Dienstautos für ambulante Pflegedienste müssen nicht schick sein. Aber praktisch. Viele der schätzungsweise 150.000 Pkw, mit denen Mitarbeiter von Pflegestationen in Städten und Regionen deutschlandweit ausschwirren, sind das eher nicht. „Wo stelle ich meine Desinfektionsflasche hin? Das ist ein typisches Problem“, sagt Philip Müller, Projektleiter bei der e.GO Mobile AG in Aachen. „Die fliegt immer durch das Fahrzeug, macht Flecken auf den Sitzen – aber man muss sie ja schließlich immer benutzen, nach jedem einzelnen Besuch.“
Auto-Innenraum: wunder Punkt in der ambulanten Pflege
Nicole Honrath, examinierte Pflegekraft bei der Caritas Aachen, erzählt, dass sie ihre Tasche mit den Patientenunterlagen lieber griffbereit, aber sichtgeschützt im Innenraum parat hätte. Seit Diebe ihr das Fenster auf der Beifahrertür eingeschlagen haben, muss sie bei jedem Patienten immer neu zum Kofferraum, wo sie ihre Tasche jetzt immer sicher verstaut. Klappe auf, Klappe zu: nur eine von vielen kleinen Unannehmlichkeiten, die sich im Lauf eines Pflegediensttages addieren und die nicht sein müssten.
Caritas-Verband kooperiert mit e.GO Mobile AG
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Eine Antwort auf dieses Problem gibt ein aktuelles Projekt in Aachen, das deutschlandweit als Pionierprojekt gilt. Dort haben sich der Caritasverband und der Elektroautohersteller e.GO Mobile AG, eine Ausgründung der Universität Aachen (RWTH), zusammengetan und gemeinsam ein Pkw-Modell entwickelt, das wie maßgeschneidert ist für die ambulante Kranken- und Altenpflege. Die ersten Exemplare des Pflegedienstautos sollen in wenigen Tagen in Betrieb gehen. Die elektrobetriebenen Kompakt-Pkw (Typenbezeichnung: „e.GO light“) vereinen dabei Eigenschaften in sich, die bisher unvereinbar schienen: Sie sind günstig, umweltfreundlich – und praktisch.
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Elektroauto mit komfortabler Innenausstattung
Der e.GO light hat einen Elektromotor unter der Haube, mit einer Reichweite von 136 Kilometern pro Ladung, die für Pflegedienste ausreichend ist. Er ist so kompakt in seinen Maßen, dass man mit ihm auch in der Stadt leicht einen Parkplatz findet. Er ist materialsparend gebaut, aber gleichzeitig komfortabel, denn im Innenraum finden sich zahlreiche kleine Accessoires und Annehmlichkeiten, die Pflegedienstmitarbeitern den Alltag in ihrem mobilen Arbeitsplatz erleichtern, die aber in normalen Autos fehlen.
Halterung für Dienst-Smartphone, ergonomische Autositze
Dazu gehören: Halterungen für eine große Trinkflasche für die Arbeitspausen unterwegs sowie für das Händedesinfektionsmittel; ein Ablagefach im DIN-A4-Format für griffbereite Patientenunterlagen; eine Halterung für das Dienst-Smartphone. Die Fahrersitze wurden passend zu den Versuchspersonen ergonomisch geformt, die Türen sind so ausgelegt, dass das häufige Ein- und Aussteigen möglichst bequem vonstatten geht.
Taschenlampe immer griffbereit
„Die praktischen Vorteile rühren daher, dass wir als Pflegekräfte bei der Entwicklung des Innenraums mitbestimmen durften“, sagt Nicole Honrath. Eine Besonderheit ist die in der Heckklappe eingebaute Taschenlampe. Sie dient als Beleuchtung für den Kofferraum – und als jederzeit vollgeladene Lampe für die Mitarbeiter, die bei Dunkelheit im Aachener Land auf unbeleuchtetem Terrain unterwegs sind, etwa wenn sie Patienten in Bauernhöfen aufsuchen. Kleine Dinge, die für die Pflegekraft einen hohen Nutzwert haben, ohne den Preis für das Fahrzeug in die Höhe zu treiben.
Pflegekräfte laden Auto zu Hause auf
Mitarbeiter können die Autos auch nach dem letzten Patienten mit nach Hause nehmen und am nächsten Tag von zu Hause zum ersten Patienten fahren. „Das spart Zeit und Nerven“, sagt Petra Massarczyk, Leiterin der Pflegestation Aachen-Nord. Das Auto können sie etwa in ihrer privaten Garage komplett neu aufladen, bei einer Ladeleistung von 3,7 Kilowatt geht das über Nacht an einer ganz normalen Steckdose. Eine Schnellladestation brauchen sie dafür nicht. Ein intelligentes Kabel mit einem speziellen Zähler rechnet den beim Laden verbrauchten Strom automatisch und unkompliziert mit dem Arbeitgeber ab. Die Pflegemitarbeiter müssen damit nicht in Vorleistung gehen.
Im Juni gehen bei der Caritas die ersten Elektroautos in Betrieb
Spätestens im Juni sollen die ersten Autos in Aachen testweise in Betrieb gehen. Bewähren sich die neuen kleinen Elektromobile, will der Caritasverband Aachen-Stadt und -Land den Anteil der Elektromobilität in seinem 150 Pkw umfassenden Fuhrpark in den nächsten Jahren Schritt für Schritt erhöhen. Wenn Leasingverträge auslaufen, sollen Autos mit Verbrennungsmotor durch Elektroautos ersetzt werden, sagt Josif Cvetkovski, Referatsleiter Pflege bei der Caritas Aachen. „Wir gehen schon ein gewisses Wagnis ein“, sagt Cvetkovski. „Aber wir sehen uns auch als Pioniere.“ So ist mit dem Hersteller beziehungsweise dem Leasingpartner noch zu klären, welche Werkstätten sich überhaupt um die Autos der E-Generation kümmern können. Anders als bisher stammen sie nicht von einem großen Hersteller wie Volkswagen. Geregelt werden muss auch, wer bei Ausfall eines Pkw einen Ersatzwagen stellt, damit der Betrieb reibungslos weiterlaufen kann.
Caritas möchte 3.000 Elektroautos einwechseln
Caritas-Verbände deutschlandweit wollen in den nächsten zwei Jahren rund 3.000 Fahrzeuge durch den neuen „e.GO light“ ablösen. Allein bei der Caritas könnten bis zu 8.000 Wagen durch Elektroautos ersetzt werden, ohne dass eine Ladeinfrastruktur installiert werden müsste, sagt Müller zum mittelfristigen Potenzial.
Caritas möchte mit Elektroautos Kosten sparen
Obwohl Elektroautos in der Anschaffung generell immer noch teurer sind als konventionelle, erhofft sich die Caritas von der Aachener Spezialanfertigung eine Kostenersparnis gegenüber dem konventionellen Betrieb. Schließlich stellt der Fuhrpark in nahezu allen Verbänden den zweitgrößten Kostenfaktor dar. „Das Fahrzeug ist schon im ersten Jahr wirtschaftlich. Das geht sehr schnell“, verspricht Philip Müller von e.GO Mobile. Die kleinen neuen Elektroautos verursachten ein Drittel weniger an „Kraftstoff“-Kosten. Bei Einpark-Macken könnten die betroffenen Teile der Kunststoff-Karosserie günstig ausgetauscht werden. Und schließlich könne der Anschaffungspreis durch die mittlerweile verfügbaren Fördermittel von Bund, Land und Kommunen spürbar gedrückt werden. Laut Müller blieben von den 15.900 Euro Anschaffungskosten für die Caritas durchschnittlich 10.333 Euro übrig – ein Preis, der klar unter dem vergleichbarer konventionell betriebener Pkw liege.
Erklärung zum Bild oben
Der Prototyp: In einem zunächst lokalen Pilotprojekt haben die Caritas Aachen und ein Technikunternehmen der dortigen Universität am idealen Pflegedienst-Auto gefeilt. Jetzt gehen die ersten E-Mobile in Aachen in Betrieb. Bis 2020 sollen bundesweit bei Regional- und Ortsverbänden der Caritas 2.000 solcher Fahrzeuge im Einsatz sein.
Autor: Adalbert Zehnder