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Wenn die Patientin verwirrt scheint, ihre Gedanken kreisen, sie Pflege abgelehnt – dann heißt das noch lange nicht, dass sie Demenz hat. 

Pflege und Praxis

Erkrankungen, die oft mit Demenz verwechselt werden

Nicht wenige Erkrankungen und Mangelzustände im Alter verursachen Symptome, die für eine Demenz typisch sind. Ein Überblick über die häufigsten Demenz-Differentialdiagnosen

Es war Sommer, der Patient, etwas älter, war verwirrt, sprach unzusammenhängend. Er litt unter Exsikkose. Dann bekam er Infusionen, am nächsten Tag spazierte er vollständig orientiert über den Flur. Nicht immer ist die Situation so klar wie in diesem  Fall: Die Differenzialdiagnostik kann bei Demenz ähnlichen Symptomen bis zu einem halben Jahr dauern. Denn sie sollte gründlich sein, gibt es doch eine ganze Reihe von Ursachen, die demenzielle Symptome verursachen können, aber keine Demenz sind.

Eine gründliche Krankenbeobachtung ist entscheidend, denn es gibt viele Grunderkrankungen und Umstände, die im Alter den Anschein einer Demenz erwecken können, etwa:

  • ein Delir
  • unerwünschte Medikamentenwirkungen
  • Polypharmazie
  • Gewalt in der Kommunikation
  • reaktivierte Trauma-Erfahrungen
  • unerkannte Schmerzen
  • legitime Abwehrmechanismen

Unbehandelte Grunderkrankungen können demenzähnliche Symptome hervorrufen wie:

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  • Verwirrtheit
  • Orientierungs-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
  • paradoxe Erregungszustände
  • Gangunsicherheit oder psychotische Symptome wie Halluzinationen

Doch welche Grunderkrankungen sind es die demenz-ähnliche Symptome hervorrufen? Hier nur ein paar Beispiele, die häufiger auftreten:

1. Exsikkose (Austrocknung des Körpers)

Mit zunehmendem Alter kann das Durstempfinden zurückgehen. Schmerzen oder Einschränkungen bei der Mobilität oder einfach nur die Absicht, niemandem zur Last fallen zu wollen, können dazu führen, dass geriatrische Patienten auf das Trinken verzichten. Sind die Hand- und Fingergelenke bei Rheuma, Parkinson, Kontrakturen nach Operationen und anderem bewegungseingeschränkt, fehlt oft auch die Kraft oder die Grob- und Feinmotorik, um Schraubverschlüsse von bereitgestellten Flaschen zu öffnen. Stehen Trinkgläser und Schnabelbecher für Personen mit Gangataxie, Schwindelsymptomen oder nach Narkose auch noch außer Reichweite, werden sie sich sicherlich nicht selbstständig auf den unsicheren Weg machen.

Weitere Ursachen für eine Dehydrierung:

  • höhere Außentemperaturen
  • Infektionen und Fieber
  • erhöhte Harnausscheidung, zum Beispiel bei der Behandlung mit Diuretika (entwässernden Medikamenten) oder unter Lithiumtherapie
  • diverse Grunderkrankungen, die mit starkem Schwitzen einhergehen, zum Beispiel bei Hyperglykämie (Überzucker) oder Diabetes insibitus.

Die Austrocknung des Körpers lässt sich durch aufmerksame Beobachtung des Hautzustands (stehende Hautfalten) und Zungen- und Lippenfeuchte (trocken) rechtzeitig verhindern. Dabei ist zu beachten, dass auch manche Medikamente zu Mundtrockenheit und verminderter Schweißsekretion führen können, wie trizyklische Antidepressiva, Antihistaminika, Benzodiazepine, Neuroleptika, Opiate oder Propofol. Mit regelmäßiger Unterstützung bei der Flüssigkeitsaufnahme und bei Toilettengängen ist eine Exsikkose weitgehend gebannt.

2. Mangelernährung, Defizite im Elektrolyt- und Vitaminhaushalt

Durch Mangelernährung und verschiedene Medikamentenwirkstoffe kann es zu Defiziten im Elektrolyt- und Vitaminhaushalt kommen:

  • Ein Mangel an Vitamin B1, B6, B12 und Folsäure kann sich in Verhaltensauffälligkeiten äußern.
  • Protonenpumpenhemmer zur Hemmung der Magensaftsekretion können einem Mangel an Vitamin B 12 und damit zu neurologischen und kognitiven Ausfällen führen und werden in der stationären Akut-Geriatrie am häufigsten abgesetzt.

3. Überdosierung von Vitaminen oder Mineralstoffen

Andererseits kann eine Überdosierung von Vitaminen oder Mineralstoffen ebenfalls zu demenzähnlichen Zuständen führen. Zuviel Kalzium im Blut (Hyperkalzämie) kann  sich beispielsweise auf das Gehirn auswirken. Die Folgen können Verwirrtheitszustände bis hin zu Psychosen sein.

Hyperkalzämie kommt zum Beispiel vor bei:

  • maligner Tumorbildung
  • Vitamin-D-Überdosierung (Intoxikation mit Cholecalciferol)
  • Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose)
  • bestimmten medikamentösen Therapien, etwa mit Thiazid-Diuretika, Lithium oder Theophyllin

Demenz, Delir, Depression

Nicht hinter jedem auffälligen Verhalten steht eine "Demenz“.
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4. Endogene Depression

Eingekleidet in das Erscheinungsbild einer scheinbaren Demenz (Pseudodemenz) geht die endogene Depression mit formalen Denkstörungen einher, das heißt mit: eingeengtem, kreisendem, verlangsamtem und gehemmtem Denken. Die kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten sind jedoch nur scheinbar eingeschränkt.

5. Delir

Delirien können sich bei geriatrischen Patienten durch verschiedene Gegebenheiten einstellen. Die Symptome unterscheiden sich von einer Demenz durch ihr plötzliches Auftreten.

Kennzeichen eines Delirs sind:

  • akute Verwirrtheit
  • plötzlich eingeschränkte Bewusstseinslage
  • plötzlich geminderte und/oder gesteigerte Psychomotorik
  • Tag-Nacht-Umkehr
  • plötzlich stark beeinträchtigte Kognition
  • psychotische Situationsverkennung und Halluzinationen.

Delirien treten bevorzugt im höheren Lebensalter auf, da Nieren- und Leberleistungen nachlassen können, kommen aber auch in jüngeren Altersgruppen vor, sogar bei Kindern. Delirien treten insbesondere auf

  • bei Medikamentenüberdosierung, Polypharmazie, anticholinergen Arzneimittelwirkstoffen oder auch durch den Entzug von Benzodiazepinen
  • postoperativ nach Anästhesie, nach Intubation und Hypoxie
  • nach Sepsis und Infektionen, zum Beispiel versteckten Harnwegsinfektionen
  • nach metabolischen Entgleisungen
  • bei Hypo- oder Hyperglykämien
  • bei stark reduzierter oder versagender Nieren- oder Leberfunktion
  • bei Dehydratation (siehe auch weiter oben unter 1. Exsikkose)
  • Traumata und Stress
  • Umgebungswechsel, zum Beispiel Krankenhauseinweisungen, Verlegungen

Delirien lassen sich in der Regel vermeiden mit: einfachen, orientierenden Pflegemaßnahmen, ausreichender Flüssigkeitssubstitution, einer zugewandten Bezugspflege, Frühmobilisation und nicht zuletzt mit einem Verzicht auf unnötige Krankenhauseinweisungen und Verlegungen.

6. Unerkannte Schmerzen

Manchmal können bei geriatrischen Patienten auch unerkannte Schmerzen Symptome hervorrufen, die denen der Demenz ähneln. Ablehnendes Verhalten, Unruhezustände, eigenartige Lautäußerungen, Rufen oder missbilligende Äußerungen sollten deshalb nicht vorschnell auf degenerative Prozesse im Gehirn zurückgeführt werden. Hilfreich für die Erfassung und Fremdeinschätzung von Schmerzen sind unter anderem das Assessment zur Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BEDS) und die Behavioral Pain Scale (BPS).

Kann ein Patient sich nicht ausreichend äußern, geben eine Reihe von Merkmalen Aufschluss über den Grad der Schmerzen:

  • Atmung: angestrengtes, kurzatmiges, hyperventilierendes Atmen oder gar Cheyne-Stroke-Atmung
  • Lautäußerungen (Stöhnen, aber auch missbilligende Äußerungen, Rufen, Weinen)
  • Mimik (Grimassieren)
  • Körpersprache (nervöse Bewegungen, Nesteln bis hin zu Schlagen und Wegstoßen)
  • Intoleranz gegenüber medizinischen Maßnahmen (an Schläuchen zerren)
  • der oder die Betroffene lässt sich nicht beruhigen und trösten 

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7. Dysstress

Selbst gesunde, junge Menschen können in besonderen Stresssituationen kognitive, emotionale, vegetativ-hormonelle und muskuläre Reaktionen zeigen, die demenzähnlichen Symptomen nahekommen:

  • Aufmerksamkeits-, Gedächtnis-, Konzentrations- und Orientierungsstörungen
  • vegetative Störungen, wie Schwitzen, Herzrasen, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
  • erhöhte muskuläre Anspannung, wie Zittern und motorische Unruhe
  • ausgeprägte Reizbarkeit und Aggressionsbereitschaft, aber auch Angstzustände

„Herausforderndes Verhalten“ bei geriatrischen Patienten kann immer ein Ausdruck sein von Verzweiflung, Angst und Unsicherheit. Mit einfachen Mitteln wie Zuhören, Verbalisieren oder Hilfe bei der Orientierung lassen sich viele Patienten beruhigen.

Dystress tritt besonders nach kritischen Lebensereignissen auf, wie

  • dem Tod eines geliebten Menschen
  • einem Umzug aus gewohnter Umgebung in eine stationäre Pflegeeinrichtung oder einer plötzlichen Krankenhauseinweisung
  • Einsamkeitserfahrungen und fehlender Ansprache
  • einer isolierten Unterbringung (etwa während der Corona-Pandemie)
  • bei chronischen Belastungen und belastenden Erkrankungen, mit den ein Umgang damit erst erlernt werden muss (zum Beispiel nach Apoplexie).

Auch frühere Trauma-Erfahrungen können durch vergleichbare Ohnmachtssituationen wiederbelebt werden und plötzlich zu Schlafstörungen, Angstzuständen, plötzlichen Verwirrtheitszuständen oder sogar zu einer beginnenden Demenz führen.

Autorin: Melanie M. Klimmer 

 

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