Zur Hochzeit der Corona-Krise erzählten einige Pflegekräfte und Pflegedienstleitungen, die Bedrohung von außen habe den Zusammenhalt im Team gefördert. Nach einer aktuellen Online-Umfrage des Neuropsychiatrischen Zentrum Hamburg (NPZ) von Juni 2020 handelt es sich dabei aber nicht um einen allgemeinen Trend. Von den über 400 Teilnehmern sagten
- 7 Prozent, dass Unstimmigkeiten und Mobbing im Team abgenommen hätten
- gut 20 Prozent, es hätte sogar zugenommen
- die meisten (45 Prozent), die Situation sei unverändert.
Nur 27 Prozent antworteten, es gebe bei ihnen grundsätzlich keine Unstimmigkeiten und Mobbing im Team.
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Mobbing: Pflegekräfte suchen häufiger Hilfe als andere Berufsgruppen
Das bedeutet: 65 Prozent der Umfrage-Teilnehmer beobachten in ihrem Team Mobbing. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Beobachtung von Lothar Drat, Leiter des Vereins gegen psychosozialen Stress und Mobbing (VPSM). Pflegekräfte suchten überdurchschnittlich häufig Hilfe zum Thema Mobbing, sagt er. Der VPSM führt bundesweit Beratungsstellen, dort beobachte man einen deutlich gestiegenen Beratungsbedarf.
Mobbing ein Problem in der Pflege: 4 Studien, die diesen Eindruck stützen
- Schon im Mobbing-Report, einer Repräsentativstudie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus dem Jahr 2002, hat sich gezeigt, dass Pflegekräfte einem erhöhten Mobbingrisiko ausgesetzt sind. Weitere Befragungen bestätigen dieses Ergebnis:
- Laut der „Bestandsaufnahme in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz“ (2018) haben 38 Prozent der deutschen Befragten aus sozialen Berufen bereits Mobbing erlebt. Unabhängig vom Berufsfeld seien Vorgesetzte in nahezu der Hälfte der Fälle an Mobbing beteiligt, so die Studie, die das Bündnis gegen Cybermobbing e. V. mit Unterstützung der INTER-Versicherungsgruppe erhoben hat. Insgesamt wurden 4.001 Personen befragt, davon stammten 2.000 aus Deutschland.
- Eine frühere Umfrage des Neuropsychiatrischen Zentrums Hamburg (NPZ) auf dem Deutschen Pflegetag 2019 unter Pflegekräften aus der ambulanten Pflege, aus Pflegeheimen, Krankenhaus, Palliativpflege und Verwaltung stellt fest: Ein Drittel klagt über Mobbing und Unstimmigkeiten in den Teams.
- Das OP-Barometer 2019 zeigt: Pflegekräfte aus dem Operations- und Anästhesiebereich fühlen sich vermehrt Mobbing ausgesetzt. 52 Prozent der Befragten äußern, dass Mobbing eine Rolle an ihrem Arbeitsplatz spiele; 2017 sagten dies 38 Prozent. 1.633 Pflegekräfte aus deutschen Kliniken haben an der Umfrage teilgenommen, die alle zwei Jahre von der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) durchgeführt wird.
VPSM-Experte Drat: Die Gründe? Leistungsdruck und Stress
„Auffallend viele Ratsuchende kommen aus der ambulanten und stationären Altenpflege, Krankenhäusern und dem sozialen Bereich“, so Drat. „Die Rahmenbedingungen in der Altenpflege und in den Krankenhäusern haben sich aus der Sicht vieler Mitarbeiter in den vergangenen zwei Jahrzehnten wesentlich verschlechtert. Extremer Leistungsdruck und Stress fördern die Entstehung von Konflikten, in Teams wird dann gern ein Blitzableiter gesucht – und letztlich auch gefunden. Nicht selten erleben wir zudem Machtspiele in einem kranken System, in dem Frühsignale übersehen oder ignoriert werden und kaum Konfliktmanagement betrieben wird.“
„Macht der Mobbing-Zuschauer wird unterschätzt“
Werden solche Konflikte nicht aufgelöst, können sie letztlich in Mobbing münden, das weit über kleine Ärgernisse im Arbeitsalltag, über vereinzelte Kritik oder Witzeleien hinausgeht. „Immer wenn Angriffe sich auf eine Person konzentrieren, häufiger und systematisch erfolgen, sollte genauer geprüft werden, ob ein Mobbingprozess vorliegt“, sagt Drat. „Wir unterscheiden bei solchen Verfahren drei Gruppen: Täter, Opfer und Ermöglicher beziehungsweise Zuschauer. Die Macht und die Verantwortung gerade der Zuschauer wird in den meisten Fällen deutlich unterschätzt.“
Psychiater Schürgers: Selbstbewusste neigen nicht zum Mobbing
Mobbing ist Machtmissbrauch – und „wird in der Regel nicht von einer starken Persönlichkeit ausgeübt“, sagt Prof. Dr. Georg Schürgers, Psychiater und Leiter des Bereichs Gesundheit, Prävention und Rehabilitation an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg). Vielmehr fände sich bei Menschen mit ausgeprägt destruktiven Kommunikationsformen oftmals ein tiefer liegendes Gefühl der Insuffizienz, das mit einer besonderen Machtbetonung übertönt werde.
Mobbing häufiger in wenig strukturierten Arbeitssituationen
Dass klinische Institutionen traditionell sehr hierarchisch organisiert sind, müsse Mobbingprozesse hingegen nicht zwangsläufig begünstigen, so Schürgers. „Hierarchien können durchaus einen stabilisierenden Rahmen bilden und senken die Wahrscheinlichkeit, dass Personen vereinzelt in die Ecke getrieben werden. Interessanterweise entstehen derartige negative Kommunikationsformen durchaus häufiger in vermeintlich offenen und wenig strukturierten Arbeitssituationen, in denen einzelne Personen Machtpositionen aufbauen, die sie destruktiv nutzen.“
Eine unmögliche Chefin kann den Zusammenhalt fördern
So sei eine cholerische Führungskraft, die regelmäßig alle reihum zur Schnecke mache, zwar auch schrecklich. Eine solche Führungsschwäche bewirke aber nicht selten eher noch eine Erhöhung des Teamzusammenhalts, wenn sich die Betroffenen solidarisierten und gegenseitig emotional unterstützten. Zielgerichtetes Mobbing dagegen untergräbt jedes Team – was geschieht, wenn der Zusammenhalt fehlt und die Schikane einzelner Mitarbeiter von Vorgesetzten nicht unterbunden, sondern stattdessen noch befeuert wird, beschreibt Eva Ohlerth, Altenpflegerin und Autorin des Buches „Albtraum Pflegeheim“ (Riva), im Interview „Wer gut arbeitet, wird gemobbt“.
Autorin: lin/kig