Ältere Menschen nehmen häufig viele verschiedene Medikamente ein. Die Nebenwirkungen und Wechselwirkungen können mit frühen Symptomen einer Demenzerkrankung verwechselt werden – Zum Beispiel:
- eine Minderung der Wachheit und Daueraufmerksamkeit (Vigilanz)
- kognitive Funktionseinschränkungen
- paradoxe Erregungszustände (etwa Agitiertheit, Wut)
- Halluzinationen
- motorische Sprechstörungen
- Gangunsicherheit durch Schwindel
- Benommenheit bis hin zu Koma (Achtung: erhöhtes Sturzrisiko!)
9 riskante Medikamenten-Gruppen
Dazu führen können vor allem Medikamente, die im Körper Einfluss auf den Botenstoff Azetylcholin nehmen. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Neurotransmitter, der die Signale zwischen den Nervenzellen übermittelt. Durch ihn kann der Körper lebenswichtige Funktionen steuern, wie beispielsweise den Herzschlag. Auch auf das Gehirn und seine Leistungen nimmt er Einfluss, unter anderem auf das Gedächtnis oder das Lernvermögen. Einige Medikamente vermindern die Konzentration von Acetylcholin, dazu zählen:
Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:
- Antihistaminika (wirken gegen Allergien) – sie können das kognitive Leistungsvermögen mindern.
- urologische Spasmolytika
- Antiemetika (wirken gegen Übelkeit)
- klassische Antidepressiva – sie können Delir-Symptome auslösen.
- Antidepressiva der Gruppe SSRI (selektive Wiederaufnahme-Hemmer) – Sie rufen häufig einen niedrigen Natriumspiegel hervor, was zu Verwirrtheitszuständen führen kann.
- Antihypertensiva (Blutdrucksenker) und kardiovaskuläre Arzneimittel (Arzneimittel, die auf die Herzkranzgefäße einwirken), insbesondere Clonidin und Alpha-Blocker
- klassische Neuroleptika: Einige Wirkstoffe wirken sich negativ auf die willkürliche Bewegungsfreiheit aus, Gefühle sind wie „eingefroren“ oder „um-panzert“, der Patient kann sie nicht mehr ausdrücken und kommunizieren. Die Mitteilungsfähigkeit wird erschwert, die geistige Aktivität, die Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit und das Vermögen, konstruktiv zu reagieren, werden gedämpft.
- Muskelrelaxantien
- Sedativa und Hypnotika (Beruhigungs- und Schlafmittel)
Die lange Liste macht deutlich: Bei Demenz-Symptomatik lohnt sich ein genauer Blick auf den Medikamentenplan.
Medikamente nicht auf eigene Faust absetzen!
Besteht der Verdacht, dass ein Patient mit demenzähnlichen Symptomen auf ein Medikament reagiert, sollten Sie dies dem behandelnden Arzt rückmelden. Er kann entscheiden, ob der Patient die Medizin absetzen soll oder ob er ihm ein anderes Medikament verschreibt. Keinesfalls sollte man die medikamentöse Behandlung auf eigene Faust abbrechen. Viele der betroffenen Arzneien müssen langsam ausgeschlichen, beziehungsweise umgestellt werden, darunter Antiepileptika und Benzodiazepine. Zudem wirkt die Mehrzahl der Medikamente gegen schwere Krankheiten, deren Symptome sich ohne Medizin schnell verschlechtern könnten.
Hilfreich: die Beer-Liste und die Interaktionsliste
Bereits 1991 erstellte der Geriater Mark H. Beers die sogenannte Beers-Liste mit problematischen Arzneistoffen für Senioren. Ein Expertengremium hat diese Liste immer wieder aktualisiert. Im Jahr 2015 erschien das vierte Update. Die bedenklichen Arzneimittelwirkstoffe für geriatrische Patienten wurden um eine „Interaktionsliste“ (Berücksichtigung der Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten) und um eine Liste mit Arzneimitteln ergänzt, welche die Nierenfunktion beeinträchtigen.
Priscus-Liste mit 83 riskanten Wirkstoffen
Auch die sogenannte Priscus-Liste fasst nach aktuellem Stand 83 Wirkstoffe aus 18 Stoffklassen zusammen, die mit erhöhten Gesundheitsrisiken für ältere Menschen verbunden sind. Zugleich werden weniger riskante, pharmakologische Alternativen vorgeschlagen.
Vorteil der Forta-Liste: Sie nennt Medikamenten-Alternativen
Ein weiteres Nachschlagewerk ist die Forta-Liste. Die aktuellste Fassung stammt von 2021. Sie kategorisiert 299 Substanzen beziehungsweise Substanzklassen für 30 alterstypische Krankheiten wie beispielsweise Schlaganfall oder Herzinfarkt. Die Besonderheit der Forta-Liste gegenüber den anderen beiden ist, dass sie nicht nur angibt, welche Medikamente der Arzt Senioren eher nicht verordnen sollte: Sie bietet auch Empfehlungen für besser geeignete Mittel.
Geriatrische Patienten neigen allerdings nicht nur durch die Nebenwirkungen von Medikamenten zu demenzähnlichen Zuständen. Auch eine Störung des Flüssigkeitshaushalts, akute Infektionen, Schlafmangel, psychische Ausnahmezustände oder Operationen können zu ähnlichen Symptomen führen.
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Text: Melanie Klimmer