Foto: Maren Schlenker

Corona-Pandemie

Impfpflicht: Landesminister protestieren gegen Lauterbach

Landesminister und Verbände sind fast alle gegen eine Verlängerung der einrichtungsbezogene Impfpflicht. Nur der Gesundheitsminister hält an ihr fest. Jetzt hat er einen Protestbrief erhalten, mit unterzeichnet von einer Ministerin aus seiner eigenen Partei  

Das nennt man wohl größtmögliche Koalition. Heute Vormittag (20. Oktober) veröffentlichten die Gesundheitsministerinnen von Sachsen (Petra Köpping, SPD), Thüringen (Heike Werner, Die Linke) und Bayerns Gesundheitsminister (Klaus Holetschek, CSU) einen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und forderten einmal mehr das Ende der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.

„Gerade mit Blick auf die Versorgungssicherheit, aber auch auf den enormen Verwaltungsaufwand für die Einrichtungen und Gesundheitsämtern lehne ich eine Verlängerung über Ende 2022 ab“, so die sächsische Gesundheitsministerin an den Partei-Kollegen. „Sie ist schlicht nicht zu rechtfertigen. Wir wollen, dass die Menschen in den Pflegeeinrichtungen bestmöglich versorgt werden. Und dazu brauchen wir jede Pflegekraft. Wir können auf niemanden verzichten.“

Klaus Holetschek (CSU): „Mehr Schaden als Nutzen“

Für den bayerischen Gesundheitsminister bringt die Impfpflicht „mehr Schaden als Nutzen. Wir können es uns nicht erlauben, mit einer mittlerweile völlig überholten Maßnahme diesen Bereich weiter zu strapazieren, indem wir dringend benötigtes Fachpersonal, aber auch Auszubildende in andere Berufe oder ins benachbarte Ausland verdrängen.“

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Und Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner beklagt, dass sie bereits Anfang September den Bundesminister per Brief bat „bundeseinheitlich Klarheit zur Zukunft der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zu schaffen und eine Aufhebung dieser anzustreben. Eine Antwort steht leider bis heute aus.“

Ähnlich wie das Trio aus Sachsen, Bayern und Thüringen sehen es auch die meisten Gesundheitsminister der anderen Bundesländer, wie pflegen-online schon Anfang September berichtete. Manche schlugen schon Pflöcke ein: Die 3. Booster-Impfung, die seit Anfang Oktober verpflichtend ist, wird in den meisten Bundesländern nicht mehr von den zuständigen Gesundheitsämtern nachverfolgt.

Karl Lauterbach hält sich die Entscheidung offen 

Aus zuverlässiger Quelle erfuhr pflegen-online sogar, dass der Bund entschieden habe, die einrichtungsbezogene Impfpflicht auslaufen zu lassen. Offensichtlich ohne Zustimmung des Bundesgesundheitsministeriums. Auf unsere Anfragen zum Stand der Impfpflicht mit Verweis auf die Quelle: Schweigen im Walde. Hört man sich die letzten Äußerungen von Karl Lauterbach zur Verlängerung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht an, hält sich der Minister die Entscheidung offen: „Wir werden von dem Verlauf der Herbst- und Winterwelle abhängig machen, wie wir mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht umgehen", sagte er am 12. Oktober bei der Regierungsbefragung im Bundestag auf die Frage zum Ende der Impfpflicht.

DBfK, DKG, DRK, Paritätischer Gesamtverband – alle sind gegen die Impfpflicht  

Doch der Gegenwind wird täglich stärker. Denn nicht nur die Länder fordern das Ende der Impfpflicht. Bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestages am 12. Oktober forderten die meisten der befragten Fachverbände ein Ende der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) verwies darauf, dass eine einrichtungsbezogene Impfpflicht ohne eine allgemeine Impfpflicht keine Wirkung entfalten könne und empfahl das Impfpflicht-Ende. Kritisch äußerten sich auch die Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung (ÄFI). Die Sektor-Impfpflicht sei aus wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht nicht zu halten, da die Covid-Impfstoffe keinen relevanten Schutz vor Ansteckung anderer Personen und auch keinen nachhaltigen Schutz vor der eigenen Ansteckung mit Sars-Cov-2 böten.

So sieht das auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft und fordert die sofortige Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Die Argumente, dass die Impfung vor einer Infektion und einer Übertragung mit Viren schützt, müssten als hinfällig betrachtet werden. Daher seien Tätigkeitsverbote vor diesem Hintergrund nur schwer vorstellbar. "Insbesondere den in den Krankenhäusern Beschäftigten ist es nicht vermittelbar, warum sie zur Impfung verpflichtet und ansonsten mit Tätigkeitsverboten belegt werden, während die von ihnen betreuten Patientinnen und Patienten von diesen Regelungen nicht erfasst werden", heißt es in einer Stellungnahme.

DRK: Impfpflicht erschwert Personalplanung 

Nicht einmal von den Wohlfahrtsverbänden bekommt Karl Lauterbach Unterstützung. Beim DRK hält man die Impfung zwar „für eine wirksame Maßnahme in der Pandemiebekämpfung“, sieht aber die allein auf Einrichtungen bezogene Impfpflicht kritisch und spricht sich gegen eine Verlängerung der Regelung aus. „Die Umsetzung stellt die Träger und Einrichtungen seit Inkrafttreten vor enorme Herausforderungen, die gerade vor dem Hintergrund der angespannten Lage in der Pflege und des gravierenden Personalmangels nicht tragbar sind. Wichtige Rahmenbedingungen und damit verbundene arbeitsrechtliche Grundlagen wurden nie geklärt. Die Verantwortung für dadurch bedingte Freistellungen oder gar Kündigungen wurde allein den Einrichtungen überlassen. Die in den Bundesländern und Kommunen zudem sehr unterschiedlich strikt umgesetzte Regelung hat vielerorts im Hinblick auf Aussprache von Betretungs- und Beschäftigungsverboten zu Unsicherheit bezüglich der Personalplanung geführt“, so das DRK auf unsere Anfrage.

Ulrich Schneider: Geimpfte müssen die Impfpflicht ausbaden  

Auch Der Paritätische Gesamtverband fordert die „zügige Aufhebung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht“. In einem Brief des Hauptgeschäftsführers Ulrich Schneider an den Bundesgesundheitsminister heißt es, dass die „einrichtungsbezogene Impfpflicht letztlich auf dem Rücken geimpfter Mitarbeiter*innen vollzogen wird, die sich – und nicht erst seit der Corona-Pandemie – tagtäglich an und über ihrer Belastungsgrenze und zudem einem erhöhten Infektionsrisiko stark exponiert für das Wohlergehen und die Teilhabe ihrer Patient*innen, Klient*innen und Bewohner*innen einsetzen.“

Ebenso die privaten Pflegeeinrichtungen. Auch sie fordern das Ende der Impfpflicht. Der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa), Bernd Meurer: „Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist weitgehend wirkungslos und wirkt wie ein Relikt aus einer anderen Zeit der Pandemiebekämpfung. Die Pflege hat genug zu tun.“

Autor: Hans-Georg Sausse

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