[Der Artikel erschien zuerst am 23. April 2018 und ist am 7.Dezember 2021 aktualisiert worden]
Janina erzählt: „Ich starte mit guter Laune und positiver Motivation in den Arbeitstag und freue mich auf die Begegnungen mit Menschen. Endlich habe ich die Möglichkeit, meine praktischen Kompetenzen zu festigen. Ich betrete das erste Zimmer, um die Körperpflege durchzuführen. Der Bewohner hat Kot im Gesicht. Er streckt mir seine Hand entgegen und lächelt mich an: ‚Guten Morgen, Schwester!‘ Was sehe ich unter seinen Fingernägeln? … Kot! ‚Lauf weg‘– Mein erster Impuls ist ein eindeutiges Signal. ‚Du darfst nicht weg‘, sagt mir hingegen mein Verstand, ‚auch das ist deine Aufgabe!‘ Ja, es gehört zu meinen Aufgaben, Wunden und Dekubitus zu versorgen, Erbrochenes wegzuwischen, bereits ‚bemooste‘ Zahnprothesen zu reinigen oder Menschen zu pflegen, die das Waschen verweigern. Der professionelle Umgang mit meinen eigenen Ekelgefühlen gehört also auch zu meinen Aufgaben. Aber wie soll ich mich verhalten?“
Ekel ist ein sinnvoller Schutzreflex
Generell ist für Sie wie auch für Janina aus unserem Beispiel wichtig, zu wissen, dass Ekelgefühle universell sind. Das bedeutet, sie gelten für alle Menschen. Ekel entstand im Laufe der Evolution und hat eine wichtige Funktion: den Selbstschutz vor ungesunden Substanzen. Beim Ekel werden physiologische Reaktionen ausgelöst: Der Körper wehrt sich und stößt Substanzen wie Urin, Stuhl, Schweiß, Erbrochenes, Speichel und Blut ab. Erlebt ein Mensch Ekel, so empfiehlt ihm sein Körper, der ekelerregenden Situation zu entfliehen.
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Leren Sie Ihre Ekelgefühle zu steuern
Für Sie als Pflegefachperson ist ein Flüchten aus ekligen Situationen jedoch nicht möglich: Sie müssen trotz Ihres Ekels handlungsfähig bleiben. Da Ekel sich nicht abstellen lässt, müssen Sie lernen, eigene Ekelgefühle bewusst wahrzunehmen und zu steuern.
Die Praxisanleiter sind gefragt
Den Berufsanfängern sei versichert, dass alle Pflegefachpersonen mit Ekelgefühlen umgehen müssen. Doch manchmal sprechen die Praxisanleiterinnen dieses Thema nicht an oder stoßen junge Kolleginnen wie Sie „ins kalte Wasser“. Sie lassen Sie mit dem Problem allein. Das kann wiederum zur Unsicherheit führen: „Kann ich über meinen Ekel sprechen?“ „Ist mein Ekel ein Zeichen der Schwäche, der Unprofessionalität, die sich gegen mich wenden könnte?“
Ekel oder weniger Ekel? Das ist auch eine Frage von Sympathie
Für den Umgang mit den Ekelgefühlen gibt es kein Patentrezept, sagt Kirstin Klause, Lehrkraft an der AWO APS in Potsdam. Mehrere Faktoren spielen dabei eine Rolle:
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Ihre eigenen Empfindlichkeitsgrenzen als Pflegefachperson
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Ihre eigenen Erfahrungen und Bewertungen („Ich habe schon Schlimmeres gesehen.“)
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Ihr persönlicher Gewöhnungsfaktor („So was mache ich täglich.“)
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Ihre Beziehung zu dem Pflegebedürftigen („Wenn ich jemandem nett finde, fällt der Umgang mit eigenen Ekelgefühlen tatsächlich leichter, als wenn ich jemanden versorgen muss, der mir als Mensch unsympathisch ist.“)
Gerüche sind das Schlimmste
An den Anblick einer Wunde oder von Erbrochenem etwa können Sie sich im Laufe der Zeit gewöhnen; Gerüche sind im Gegensatz dazu immer präsent und lassen keine Distanz zu. Man hat das Gefühl, den Geruch auf der eigenen Zunge zu spüren, er dringt in den eigenen Körper ein. Das macht Gerüche besonders ekelerregend.
Errichten Sie Barrieren!
Um eine Distanz zu den ekelerregenden Substanzen herzustellen, müssen Sie „Barrieren“ errichten. Eine Barriere hilft Ihnen, achtsam mit sich selbst und mit den Patienten oder Bewohnern umzugehen: Überlegen Sie, vor welchen Substanzen Sie sich in welchen Situationen schützen müssen. Die dazu passenden Fragen lauten:
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Bei welchen Reizen bin ich besonders empfindlich?
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Wie und mit welchen Mittel kann ich mich von ihnen abgrenzen?
So schützen Sie sich
Sie versuchen also, die Barrieren beim „Eintreffen“ der Reize zu errichten. Dafür gibt es mehrere Strategien:
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Atmungstechniken: Durch flaches Atmen und das Luftanhalten dringt weniger Geruch in Ihre Nase.
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Chemische Mittel: Desinfektionsmittel, Raumsprays oder ätherische Öle können unangenehme Gerüche „überlagern“. Andererseits können so Geruchsmischungen entstehen, die nicht weniger ekelerregend wirken. Deswegen gilt auch hier das Gebot, die eigene Empfindlichkeit auszutesten und das für sich passende Mittel zu finden.
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Mundschutz: Eine Mund-Nasen-Maske, wie sie seit Beginn der Corona-Pandemie in Kliniken und Heimen obligatorisch ist, sind vielen Pflegekräften unangenehm und erschweren die Kommunikation. Sie haben bei Ekelgefühlen aber den großen Vorteil, dass sie eine physische Barriere darstellen. Die Maske kann Sie vor dem Eindringen der unangenehmen Gerüche in die Nase schützen.
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Sprechen Sie über Ihre Gefühle mit Kollegen und Ihrer Praxisanleiterin.
Ich persönlich spreche über die ekelauslösenden Situationen mit Kolleginnen und Kollegen in der Einrichtung sowie den Lehrern und Auszubildenden in der Schule. Dabei hilft es mir – unter Beachtung des Datenschutzes – über anonymisierte „Fälle“ zu berichten. Beim Erzählen lerne ich, mich selbst besser zu verstehen und bekomme in der Diskussion mit anderen gute Tipps und neue Techniken mitgeteilt. Denn Ekelgefühle betreffen wirklich alle Menschen, aber wir als in der Pflege Tätige müssen mit ihnen professionell umgehen können.
Autorin: Dr. Oksana Baitinger
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