Foto: Wk-MedTec
Die Mitarbeiter im Altersstift zur Heimat in Sachsen testen gerade Händedesinfektion mit Kaltplasma. 

Händehygiene

Händedesinfektion mit Alkohol bald Geschichte?

Die alkoholbasierte Händedesinfektion ist für Pflegekräfte belastend: Sie greift die Haut bei dauerhafter Verwendung massiv an. Kaltplasma kann möglicherweise Abhilfe schaffen

Es scheint ein Stoff der Zukunft zu sein. Obwohl erst Ende der 90er-Jahre entdeckt, haben Kalte Plasmen schon eine erstaunliche Karriere hingelegt: Ingenieure nutzen sie für Raumfahrtantriebe, Agrarforscher steigern mit ihrer Hilfe das Pflanzen-Wachstum und bei der Reinigung von Industrieabwässern helfen sie biologisch schwerabbaubare Verbindungen zu neutralisieren.

Kaltplasma soll wirkungsvoller und hautschonender sein

Aber auch in der Medizin ist Kaltplasma ein heißes Thema. Denn mit ihm lassen sich chronische Wunden schließen, multiresistente Bakterien töten, desinfizieren und sterilisieren. Aber lässt sich dieses physikalische Verfahren auch in der täglichen Handdesinfektion einsetzen? „Ja“, sagt WK-MedTec-Geschäftsführer Timon Schorling. Das Unternehmen aus Bückeburg in Niedersachsen hat ein Desinfektionsgerät auf den Markt gebracht, das mit Kaltplasma betrieben wird. Es soll der herkömmlichen alkoholischen Desinfektion überlegen sein. Weil es besser und sicherer desinfizieren und die Haut nicht schädigen soll – der Horror aller Pflegekräfte.

Instrumente werden bereits mit Kaltplasma sterilisiert 

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Zuerst einmal: Was ist eigentlich Kaltplasma? Um das zu erklären, müssen wir in den Physik-Unterricht zurückkehren: Kaltplasma ist ein gasförmiger Mix niedriger Energie aus ionisierten Molekülen, Elektronen und Staubpartikel. Die Ionen bilden sozusagen das Salz in der Suppe: Verlieren Gasmoleküle einige ihrer Elektronen, wirken diese Ionen durch ihre elektrischen Felder auf die anderen Partikel ein. Ladungen verschieben sich, elektrische Ströme fließen. Die beweglichen Ionen und Elektronen verleihen mit ihren elektromagnetischen Feldern dem gasförmigen Materie-Cocktail besondere Eigenschaften. Eigenschaften, die zum Beispiel Bakterien, Viren und Pilzen den Garaus machen, indem sie die Zellmembranen der Organismen schädigen, was dann zu deren Absterben führt.

Und damit ist Kaltplasma der ideale Stoff für Desinfektion und Sterilisation. Oder? „Im Prinzip ja“, sagt Johannes Knobloch, Leiter der Abteilung für Krankenhaus-Epidemiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). „Wir wenden Kaltplasma auch in der Instrumente-Sterilisation an.“ Aber? „Der Begriff Kaltplasma ist wie Kraftfahrzeug: Darunter kann man ein Mofa, einen PKW oder einen Formel-1-Rennwagen verstehen – alles in ein Kraftfahrzeug“, ist die abwägende Antwort des UKE-Chefhygienikers. „Es gibt viele etablierte Verfahren uns es gibt viele Verfahren, die noch in den Kinderschuhen stecken.“

Krankenhaushygieniker wollen mehr Belege sehen 

Kaltplasma in der Händedesinfektion einzusetzen, hält Professor Knobloch theoretisch für eine gute Alternative zur alkoholischen Desinfektion: „Ich gieße mir keine Flüssigkeit über die Hände und kann mir dann rasch Handschuhe über die Hände zu ziehen.“ Nur „im Moment“ ist er noch skeptisch „weil es bisher kein etabliertes Verfahren ist und wir nur wenige Erfahrungen damit haben.“

Über jede Menge Erfahrung verfügt dagegen das junge Medizintechnik-Unternehmen WK-MedTec. Vor acht Jahren von dem Medizintechnik-Unternehmer und -Entwickler Wilfried Krömker gegründet, hat die Firma einen Hand Sanitizer auf den Gesundheitsmarkt gebracht, der mit kaltem Plasma die Hand-Desinfektion revolutionieren soll. Geschäftsführer Timon Schorling: „Unser Konzept ist weltweit einzigartig. Unser Wettbewerber ist das 120 Jahre alte Alkohol-Desinfektionsverfahren.“

Weniger Plastikmüll mit Kaltplasma-Händedesinfektion

Denn der Hand Sanitizer desinfiziert eben nicht mit Alkohol sondern mit einem patentierten Kaltplasma-Aerosol-Gemisch. „Hautpflegend“, „nachhaltig“ und „wirtschaftlich“ lautet das Versprechen an die Pflegekräfte. Timon Schorling: „Hautpflegend, weil der Hand Sanitizer nur Betriebswasser, Umgebungsluft und Strom zur Desinfektion braucht. Gründlich, weil er auch unter den Fingernägeln und Schmuck desinfiziert. Nachhaltig, weil der nachfüllbare Wassertank erst nach 2.000 Anwendungen wieder mit destilliertem Wasser befühlt werden muss und damit kein Plastikmüll entsteht. Und wirtschaftlich, weil nur für das destillierte Wasser und den Strom laufende Kosten anfallen.“

Flüssiges Händedesinfektionsmittel häufig falsch angewendet

Ganz billig allerdings ist die Anschaffung der Geräte nicht. Der Nettolistenpreis für ein Gerät beträgt 1350 Euro (netto).  Der Kostenvorteil gegenüber der Alkohol-Desinfektion ergibt sich „nach einem Jahr“, sagt Timon Schorling. Dann hätten sich bei häufiger Nutzung (rund 200 Anwendungen pro Tag) die Anschaffungskosten amortisiert.  

Bei den Vorteilen seines Hand Sanitizers legt sich der Geschäftsführer voll ins Zeug. Nicht nur der Verweis auf Studien, die belegen, dass neun von zehn Personen, die flüssiges Desinfektionsmittel benutzen, es falsch anwenden. Sein Gerät dagegen sei problemlos zu bedienen und sorge auch dank seiner audiovisuellen Leuchten und Töne, die den Desinfektionsvorgang begleiten, für sichere Desinfektion: „Unser patentiertes Kaltplasma-Aerosol-Gemisch ist so wirksam, dass es sogar die Bereiche zwischen den Fingern, unter den Fingernägeln sowie den Zwischenraum zwischen Schmuck und Haut erreicht.“ Immer wieder kommt im Gespräch das schlagende Argument für alle Pflegekräfte dass „im Gegensatz zu Alkoholen“ das Kaltplasma die „hauteigene Flora nicht schädigt“.

Zwölf Pflegeheime testen die Kaltplasma-Desinfektion gerade  

Allerdings: Eine Flasche mit der herkömmlichen Alkoholdesinfektion lässt sich mitnehmen und überall hinstellen, der Hand Sanitizer muss fest montiert werden. Ist also nicht überall in der Pflegeeinrichtung im direkten Zugriff. „Das stimmt“, gibt Timon Schorling zu. „Aber wir können die großen Laufwege bestücken. Im Eingang zum Beispiel, wo sich auch die Besucherinnen desinfizieren können. Oder auf den Fluren Geräte installieren, an Kreuzwegen auf den Etagen, im Küchenbereich, vor den Eingängen zur Gastronomie – es gibt also viele Möglichkeiten, die Geräte so zu platzieren, das immer eine Nähe zu den Mitarbeitenden und den Bewohner garantiert ist.“

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Die ersten zehn Pflegeinrichtungen haben den Hand Sanitizer schon als Alternative zur Alkoholdesinfektion im Einsatz. Zum Beispiel das Seniorenheim „Altersstift zur Heimat“ im sächsischen Geringwalde, wo es seit September im Eingangsbereich ein Gerät gibt. Das erste Feedback der Pflegedienstleitung, so Pressesprecher Jakob Nützler sei „sehr positiv“. Da die Benutzung „gut verständlich“ sei, „gerade durch die dreistufigen audiovisuellen Signale durch Leuchten und Töne, die anzeigen, wenn der Desinfektionsprozess abgeschlossen ist“, werde es von den Pflegekräften, den Besuchern und dem Pflegepersonal „gut angenommen“. Daher will der Träger, die Diakonie, die Geräte auch in weiteren Seniorenpflegeheimen und auch auf Sozialstationen testen.

Der Knackpunkt: Infektionsschutzgesetz und Krinko

Auch wenn schon ein knappes Dutzend Pflegeeinrichtungen das Kaltplasma-Gerät als Alternative zum Alkohol im Einsatz hat – die Einrichtungen bewegen sich in einer hygienischen Grauzone. Denn für die Hygiene gilt als rechtliche Grundlage das Infektionsschutzgesetz (IfSG). Und auf dieser Grundlage hat die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (Krinko) am Robert-Koch-Institut  (RKI) Empfehlungen für Pflegeheime, betreutes Wohnen und ambulante Pflege die „Infektionsprävention in Heimen“ erarbeitet. Und findet sich nichts zum Thema Desinfektion der Hände mit kaltem Plasma sondern einzig und allein die Alkohol-Desinfektion.

„Das ist noch unser wunder Punkt“, gibt Timon Schorling zu. „Die zurzeit gültigen Richtlinien schreiben die chemische Desinfektion vor. Und bei der Kaltplasma-Desinfektion handelt es sich um ein physikalisches Verfahren. Da braucht es noch einen Paradigmenwechsel in der medizinischen Fachwelt.“

Info: So funktioniert der Hand Sanitizer

  1. Die Hände in das Gerät stecken. Der Desinfektionsvorgang startet und übernimmt automatisch die empfohlenen „6 Schritte der Händedesinfektion“
  2. 8 Sekunden warten. Mit einem Signalton und dem Zeichen „Clean“ schaltet sich das Gerät aus und die Hände sind desinfiziert.

Autor: Hans-Georg Sausse

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