Können Pflegekräfte Heimbewohner im Moment überhaupt noch berühren? Es herrsche eine große Unsicherheit unter Altenpflegerinnen und -pflegern, beobachtet Gabriela Koslowski in ihren Seminaren: "Viele Pflegekräfte haben fürchterliche Angst davor, die Bewohner mit Covid-19 anzustecken." Eine nachvollziehbare Sorge. Schließlich sind viele Altenheimbewohner mit über 80 und Vorerkrankungen besonders gefährdet, einen schweren Krankheitsverlauf, zu erleiden. Doch die Ansteckung durch Berührung ist ein gut zu kalkulierendes Risiko. Die Hände seien als Übertragungsweg von Covid-19 zweitrangig, urteilt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene. „Als Übertragungsweg von Covid-19 stehen die Hände hinter Mund und Nase“, sagt Martin Exner. Deshalb sei, so der Professor, eine Mund-Nasen-Maske als Schutz vor Covid-19 so wichtig.
Händedesinfektion absolut ernst nehmen
Um eine Übertragung durch die Hände zu verhindern, sollten Pflegekräfte sich stets fragen, wobei sie ihre Hände aller Voraussicht nach verunreinigen können. Das ist immer dort der Fall, wo sie mit Körperausscheidungen wie Blut oder Serum, Urin oder Kot, Schweiß oder offenen Wunden in Kontakt kommen. Dann sollten Pflegekräfte „keimfreie, medizinische Einmalhandschuhe verwenden", erklärt Exner unter Berufung auf die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) zur Händedesinfektion. Wichtig: Bevor die Pflegekraft zur nächsten Heimbewohnerin geht, muss sie die Handschuhe sicher ausziehen und entsorgen und anschließend ihre Hände desinfizieren.
Schnelltests entlasten Pflegekräfte psychisch
Inzwischen sind Schnelltests in den Heimen gang und gebe. Die Testungen können auch eine psychische Entlastung bringen, die nicht immer gleich deutlich wird. Koslowski regt die Pflegekräfte in ihren Seminaren zur Selbstreflexion an und sagt: „Wenn Sie negativ getestet sind und auch die Heimbewohner negativ getestet sind, dann besteht doch keine Ansteckungsgefahr, oder wie sehen Sie das? – Das bedeutet, wenn Sie einen Bewohner berühren, kann nichts passieren." Berührung sei das, wonach die Senioren sich so sehnten, erklärt die Seminarleiterin. "Denn Pflege ist ein Berührungsberuf!“
Was sie dann erlebt, beschreibt sie als beeindruckend. Den Altenpflegerinnen und -pflegern fällt offenbar nicht nur der berühmte Stein vom Herzen. "Es ist, als wenn eine Mauer einfällt", berichtet Koslowski. Wenn die Pflegekräfte sich in einem Selbstreflexionsprozess bewusst machten, dass nichts passieren könne, weiche oft die Angst, und sie verspürten eine große Erleichterung.
„Schlimmer als Krieg“ – Berührungsmangel bedrückt Bewohner
Viele Heimbewohner sehen die Ansteckungsgefahr ohnehin relativ gelassen; sie wissen, dass sie in ihrem Leben schon manche Krise gemeistert haben. Doch Vereinsamung, weil die Angehörigen wegbleiben, und das Fehlen von körperlicher Nähe setzen etlichen Heimbewohnern zu. Die Isolation mache ihnen zu schaffen, berichtet Koslowski. "Eine Heimbewohnerin sagte: Das ist viel schlimmer als im Krieg. Ich möchte von meiner Enkelin in den Arm genommen werden."
Zu wenig Berührung kann depressiv machen
Jeder Mensch braucht angenehme Berührung, damit es ihm gut geht. „Ein Mangel an sanfter körperlicher Berührung ist mit einem Ansteigen von Depressionen und anderen psychischen Störungen verbunden", berichtet Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, der Fachmann für Depressionsbehandlungen ist. Berührung ist die menschliche Basiskommunikation.
Berührung senkt Blutdruck, Stress und Schmerzen
Schon ein Handauflegen oder ein In-den-Arm-Nehmen wirkt beruhigend und vermittelt Sicherheit – das ist gerade in angespannten Situationen sehr wichtig. Der Herzschlag normalisiert sich, der Blutdruck sinkt, Stress und Schmerzen werden weniger stark wahrgenommen.
Berührungsforscherin: Was Berührungen ersetzen kann
Wer Heimbewohner im Moment partout nicht anfassen mag, sollte seine Ängste und Bedenken erklären, damit die Bewohner verstehen, was dahintersteckt. Zuwendung lässt sich auch ohne Berührung geben. "Auch wenn die Zeitressourcen im Pflegealltag knapp sind", sagt Koslowski, "sind viele Bewohner doch sehr beglückt, wenn Pflegende sich ein wenig Zeit nehmen und im Zimmer bleiben, lächeln und ein kurzes Gespräch führen." Ein anderer wichtiger Aspekt von Berührung ist die Aufmerksamkeit, die wir damit signalisieren. "Dieses Schenken von Aufmerksamkeit können wir auch anders machen – mit einen Augenkontakt, mit einem Nicken", erklärt die Berührungsforscherin und Psychologin Prof. Dr. Ilona Croy von der Universitätsklinik Dresden.
Hier ein Video unserer Autorin Martina Janning zum Thema „Berührungsmangel in der Pandemie" für die Sendung rbb Praxis
Schluss mit Doomscrolling
In der Corona-Pandemie fällt es aber oft nicht leicht, anderen Aufmerksam zu spenden. Viele Pflegekräfte sind zu sehr selbst betroffen von der Pandemie. Die Angst, Familie und Freunde anzustecken, eingeschränkte Sozialkontakte, fehlender enger Austausch mit den Kollegen, dazu die Unsicherheit, wann die Pandemie zu Ende geht und der nächste Urlaub möglich sein wird – all das kann Pflegekräfte psychisch stark belasten. Wer in solchen Phasen auch noch ständig die neuesten Corona-Nachrichten sucht, gerät leicht in einen Negativ-Strudel. Doomscrolling – das verdammte Scrollen – ist der Begriff dafür, im Web auf Inhalte zu klicken, obwohl wir wissen, dass sie uns herunterziehen. Dagegen helfen:
- Handypausen
- das Nutzen von Webseiten mit konstruktiven Inhalten
- das Bewusstmachen des eigenen Verhaltens, insbesondere der Gefühle, die es in einem auslöst
Um dem Negativ-Modus zu entkommen, sind bewusst gesetzte positive Impulse sinnvoll. Bewegung in der Natur, eine gute Freundin treffen oder sich mit etwas Schönem belohnen, sind nur einige Möglichkeiten.
Schauen Sie auf das, was Sie schon geleistet haben!
Koslowski rät zu positivem Denken. Häufig schauten Pflegende auf Dinge, die noch erledigt werden müssen. "Sie sollten einmal den Blickwinkel verändern und darauf schauen, was Sie geleistet haben und was gut war. Das verändert das Denkmuster." Sie selbst hat positive Erfahrungen mit einem Dankbarkeitstagebuch gemacht, das sie seit vielen Jahren führt. "Ich schreibe jeden Abend zehn Dinge auf, für die ich dankbar bin. Das verändert das Denken."
Autorin: Martina Janning