Es ist ein märchenhafter Tarifvertrag, den die Gewerkschaft Verdi kürzlich mit den Waldkliniken Eisenberg ausgehandelt hat: 35 Stunden Woche statt 40 Stunden, 9 Prozent mehr Gehalt und 31 statt 30 Urlaubstag im Jahr – um nur die prominentesten Punkte zu nennen.
Der Haustarifvertrag ist ungewöhnlich wegen der 35-Stunden-Woche, die es bisher nur bei der AWO in Augsburg gibt – und er ist einzigartig: Die Regelungen im Tarifvertrag gelten ausschließlich für Verdi-Mitglieder. Die Gewerkschaft weist daraufhin, dass Tarifverträge streng genommen rechtlich immer nur für die Mitglieder der Tarifvertragsparteien gilt – „also auf der Seite der Gewerkschaften nur für ihre Mitglieder“, wie es in der Mitteilung von Verdi heißt. „In der Praxis behandeln Arbeitgeber ihre Beschäftigten aber in aller Regel gleich und wenden die Regelungen des Tarifvertrags auf alle Beschäftigten an. Hiermit wollen sie natürlich verhindern, dass alle Beschäftigten sich organisieren und Gewerkschaftsmitglied werden.“
Knackpunkt für Verdi: Nur Mitglieder können streiken
In der Verhandlung mit den Waldkliniken Eisenberg hat Verdi sich jedoch ausbedungen, die Mitgliedschaft zur Voraussetzung zu machen. Der Grund: Die Quote der Verdi-Mitglieder (der Organisationsgrad) in den Waldkliniken „tendierte gegen Null“ wie Dr. Norbert Reuter, Leiter der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung es ausdrückt. „Wenn die Mitarbeiter kaum organisiert sind, haben wir keine Durchsetzungsmöglichkeit.“ Knackpunkt ist die Möglichkeit zu streiken. Wer nicht Mitglied in einer Gewerkschaft ist, wird nicht streiken, denn er erhält kein Streikgeld. Das bekommen nur Gewerkschaftsmitglieder.
Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:
Das bedeutet: In einem Betrieb, in die Mitarbeiter nicht (oder kaum) organisiert sind, kann eine Gewerkschaft nicht mit Streik drohen. Es fehlt ein entscheidendes Instrument, um Forderungen durchzusetzen. Norbert Reuter: „Verhandelt eine Gewerkschaft ohne Streikfähigkeit, geht sie in die Verhandlung, ohne wirklich etwas durchsetzen zu können. Heraus kommt dabei ein schlechter Tarifvertrag.“
Mitglieder zahlen einen Prozent ihres Bruttogehalts Beitrag
Verdi gehe deshalb normalerweise erst ab einem Organisationsgrad zwischen 20 und 25 Prozent in Verhandlungen. Dass die Verhandlungen bei einem guten Organisationsgrad erfolgreich verlaufen, sich an den Unikliniken in Nordrhein-Westfalen gezeigt und in Berlin an der Charité und dem kommunalen Klinikverbund Vivantes.
Gut die Hälfte der rund 700 Mitarbeiter in den Waldkliniken Eisenberg ist inzwischen Mitglied bei Verdi und zahlt monatlich einen Prozent seines Bruttogehalts Mitgliedsbeitrag. „Ich hoffe, dass das Beispiel Schule macht“, sagt Norbert Reuter. Ein Problem könnte für Verdi allerdings die negative Koalitionsfreiheit werden. Sie bedeutet: Es darf eigentlich kein Zwang entstehen, der Gewerkschaft beizutreten.
[Sie legen Wert auf Exklusiv-Interviews und fundierte Recherche aus der Pflegebranche? Dann abonnieren Sie jetzt unseren Newsletter, damit Sie keinen neuen Beitrag auf pflegen-online mehr verpassen!]
Fest steht in jedem Fall: Von oben verordnen lässt sich das Modell Eisenberg ohnehin nicht, denn jede Tarifkommission, die sich bildet, ist frei in ihren Entscheidungen. Hinzukommt: In den vielen öffentlichen Krankenhäuser mit TVöD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst) wird sich das Modell Eisenberg nicht durchsetzen lassen, meint Norbert Reuter.
Extra-Info: Können die Waldkliniken sich das leisten?
Die Waldkliniken Eisenberg haben lange Zeit keinen Tarifvertrag gehabt. Da stellt sich die Frage, warum sie die besseren Arbeitsbedingungen und das höhere Gehalt nicht einfach ohne Verhandlungen mit Verdi eingeführt haben. Vermutlich ging es um die Finanzierung der vielen Verbesserungen: Mit einem Tarifvertrag ist im Grunde garantiert, dass die Krankenkassen die Personalkosten für die examinierten Pflegekräfte übernehmen. (Die fast bedingungslose Kostenübernahme der Pflegekräfte-Gehälter in den Krankenhäusern ermöglicht das Pflegebudget. Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat es 2019 gegen die Proteste der Krankenkassen durchgesetzt. Zuvor wurden diese Personalkosten aus den Fallpauschalen finanziert.)
Autorin: Kirsten Gaede