Selbstverständlich braucht es ein gutes Drehbuch und hervorragende Darsteller. Anthony Hopkins (spielte unter anderem vor Jahren den Serienkiller Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“) ist „The Father“, an Demenz erkrankt und doch stets davon überzeugt, noch sehr selbstständig und seiner Sinne mächtig zu sein. Olivia Colman (unter anderem als Queen in der 3. Staffel „The Crown“ zu sehen) ist die verzweifelte Tochter, vor deren Augen sich die unabänderliche Verwandlung des Vaters vollzieht. 2020 wurde der Film auf dem Sundance Film Festival vorgestellt und sammelt seither Preise: einen Oscar für Anthony Hopkins (bester Hauptdarsteller) und einen weiteren für das beste adaptierte Drehbuch. Für Letzteres sorgte Florian Zeller (in Zusammenarbeit mit Christopher Hampton), dessen Theaterstück dem Film zugrunde liegt.
Der Film schildert die Realität des Vaters
Die Handlung ist schnell erzählt: Der Vater leidet an Demenz, seine Tochter, die ihn bislang pflegt, zieht ins Ausland. Ein Umzug ins Altenheim steht an. Das ist die eine Realität. Die, in der die Tochter lebt. Doch der Film – und das ist sein geschickter Plot – schildert eine ganz andere Realität: die des Vaters. Eine über alle Maße beunruhigende Welt. Mag ja sein, dass man damit klarkommt, dass ständig die Armbanduhr verschwindet. Aber wo ist das Bild, das gestern Abend noch über dem Kamin hing?
Wieso sieht meine Tochter heute ganz anders aus?
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Wie kann die Tochter behaupten, seine luxuriöse und seit mehr als 30 Jahren bewohnte Wohnung gehöre ihr? Ist das perfide Erbschleicherei? Wie vertrauenswürdig ist diese Tochter überhaupt? Wieso sieht sie heute völlig anders aus als gestern, behauptet aber trotzdem, dieselbe zu sein? Wer sind diese vollkommen unterschiedlich aussehenden Männer, die darauf beharren, jeweils Ehemann der Tochter zu sein? Und wie kommen diese unangenehmen Typen eigentlich dazu, ihn, einen Mann von immerhin hoher Bildung, zu fragen, wann er denn endlich damit aufhört, allen so derart auf die Nerven zu fallen …
Ist das noch meine Wohnung?
Mag der Vater sich anfangs noch für völlig selbstständig halten und geistig völlig bei Sinnen, so verändert sich doch die Wohnung und die Menschen um ihn herum in einem so beängstigendem Maß, dass er schließlich an der Realität verzweifelt. Ist das noch seine Wohnung? Seine Tochter? Deren Mann? „Wer bin dann ich?“, fragt er ganz verzagt, als ihm einen kurzen Moment lang klar wird, dass niemand der ist, für den er ihn gehalten hat. Dass er sich weder in seiner Wohnung befindet noch in einer ihm bekannten Umgebung. Nichts ist erkennbar, nichts verständlich, nichts vertraut.
Der Zuschauer fühlt sich verwirrt wie der Vater
Genau das macht „The Father“ zu einer guten Annäherung an das Thema Demenz, zu einem „Must have seen“ für Pflegekräfte. „Nimm es nicht persönlich“, möchte man Olivia Colman in ihren dunkelsten Momenten zurufen. „Er erkennt dich einfach nicht!“ Das Gefühl, bedroht zu werden, bestohlen zu werden, in einer fremden Umgebung zu sein – all das fühlt auch der Zuschauer mit. Kein Wunder, dass man hinterher reichlich desorientiert aus dem Kino taumelt.
„The Father“ zeigt, wie das vertraute Leben verschwindet
„The Father“ ist ein sehr guter Versuch, einen hilflosen Menschen in einer sich auflösenden Realität darzustellen. Er macht auch deutlich, dass Angehörige und Pflegekräfte in der Welt eines Menschen mit Demenz oft nichts weiter als Besucher sind, die wie die „Machthaber“ einer unbekannten Diktatur agieren: Sie wissen alles, sie bestimmen alles. Nachfragen sind nicht zulässig, bestenfalls lästig. Es wird gemacht, was angeordnet wird. Anziehen! Tabletten nehmen! Essen!
Dabei war doch bis gestern noch alles in Ordnung! Man hatte sein Zuhause, seine Eltern, sein geliebtes, vertrautes Leben. Wo ist das alles hin? Was ist passiert?
Man versteht „herausfordernde Verhalten“ völlig neu
Wer „The Father“ gesehen hat, wird ein so fast zu Tode diskutiertes Thema wie „herausforderndes Verhalten bei Demenz“ völlig neu verstehen: Umherwandern, Schreien, Aggression, Angst … das sind ganz normale Reaktionen. Oder wie würden Sie reagieren, wenn Sie feststellen, dass Ihre Tochter ganz anders aussieht als gestern, aber steif und fest behauptet, sie sei immer noch Ihre Tochter (und Sie wohl schon so gaga, dass Sie nichts mehr auf die Reihe kriegen…)
Bei „The Father“ können Sie mal wirklich in den Schuhen eines anderen gehen, aber Vorsicht: Der Weg ist abschüssig, die Schuhe drücken und das Ziel ist leider das völlige Verlöschen … (Gehen Sie also besser vor dem Kino ins Restaurant, denn nach dem Film haben Sie wahrscheinlich erst mal keinen Appetit mehr).
Autorin: Claudia Flöer
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