Nur rund die Hälfte der Pflegefachkräfte nimmt jährlich den Termin zur Grippeimpfung wahr. Dabei empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) ihnen auch in diesem Herbst die Impfung. Dr. Julia Neufeind von der Impfprävention des Robert-Koch-Instituts (RKI): „Pflegekräfte zählen zu medizinischem Personal und stellen eine mögliche Infektionsquelle für die zu betreuenden Patienten dar.“ Dabei handele es sich oft um Patienten, die wegen bestehender Grunderkrankungen ein erhöhtes Risiko haben, sehr schwer an Influenza zu erkranken, schlimmstenfalls sogar daran zu sterben. „Die Impfung dient aber auch dem persönlichen Schutz – weil Pflegekräfte häufiger mit Influenzakranken in Kontakt kommen.“
Corona- und Grippe-Impfung sind gleichzeitig möglich
Doch nicht nur bei Angestellten im Gesundheitswesen macht sich eine gewisse Impfmüdigkeit breit. Nach diversen Corona-Impfungen sinkt bei vielen die Bereitschaft, nun schon wieder an die Grippeimpfung zu denken. Einige befürchten auch, dass die wiederholten Corona-Impfungen und nun noch eine zusätzliche Influenza-Impfung irgendwann gesundheitsschädlich sein könnten. Dr. Mathias Pletz, Infektiologe vom Uniklinikum Jena sieht hier aber kein Problem: „Zu viele Impfungen für den Körper gibt es erstmal nicht. Denn wir haben ja täglich durch unsere Mitmenschen Kontakt mit zahlreichen Viren und anderen Erregern.“ Es sei ein normaler Prozess im Körper, damit fertigzuwerden.
Die Corona-Impfung (inklusive Auffrischungsimpfungen) und die Impfung gegen Influenza können, laut dem Experten, sogar zusammen verabreicht werden. „Da der Impfstoff gegen Influenza ein Totimpfstoff ist, gibt es hier keine Vorgaben für einen zeitlichen Abstand“, betont Mathias Pletz.
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Grippewelle so extrem wie in Australien nicht ausgeschlossen
Prof. Clemens Wendtner, Chefarzt der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing sieht das ähnlich: „Beide Impfungen können parallel verabreicht werden, beispielsweise im rechten Oberarm die Impfung gegen Corona, im linken die gegen Grippe. Nebenwirkungen könnten bei einem ‘doppelten Schuss’ höchstens etwas deutlicher ausfallen.“ Wer dafür anfällig sei, könne auch etwas Abstand zwischen den Impfungen lassen. Julia Neufeind vom RKI rät: „Eventuelle Impfreaktionen vorausgegangener Impfungen sollten vor einer erneuten Impfung vollständig abgeklungen sein.“
Eine gute Vorbereitung könnte vor allem in diesem Winter wichtig werden. Die seit dem Beginn der Pandemie befürchtete Kombination aus zahlreichen Covid-19-Infektionen und einer schweren Grippewelle könnte nun, nach dem Wegfall vieler Hygienemaßnahmen, tatsächlich eintreten. In vergangenen Jahren folgte häufig auf eine oder zwei schwächere Grippewellen, wieder eine starke. Clemens Wendtner weist auf die Erfahrungswerte anderer Länder hin: „Im australischen Winter – der ja von Juni bis August dauert – wurden 50.000 Menschen mit Grippe stationär behandelt. Für dieses relativ bevölkerungsarme Land ist das eine ziemlich hohe Zahl.“ Es sei daher auch von einer stärkeren Grippewelle in Deutschland auszugehen.
Infektiologe Wendtner: Grippe-Impfung ein Gebot der Kollegialität
Clemens Wendtner appelliert an die Kollegialität der Pflegefachkräfte: „Mitarbeiter, die sich selbst infizieren, fallen an ihrem Arbeitsplatz aus. Das bedeutet, dass andere Kollegen hier mit Zusatzschichten einspringen müssen und Dienstpläne nicht eingehalten werden können.“ Es sei deshalb auch ein Gebot der Fairness, sich impfen zu lassen.
Es ist noch nicht zu spät für die Grippe-Impfung
Doch wann ist der beste Zeitpunkt für die Influenza-Impfung? Laut Mathias Pletz macht sie Sinn, solange die Grippe zirkuliert. „Normalerweise dauert die Grippesaison bis etwa Ende März, in schweren Jahren bis Ende April.“ Der Höhepunkt sei meistens im ersten Quartal des Jahres zu beobachten. „Eine Impfung wirkt innerhalb von sieben bis vierzehn Tagen, sie schützt also auch noch, wenn sie erst Anfang des Jahres erfolgt. Allerdings ist es natürlich immer sinnvoll, sich so früh wie möglich gegen eine Infektion zu wappnen.“
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Grippe-Infektion kann Herzinfarkt-Risiko 10-fach erhöhen
Denn laut dem Jenaer Infektologen können durchaus auch jüngere Menschen schwer an Grippe erkranken. „Eine Grippeinfektion kann vor allem kardiovaskuläre Folgen haben, also beispielsweise eine Herzmuskelentzündung bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall.“ Untersuchungen hätten ergeben, dass bis zu vier Wochen nach einer Grippeinfektion das Risiko für einen Herzinfarkt um das 10-fache erhöht sei. „Es gibt auch bei der Grippe ein ähnliches Phänomen wie Long Covid. Vor diesen schweren Verläufen schützt die Grippeimpfung.“
Autorin: Melanie Thalheim