Sabine Torgler arbeitet seit 13 Jahren als Registered Nurse (dreijährig Examinierte) in einem Krankenhaus in Bristol. Rund alle sechs Wochen kommt sie nach Deutschland, um Pflegekräften mit Fernweh „English for Nurses“ zu unterrichten. Was sie in diesen Kursen von einigen Pflegefachkräften erfährt, überrascht sie: Pflegeassistenten und Pflegehelfer richten und verteilen Medikamente auf Station, hängen Infusionen an. Es ist besser geworden seit Mitte der 90er, aber es kommt vor, noch immer. In Großbritannien wäre es undenkbar: Dort gibt es strenge Regeln, die niemand infrage stellt. Schließlich geht es um die Patientensicherheit.
Examinierte sind gefordert wie nie zuvor
In Deutschland gibt es eigentlich auch Regeln und definierte Vorbehaltsaufgaben – doch oft verschwimmen die Grenzen. Jetzt möglicherweise wieder leichter, denn der Personalmix (auch Skillmix genannt) hat zugenommen. Und nur wenigen Trägern ist klar, was die gemischten Teams für die Pflegefachperson bedeutet, die als dreijährige Examinierte nun mehr oder weniger allein dasteht in einer Schicht. Sie ist bei einem hohen Personalmix „Steuerstelle, bei der alle Fäden zusammenlaufen“, wie Sandra Bensch, Professorin für Pflegepraxis und -didaktik (Katholische Hochschule Mainz), es ausdrückt. War die Examinierte früher meistens Gleiche unter Gleichen, müsse sie jetzt alle Assistenzkräfte im Blick haben, die gesamte Situation überschauen, meint die examinierte Krankenschwester (Foto oben rechts).
Ursula Immenschuh: „Es herrscht ein regelrechter Kuschelethos“
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Was die Sache nicht einfacher macht: Bewusst mit einem Kompetenzgefälle leben, anderen Aufgaben auftragen, sie vielleicht sogar korrigieren – dies alles fällt vielen examinierten Pflegekräften schwer. Hierarchien seien unbeliebt in der Pflege, stellt die ehemalige Krankenschwester Ursula Immenschuh (Foto oben links) von der Katholische Hochschule Freiburg fest: „Viele haben Angst auszuscheren und aus dem Team herauszuragen. Es herrscht, wie der Krankenhausseelsorger Rainer Wettreck es in seinem Buch ‚Am Bett ist alles anders‘ nennt, ein regelrechter Kuschelethos: ja nicht in die Nesseln setzen, ja keine offenen Konflikte heraufbeschwören.“
Sind Pflegehelfer länger dabei, verschwimmen die Grenzen
Und so werden die Regeln für den Umgang mit den Vorbehaltsaufgaben, die eigentlich allen bekannt sind, immer wieder aufgeweicht: Eine Pflegehelferin bittet darum, die Medikamente stellen zu können, weil sie es bei ihrem früheren Arbeitgeber auch getan hat. Eine andere bietet an, die Infusion anzuschließen – schließlich kennt sie den Inhalt und auch den Patienten - was soll schon dagegen sprechen?
Aktionsbündnis: Pflegehelfer dürfen keinen Medikamente stellen!
Doch Hedwig François-Kettner (Foto oben Mitte) vom Aktionsbündnis Patientensicherheit warnt: „In vielen Kliniken gibt es durchaus Tätigkeitsprofile für die unterschiedlichen Qualifikationen – und das ist auch erforderlich, wenn unterschiedliches Wissen vorliegt. Aber erfahrungsgemäß verschwimmen die Grenzen zunehmend, wenn Assistenzkräfte länger dabei sind – dann übernehmen sie Tätigkeiten, für die sie nicht ausgebildet sind. Es darf zum Beispiel nicht passieren, dass Servicekräfte Patienten mit Schluckstörungen bei der Nahrungsaufnahme helfen.“
Vorsicht bei Medikation, Mangelernährung, Wundversorgung
Sicherlich gibt es stressige Momente, in denen es naheliegend scheint, eine Aufgabe wie Stellen oder Austeilen von Medikamenten an eine Assistenzkraft oder eine Pflegehelferin zu delegieren – besonders dann, wenn diese sich als gewissenhaft und zuverlässig erwiesen hat. Dennoch: Sie ist für die Tätigkeit nicht qualifiziert. „Hier gibt es eindeutige Grenzen“, sagt Hedwig François-Kettner, die bis zu ihrer Pensionierung vor einigen Jahren Pflegedirektorin der Charité war. „Immer da, wo es um Medikation, deren Wechselwirkung, aber auch um Wundversorgung oder Mangelernährung geht, ist die Pflegefachperson gefragt. Es passieren in deutschen Krankenhäusern und Pflegeheimen leider noch immer zu viele Fehler. Eine Ursache dafür kann ein laxer Umgang mit dem Personalmix sein.“
So klappt es mit dem Delegieren – 3 Tipps
- Doch was kann jede einzelne Pflegefachkraft tun, damit die Grenzen nicht verschwimmen? Ein wichtiger Ratschlag für Pflegefachpersonen lautet: Versuchen Sie konfliktfreudiger zu werden, arbeiten Sie an einem selbstsicheren Auftreten.
- Eine Verhaltensveränderung funktioniert aber meistens nicht auf Knopfdruck. Pflegewissenschaftlerin Sandra Bensch empfiehlt deshalb, die Pflegedirektion nach Schulungsangeboten zu fragen.
- Sie fürchten, dass das Management ablehnt? Verweisen Sie auf die Patientensicherheit! Machen Sie deutlich, wie wichtig es für Sie ist, bestimmte Mechanismen der Kommunikation und auch des Konfliktmanagements zu kennen. Es geht für Sie darum, kompetent delegieren zu können. Denn Sie werden vermehrt mit Situationen konfrontiert, in denen Sie diese Fähigkeiten brauchen: So sind Sie etwa angehalten, sich selbst davon zu überzeugen, ob Sie bestimmte Aufgaben an Assistenzkräfte oder Pflegehelfer delegieren können. Ohne eine gewisse Festigkeit im Auftreten ist dies kaum möglich.
Delegieren und Koordinieren für Pflegekräfte immer wichtiger
Im Grunde seien Krankenhausträger auch verpflichtet, die Kompetenzen von Pflegefachpersonen weiterzuentwickeln, meint Pflegewissenschaftlerin Sandra Bensch. Denn nach dem reformierten Pflegeberufsgesetz sind erstmals Vorbehaltsaufgaben für dreijährig Ausgebildete formuliert. Und diese Vorbehaltsaufgaben betreffen genau die notwendigen Kompetenzen wie Einschätzung, Koordination und Evaluation von Pflegediagnosen und -situationen. „Die Delegationskompetenz scheint zwar im Gesetz nur stellenweise auf, sie muss aber vor dem Hintergrund des immens hohen Bedarfs an Pflegepersonal und fachlich gebotener Pflegequalität eine genauso wichtige Rolle spielen."
Autorin: Kirsten Gaede
Der Artikel basiert zum großen Teil auf Beiträgen aus dem digitalen Magazin der Pflegekammer Rheinland-Pfalz