Monika Hammerla ist Fachpflegekraft für Gerontopsychiatrie und Geriatrische Rehabilitation, außerdem Fachtherapeutin für Gedächtnistraining (Stengel Akademie Stuttgart). Im Schlütersche Verlag ist von ihr zuletzt das Buch Qualitätsmerkmal Beziehung: Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz. Expertenstandard, interne Qualität und MDK-Prüfung erschienen.
Als Expertin für Aktivierung und Betreuung bekomme ich viele Pflegeheime zu sehen und bin erstaunt, wie sehr sich dort die morgendlichen Zeitungsrunden etabliert haben. Da kommen alle Bewohnerinnen und Bewohner im großen Gemeinschaftsraum zusammen, ganz unabhängig von ihrer kognitiven Verfassung, und die Betreuungskraft liest aus der Zeitung vor. Welchen Sinn soll das haben? Die geistig fitten Bewohner sind selbst in der Lage, Zeitung zu lesen oder sich in Radio und Fernsehen zu informieren und die kognitiv eingeschränkten Bewohner können nicht folgen. Keiner hat etwas von dieser Veranstaltung, es ist reine Verwahrung.
Gewisse Wortefetzen erreichen die Bewohner mit Demenz aber doch. Wortfetzen, die sie jetzt, in Zeiten des Ukraine-Kriegs, in Panik versetzen können – Bomben, Panzer, Luftangriff, Flucht und so weiter und so fort. Sicherlich, alle alten Menschen haben den Zweiten Weltkrieg erlebt, sie zählen zur sogenannten Kriegsgeneration. Aber gesunde alte Menschen reflektieren. Nachrichten über den Ukraine-Krieg wecken sicherlich auch bei ihnen Erinnerungen, aber sie wissen, dass der Zweite Weltkrieg vorbei ist, sie können die Realität einschätzen.
Demenz: Ein falsches Wort, schon sind die Kriegsängste wieder da
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Bei Menschen mit Demenz braucht es aber nur eine kurze Äußerung oder ein Foto, schon rutschen sie wieder in die Situation von früher rein. Sie besitzen keine Filter, bekommen Angst, fangen an zu schreien. Bei ihnen ist deshalb erhöhte Achtsamkeit gefragt – man darf bestimmte Themen einfach nicht ansprechen. Diese unglückseligen Zeitungsrunden, sicherlich aus lauter Unbedarftheit veranstaltet, können aber viel Schaden anrichten. Gleiches gilt natürlich, wenn in Demenz-Bereichen die ganze Zeit der Fernseher läuft. So etwas kann man einfach nicht machen. Dort, wo eine gerontologische Fachkraft vor Ort ist, wie das der aktuelle Expertenstandard Demenz fordert, passiert so etwas natürlich nicht.
Eine gute Idee: Bildbände anschauen oder rausgehen
Fernsehen ist übrigens grundsätzlich kontraindiziert bei einer fortgeschrittenen Demenz. Menschen mit Demenz können die schnelle Bilderfolge gar nicht erfassen und die Geräuschkulisse macht ihnen Angst, sie sind sehr lärmempfindlich. In der Fachliteratur ist das alles ausgiebig beschrieben. Was Menschen mit Demenz brauchen, ist liebevolle, gleichförmige Anregung. Jahreszeitliche Themen eignen sich zum Beispiel gerade jetzt zum Frühlingsbeginn. Man könnte Frühblüher präsentieren, in den Garten gehen, sich Bildbände mit Gärten, Wäldern oder Schlössern anschauen. Eine Kollegin erzählte mir mal, dass sich manche Bewohner auch gern Zeitschriften wie „Landlust“ anschauen.
Wenn das Wetter schön ist, kann man auch im 20-Minutentakt mit den Bewohnern rausgehen. Zu viel Arbeit? Ich sehe das so: Die kleinen Spaziergänge beruhigen, geben Anregung, fördern guten Schlaf und sind gut für Knochen und Gemüt. Das gilt nicht nur für Menschen mit Demenz, das gilt für uns alle – auch für Betreuungskräfte.
Protokoll: Kirsten Gaede