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Was in der Krankenpflege unter der Bezeichnung „Skill-Mix“ läuft, wird unter den Bezeichnungen „multiprofessionelles Team“ oder „Care-Mix“ seit Jahren in der Altenpflege diskutiert. Gemeint ist hier wie dort die Zusammensetzung des Teams nach Berufsgruppen und Qualifikationsgraden. Sie arbeiten an einem Projekt zum Thema. Was wollen Sie herausfinden?
Wir leisten die wissenschaftliche Begleitung bei drei Projekten in Rheinland-Pfalz, die neue Personalkonzepte verfolgen. Wir evaluieren diese. Hierbei untersuchen wir, ob sich das Personalverantwortungs- und Organisationskonzept bewährt hat und wie die fachlichen Standards in Bezug auf Pflege-, Teilhabe- und andere Unterstützungsleistungen durch diese Veränderungen eingehalten werden. Darauf liegt unser Hauptaugenmerk.
Der andere Forschungsschwerpunkt ist die Frage, wie sich die Lebensqualität der Bewohner verändert. Der Zusammenhang zwischen dem Personalmix und der Lebensqualität der Bewohner ist bisher im Bereich der Altenpflege wenig erforscht. Wie ist das Forschungsprojekt aufgestellt?
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Es wird von Universität Köln in Kooperation mit der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar durchgeführt. Professor Schulz-Nieswandt und Professor Brandenburg leiten es. Wir sind gerade in der Startphase, entwickeln das Forschungsdesign und besuchen die Standorte der Einrichtungen.
Wie sieht der typische Personalmix in der Langzeitpflege aus und wie ist er zu beurteilen?
Sehr heterogen, abhängig vom Gesamtkonzept des Einrichtungsträgers. Die größte Gruppe bilden Pflegefach- und -hilfskräfte. Dazu kommen andere Berufsgruppen wie Hauswirtschaftskräfte und Sozialarbeiter. In der Altenpflege gibt es wenige akademische Stellen und die Aufgabenbereiche sind oft nicht klar definiert. Da bildet unser Arbeitsbereich eine Ausnahme zu anderen sozialen Handlungsfeldern. Ein großes Manko. Die Akutpflege ist hier viel weiter. In unserem Bereich sehe ich leider eher eine gegenteilige Tendenz, also zum Absenken der Qualifikation, zum Beispiel in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die generalistische Ausbildung.
In der Altenpflege gibt es eine weitere Ausnahme: die sogenannte Fachkraftquote. Vereinfacht gesagt bedeutet diese Vorgabe, dass mindestens 50 Prozent des Personals in einer stationären Einrichtung aus Pflegefachkräften bestehen. Diese Regelung stammt aus der Heimpersonalververordnung des ehemaligen Bundesheimgesetzes, das in Landesgesetze überführt wurde.
Wie stehen Sie als Pflegewissenschaftler dazu?
Die 50-Prozent-Marke ist historisch willkürlich gesetzt. Eine „Wohlfühl-Marke“, ohne eine empirische Grundlage. Als sie in den 90-ern eingeführt wurde, bedeutete das ein wichtiges Signal für eine bessere Pflege. Es gibt jedoch keinerlei wissenschaftlichen Beleg, dass dies ein Garant für eine bessere Pflege ist. Es wurden einige Übersichtsstudien durchgeführt, auch auf internationaler Ebene, die jedoch keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Fachkraftquote und Pflegequalität belegen konnten. Die Frage, die sich heute stellt, ist doch vielmehr: Was nützt uns eine hohe Fachkraftquote, die auf einen geringen Personalbestand angewendet wird?
Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf im heutigen Personalmix?
Sicherlich bei modernen Personalkonzepten und wie sie umgesetzt werden. Die Implementierung sollte unbedingt als partizipativer Organisations- und Entwicklungsprozess gestaltet sein. Das sichert den Rückhalt des Personals. Wichtig ist auch, alle Beschäftigten einzubeziehen, nicht nur Pflegekräfte, sondern auch Hilfskräfte, die Hauswirtschaftskräfte, kurz gesagt: alle Berufsgruppen, die in der Organisation tätig sind.
Damit dieser Prozess gelingt, muss er entsprechend moderiert werden. Am besten auch wissenschaftlich begleitet, wie jetzt in Rheinland-Pfalz. Heute gibt es in verschiedenen Bundesländern bereits Flexibilisierungsmöglichkeiten und die Fachkraftquote bezieht sich nicht mehr allein auf Pflegefachkräfte.
Wie sieht das genau aus?
Auch Rheinland-Pfalz gehört zu diesen Bundesländern. Geregelt ist das in der „Landesverordnung zur Durchführung des Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe“ (Paragrafen 13/14 LWTGDVO). Die Verordnung definiert Fachkräfte als Personen, die über eine abgeschlossene, mindestens dreijährige Ausbildung in einem pflegerischen Beruf verfügen, und als Personen, die eine dreijährige Ausbildung in bestimmten anderen Bereichen absolviert haben, etwa in einem sozialpflegerischen oder sozialpädagogischen Beruf.
Rheinland-Pfalz hat sich damit für eine sehr weite Flexibilisierung entschieden. Das birgt Gefahren, aber die Vorzüge überwiegen deutlich. Die Ausweitung ist ein absoluter Mehrgewinn, da sie viel besser an Personalkonzepte anzupassen ist.
Aber es geht doch auch darum, die Qualität zu sichern ...
Die Fachkraftquote ist ein gewisser Qualitätsgarant, aber bis zu welchem Grad, das erheben wir jetzt erst. Gute Pflege kann womöglich auch bei einem anderen Personalmix entstehen. Gute Pflege ist ein maßgeblicher Faktor, der in Personal-Diskussionen oft zu wenig Beachtung findet.
Ein Beispiel: In meiner Zeit als Hausleiter konnte ich zwei fähige Hilfskräfte nicht einstellen, weil es mir die Fachkraftquote verhagelt hätte. Sehr schade war auch, dass ich aus diesem Grund eine Heilerziehungspflegerin nicht beschäftigen konnte. In Baden-Württemberg ist das aus meiner Sicht sehr gut gelöst worden: Fachkräfte sind weiterhin Altenpfleger und Gesundheits- und Krankenpfleger. Andere Fachkräfte sind in der Landespersonalverordnung nicht per se auf die Fachkraftquote anrechenbar, aber es ist genau aufgelistet, wer eine Fachkraft sein kann.
Wie sieht es mit Nachtschichten aus?
Das ist eine schwierige Debatte. Eine Studie der Uni Witten-Herdecke hat ergeben, dass nachts eine Person für bis zu 52 Bewohner zuständig sein kann. Das ist katastrophal; eine fatale und gefährliche Situation. Es gibt Forderungen, dass 60 Bewohner von zwei bis drei Fachkräften versorgt werden müssen. Bei der jetzigen Situation ist eine qualitativ hohe Pflege oft nicht möglich.
Gute Pflege steht und fällt eben mit einem gute Personalkonzept – das heißt mit klar definierten Zuständigkeiten und konzeptionell stark verankert. Zudem sollte es in ein Gesamteinrichtungskonzept eingebettet sein, das zum Beispiel den Sozialraum einbezieht. Pflege ist heute mehr als Versorgung: Sie ist ein multiprofessionelles Geschehen. Manche Einrichtungen haben das erkannt, viele hingegen noch nicht.
Das Pflegestärkungsgesetz II schreibt ab Juni 2020 ein bundeseinheitliches Personalbemessungsverfahren für Pflegeeinrichtungen vor. Professor Rothgang von der Uni Bremen arbeitet an diesem Verfahren. Lässt sich schon sagen, inwieweit hier das Thema Personal-Mix eine Rolle spielt?
Das spielt eine große Rolle. Mit den Ergebnissen des Personalbemessungsprojekts wird eventuell alles ganz anders aussehen. Ein Zwischenergebnis ist, dass es einrichtungsindividuelle Qualifikationsstrukturen geben könnte. Das wäre ein Meilenstein.
Was möchten Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Ich empfehle Pflegeeinrichtungen, mehr Mut in ihren Personalkonzepten zu beweisen. Wir brauchen mehr Fantasie und die Bereitschaft zum Engagement aufseiten der Träger. Gefragt ist Mut, einfach zu erproben und Strukturen und Sektorengrenzen aufzubrechen. Das wird belohnt. Neue Konzepte sprechen sich herum und es kommen gute Bewerber, sprich: gute Kollegen!
Über David Leopold
Der examinierte Altenpfleger sammelte nach der Ausbildung zunächst Berufspraxis, dann studierte er Management im Gesundheitswesen und Pflegewissenschaft. Heute ist er als akademischer Mitarbeiter an der Katholischen Hochschule Freiburg beschäftigt und arbeitet mit am Projekt der Universität Köln zum Thema Personalmix und Fachkraftquote in der Altenpflege.
Interview: Heike Wehrbein