Unzuverlässig – so lässt sich milde formuliert das Verhalten der Caritas von voriger Woche beschreiben: Sie hat plötzlich und unerwartet ihre Unterstützung eines Flächentarifvertrags in der Altenpflege zurückgezogen. Damit ist das für viele Altenpflegekräfte so hoffnungsvolle und lange angekündigte Projekt von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vom Tisch gefegt. Das Projekt Flächentarifvertrag war auf die Zustimmung der kirchlichen Arbeitgeber Caritas und Diakonie angewiesen, in der Konzertierten Aktion Pflege hatten sie sich darin auch einig gezeigt mit dem Arbeitsminister.
Diakonie hat sich lauwarm verhalten
Doch jetzt hat sich das gemeinsame Ziel innerhalb weniger Tage in Luft aufgelöst. Die Tarifkommission der Diakonie, die nur einen Tag nach dem Ausscheren der Caritas tagen sollte, hat gar nicht mehr abgestimmt – aus Gründen, über die nun spekuliert wird: Lag sie auf einer Linie mit der Caritas, wollte sich aber nicht unbeliebt machen durch ein offizielles Nein? Handelte es sich um pure Solidarität mit der Caritas? Oder hatte sie schlicht die Zuversicht verloren, dass das Projekt Flächentarifvertrag noch gerettet werden könnte?
Geizig sind Diakonie und Caritas nicht
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Interessanter ist allerdings zu spekulieren, warum die Caritas so plötzlich den Flächentarifvertrag ablehnen. Ist ihnen die darin vorgesehene Mindestentlohnung zu hoch? Immerhin haben die für examinierte Kräfte angepeilten 18,50 Euro in der Branche ein gewisses Raunen hervorgerufen. Aber von Geiz getrieben, sind Caritas und Diakonie vermutlich nicht. Kirchliche Träger sind bekannt dafür, dass sie überdurchschnittliche Gehälter zahlen. Eine Fachkraft mit zehn Jahren Berufserfahrung kommt bei der Evangelischen Heimstiftung in Baden-Württemberg mit Zuschlägen sogar auf ein Gehalt von 4.206,58 Euro, wie der Träger auf Anfrage von pflegen-online vorrechnete. Die angesprochenen privaten Träger dagegen wollten keine konkreten Summen nennen.
Der verflixte Dritte Weg
Mangelnde Großzügigkeit kann es also nicht sein, die die Caritas hat ausscheren lassen. Wahrscheinlicher ist, dass sie ihre Privilegien nicht verlieren möchte: dass sie ihre Arbeitsverhältnisse weiterhin selbstbestimmt zu gestalten wünscht und es ablehnt, durch einen allgemeingültigen Tarifvertrag reguliert zu werden (Stichwort: Dritter Weg). Das würde auch erklären, weshalb Hubertus Heil so überzeugt wirkt, seine Gehaltsvorstellungen für die Altenpflege am Ende doch noch durchsetzen zu können.
Heil setzt jetzt auf die Pflege-Mindestlohn-Kommission
In einem Video-Statement zur Caritas-Absage, sagt der Bundesarbeitsminister nämlich, dass er jetzt auf die Pflege-Mindestlohn-Kommission setze. Diese Kommission wird bald zum fünften Mal zusammentreten und darüber entscheiden, wie es mit dem branchenspezifischen Mindestlohn in der Pflege nach dem 30. April 2022 weitergehen wird. Die Pflege-Mindestlohn-Kommission könnte dann relativ große Sprünge vereinbaren. Diese würden zwar nicht an das Niveau im ursprünglich geplanten Flächentarifvertrag heranreichen, vermuten Branchenexperten. Doch den privaten Trägern könnten sie trotzdem missfallen. Die Privaten hätten aber in der Kommission relativ wenig Möglichkeiten, den Vorstoß abzuwehren. Die Kommission hat acht Sitze und die privaten Träger besetzen nur einen davon. Es ist fraglich, ob sie bei dieser Konstellation eine Erhöhung des Mindestlohns gerichtlich zu Fall bringen könnten. Wäre es zu einer Einigung beim Flächentarifvertrag gekommen, hätten sie dies ganz sicher getan. Und was wäre da für Zeit verstrichen. Vielleicht hätten sie sich sogar durchgesetzt. Manche hielten das durchaus für möglich.
Auch wenn der Weg über die Pflege-Mindestlohn-Kommission für Hubertus Heil nur der zweitbeste ist: Vielleicht kommen die schlecht bezahlten Pflegekräfte auf dem weniger glamourösen Pfad der Pflege-Mindestlohn-Kommission schneller zu einem gerechteren Lohn.
[Erfahren Sie, wie viel konfessionelle und gemeinnützige Träger augenblicklich in der Altenpflege zahlen – in unserem Artikel Welche Träger richtig gutes Gehalt zahlen]
Autorin : Kirsten Gaede