Wie hältst du’s mit der Impfung? Für Pflegekräfte dürfte diese Frage bald nicht nur eine Gewissensentscheidung, sondern eine existentielle Frage werden. Zwar herrschen hierzulande (noch) keine Verhältnisse wie in Südtirol, wo impfunwillige Angestellte des Gesundheitsdienstes bis zum Jahresende ohne Lohn und Arbeit auskommen müssen, falls keine anderweitige Verwendung für sie ohne Patientenkontakt gefunden wird. Rechtsgrundlage für die rigorose Suspendierung ist ein Dekret der Regierung in Rom vom 1. April, wonach für Mitarbeiter in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes faktisch eine Impfpflicht gilt.
Verdi verweist auf Direktionsrecht des Arbeitgebers
Aber auch hierzulande gibt es etwa „die Nebenpflicht eines Mitarbeiters, seinem Arbeitgeber keinen Schaden zuzufügen“. Diese Nebenpflicht wiege gerade bei Berufsgruppen in Kliniken und Pflegeeinrichtungen „deutlich schwerer“ als die Tatsache, dass (noch) keine Impfpflicht, berichtet die F.A.Z. Auch die Gewerkschaft Verdi warnt: „Grundsätzlich gilt: Es gibt keine Impfpflicht. Beschäftigte müssen sich auch nicht gegen das Corona-Virus impfen lassen. Der Arbeitgeber hat aber ein Direktionsrecht (oder Weisungsrecht) und ist für den Gesundheitsschutz im Betrieb verantwortlich. Das kann auch bedeuten, nicht geimpfte Beschäftigte aus Gründen des Gesundheitsschutzes abzuziehen, zum Beispiel sie nicht mehr auf einer Station mit Covid 19-Patienten einzusetzen.“
Wer eine Impfung beharrlich verweigert, muss also auch hierzulande mit einer internen Versetzung oder gar Freistellung rechnen. So hat es bei der Caritas habe es bislang zwar noch keine Sanktionen gegen Mitarbeiter gegeben, schreibt die F.A.Z. Impfunwillige Mitarbeiter seien aber anderweitig eingesetzt worden. Das Klinikum Ludwigshafen (und wohl auch in andere Krankenhäuser) klopfen Bewerber auf ihre Haltung zur Corona-Impfung ab, auch verwehrt es Impfverweigern den Aufstieg in höhere Positionen.
[Lesen Sie hier, warum sich das Klinikum Ludwigshafen für eine harte Linie im Umgang mit ungeimpften Pflegekräften entschieden hat.]
Im IfSG taucht jetzt das Wörtchen „Beschäftigungsverhältnis“ auf
Die „Verunsicherung bei Arbeitgebern und Pflegekräften“ habe zugenommen, seit die Bundesregierung das Infektionsschutzgesetz vor einem Jahr mit § 23 a ergänzte, betont die immerda GmbH Oldenburg in dem nach eigenen Angaben meistgelesenen Artikel ihres Website-Blog. Der ambulante Intensivpflegedienst weist darauf hin, dass jetzt alle Arbeitgeber in Kliniken, Arztpraxen und Pflegediensten ihre Angestellten nicht nur nach ihren Impfungen befragen dürfen: Die in dem Gesetz vorkommende Formulierung „über Art und Weise einer Beschäftigung zu entscheiden“ bedeute immerhin auch, dass es fraglich sei, „ob“ jemand überhaupt weiter beschäftigt werden könne. Insbesondere dann, wenn keine passenden freien Stellen für ungeimpfte Mitarbeiter vorhanden seien, auf die der Arbeitgeber sie versetzen könne. Oder wenn der damit verbundene organisatorische beziehungsweise finanzielle Aufwand für den Arbeitgeber zu hoch sei. Das Gesetz wurde vor einem Jahr beschlossen und im Juni für weitere drei Monate verlängert. Es gilt also mindestens noch bis Ende September.
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Infektionsschutzgesetz § 23 a im Wortlaut
§ 23a Personenbezogene Daten über den Impf- und Serostatus von Beschäftigten1 Soweit es zur Erfüllung von Verpflichtungen aus § 23 Absatz 3 in Bezug auf übertragbare Krankheiten erforderlich ist, darf der Arbeitgeber personenbezogene Daten eines Beschäftigten über dessen Impf- und Serostatus verarbeiten, um über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder über die Art und Weise einer Beschäftigung zu entscheiden. 2 Dies gilt nicht in Bezug auf übertragbare Krankheiten, die im Rahmen einer leitliniengerechten Behandlung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr übertragen werden können. 3 Im Übrigen gelten die Bestimmungen des allgemeinen Datenschutzrechts.Fassung aufgrund des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19.05.2020 (BGBl. I S. 1018), in Kraft getreten am 23.05.2020.
Kleinere Heime und Kliniken im Nachteil
Noch gebe es hierzu zwar keine Gerichtsurteile, gibt Immerda zu bedenken, „aber wie anders soll man die gesetzliche Formulierung verstehen, als dass Arbeitgeber alle Pflegekräfte (bzw. Personal mit Patientenkontakt) versetzen und auch entlassen dürfen, wenn sie die gesetzlich vorgeschriebenen Impfungen verweigern?“ Insbesondere dann, wenn der Betrieb nicht sehr groß sei und man ungeimpfte Pflegekräfte in Bürojobs versetzen könne, denn: „Welcher Pflegedienst und welche Arztpraxis kann das schon?
Arbeitgeber riskieren „Organisationsverschulden“
Hinzu kommt eine sich aus § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ableitende Schadenersatzpflicht für fahrlässige Körperverletzung: Geschäftsführungen haften für Gesundheitsschäden („Organisationsverschulden“), die ihre Mitarbeiter fahrlässig verursachen. „Arbeitgeber, die ungeimpfte und dadurch ungeeignete Mitarbeiter mit Patienten Kontakt haben lassen, erfüllen die Kriterien des Selektionsverschuldens“, warnt der Oldenburger Intensivpflegeanbieter. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis ein Angehöriger eines infizierten ambulanten Pflegepatienten den Pflegedienst verklage.
Für Pflegekräfte sei es daher „aus drei Gründen auf jeden Fall ratsam, sich gegen relevante Krankheiten impfen zu lassen“:
- um der Verantwortung gegenüber ihren (meist geschwächten) Patienten gerecht zu werden
- um nicht haftbar für die Übertragung von Krankheiten zu sein.
- um eine Versetzung / Kündigung zu vermeiden.
Auch Verdi rät allen Beschäftigten im Gesundheitsbereich, „sich auf Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine Impfung zu entscheiden“.
Autorin: Birgitta vom Lehn