tragen, aber sich die Hände vorher und nachher zu desinfizieren, ist hier die sicherste Variante – für den Handelnden und für den Patienten.“
Spendebox oft kontaminiert
Problematisch sind oft auch die Spendeboxen: „Wer glaubt, diese Boxen und ihr Inhalt sind nach Anbruch noch lange steril, irrt“, sagt Assadian. Da falle zum Beispiel bei Entnahme eines Paares ein weiteres heraus, das werde wieder hineingestopft. Und selbst wenn das nicht geschehe, sammelten sich doch über die Zeit in der kleinen Kiste die Bakterien. „Es gibt Untersuchungen, wonach mehr Keime gefunden werden, je weiter man in die Tiefen der Box gelangt.“ In England gebe es schon erste Handschuhbehälter, die eine stückweise und damit hygienischere Entnahme der Handschuhe erlauben, ohne dabei das folgende Paar Handschuhe zu kontaminieren. Aber ob sich solche Modelle auch in Deutschland oder Österreich durchsetzen werden, könne er nicht einschätzen.
Die Alternative: desinfizierbare Einmalhandschuhe
Schließlich gebe es noch immer die Option, auch die Handschuhe zu desinfizieren. Um aber hier auf der sicheren Seite zu sein, müsse der Handschuhhersteller – als Produzent eines so genannten Single-Use Medical Device, also eines Einmal-Medizinproduktes – bestätigen, dass sich sein Handschuh für die Desinfektion und mehrmalige Nutzung eignet. „Die Hersteller sagen dann aber, sie könnten das nicht für jedes Desinfektionsmittel garantieren, das wiederum müssten die Desinfektionshersteller tun.“ So schöben sich die Hersteller gegenseitig die Verantwortung hin und her. Wie man das lösen könne? „Die medizinische und pflegerische Community muss Druck gegenüber der Industrie aufbauen.“ Assadian hat schon mal angefangen und eine Forderung formuliert: Handschuhhersteller sollten einfach drei oder vier Desinfektionsmittel benennen, für deren Gebrauch sie die Zwischendurch-Desinfektion bestätigen können. Noch hat er keine Antwort erhalten.
Über Professor Ojan Assadian

Der österreichische Mediziner ist Hygieneexperte, hat lange als Facharzt für Hygiene, Mikrobiologie und Infektiologie an der Medizinischen Universität Wien und am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien gearbeitet und als Professor das Institut für Infektionsprävention an der University of Huddersfield in Großbritannien geleitet. Nun ist er nach Wien zurückgekehrt, wo er sich als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene wieder stärker politisch für hygienische Belange einsetzen will – und: mit Mythen aufräumen. Sseit 2020 ist er Ärztlicher Direktor des Landesklinikums Wiener Neustadt.
Autorin: Romy König