Die Sommer in Deutschland werden heißer. Galt der Sommer bisher als die schönste Zeit im Jahr, machen jetzt Hitzewellen und Temperaturrekorde nicht nur der Natur, sondern auch den Menschen zu schaffen. Nicht so alte Menschen können das vielleicht noch verkraften – aber alte Menschen nicht. Während der Körper eines Säuglings zu etwa 80 Prozent aus Wasser besteht, sind es bei einem 80-Jährigen im Schnitt nur noch 50 Prozent. Entsprechend schnell kann es zu Störungen im Wasser-Elektrolyt-Haushalt kommen. Entsprechend groß ist die Gefahr einer Dehydrierung – die im Alter ungleich schneller zu gesundheits- und sogar lebensbedrohlichen Zuständen führen kann.
Demenzkranke vergessen das Trinken schlichtweg
Noch viel mehr als früher muss jetzt das Personal von Alten- und Pflegeeinrichtungen darüber wachen, dass Bewohner konsequent über den Tag genügend Flüssigkeit bekommen, denn: Jenseits aller Jahrhundertsommer lässt mit zunehmendem Alter das Durstempfinden nach; das Trinken wird oft vergessen (ganz besonders bei Demenzkranken); und manche alte Menschen schließlich unterlassen es bewusst – aus Angst vor Inkontinenz oder weil aufstehen und zur Toilette gehen für sie beschwerlich oder schmerzhaft ist.
7 häufige Folgen der Dehydrierung im Alter
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Ganz besonders für Alte ist Wasser dabei das Lebensmittel Nummer eins. „Alle Organe müssen ständig mit Wasser versorgt werden, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können“, sagt Gisela Horlemann, Abteilungsleiterin Ernährung beim Verbraucher-Service Bayern. „Der Mensch benötigt Wasser als Baustoff, Lösungs-, Transport- und Kühlmittel.“ Besonders bei Senioren aber ist die Gefahr einer Dehydrierung groß – mit gravierenden Folgen, so die Ökotrophologin:
- Haut und Schleimhäute trocknen aus
- Verstopfung droht, weil der Speisebrei im Darm nicht mehr richtig quellen kann
- Harnwegsinfektionen werden begünstigt
- Die Wirkung von Medikamenten kann nachlassen
- „Schon nach zwei bis vier Tagen Wassermangel ist der Körper nicht mehr in der Lage, harnpflichtige Substanz ausreichend auszuscheiden“, sagt Gisela Horlemann. Nieren- und Kreislaufversagen drohten.
- Die Leistungsfähigkeit sinkt, das kann zu Verwirrtheitszuständen bis hin zur Bewusstlosigkeit führen
- Die Gefahr, zu stolpern oder gar zu stürzen steigt.
Dehydrierung: Warum Frauen besonders gefährdet sind
Ein weiterer Aspekt: „Flüssigkeitsmangel hat ein sehr weibliches Gesicht“, sagt Pflege-Dozentin Kirchberger. Frauen sind, auch wegen des höheren Anteils an Körperfett, in dem Wasser nicht gespeichert werden kann, und häufigerer Inkontinenz stärker in Gefahr als Männer.
Wer wenig isst, müsste noch mehr trinken
Weiterhin schwindet im Alter nicht nur das Durstgefühl: Auch der Appetit lässt nach – und damit reduziert sich auch die Menge der Flüssigkeit, die bei den Mahlzeiten als Teil des Essens dem Körper zugeführt wird. Je weniger alte Menschen essen, desto mehr müssten sie zusätzlich trinken.
Tipp 1: kleine Portionen über den ganzen Tag hinweg
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Personen über 65 Jahren, täglich etwa 2,3 Liter Gesamtflüssigkeit aufzunehmen. Der größte Teil davon, circa 1,3 Liter, besser 1,5 Liter, sollte über Getränke zugeführt werden, in kleineren Portionen über den ganzen Tag hinweg – und zwar zusätzlich zum Essen und der dort ebenfalls aufgenommenen Flüssigkeitsmenge. „Es würde nichts bringen, wenn die Pflegekraft dem alten Menschen quasi einen halben Liter eintrichtern würde, um dann für eine Weile ihre Ruhe zu haben“, sagt Diplom-Ökotrophologin Horlemann. „Der Körper kann nun mal Wasser nicht auf Vorrat speichern.“
Tipp 2: Immer wieder ans Trinken erinnern
Wie aber kann eine Senioreneinrichtung oder Pflegeheim als Organisation dafür sorgen, dass alte Leute definitiv das bekommen, was sie pro Tag an Flüssigkeit brauchen? Ein Beispiel: die Sozial-Holding Mönchengladbach, ein kommunaler Betreiber der stationären wie ambulanten Altenpflege. „Bei uns ist es gang und gäbe, gerade wenn es wichtig ist im Sommer, die Leute immer wieder ans Trinken zu erinnern“, sagt Melanie Hülsen, Referentin für Hauswirtschaft bei der Sozial-Holding. „Man nimmt sich selbst ein Glas und prostet jemandem zu. Oder ermuntert jemanden, trink doch noch mal. Immer wieder jemanden daran erinnern.“
Tipp 3: Selbst zum Glas greifen, zuprosten
Monika Hammerla, Pflegefachkraft für Gerontopsychiatrie aus Coburg sagt: „Ich muss von Patienten zu Patient – das ist Schwerarbeit. Aber das Persönliche, der Augenkontakt, das Zuprosten – diese Rituale sind eben sehr erfolgversprechend.“ Eine weitere Möglichkeit, Senioren zum trinken zu motivieren und zu animieren, können Trinkrituale in Gemeinschaft sein: „In der Gemeinschaft, das ist Gruppendruck, da wird getrunken.“
Tipp 4: Mit dem Getränkewagen dreimal täglich in alle Zimmer
Mit ständigen Appellen ein Bewusstsein zu schaffen, ist eine Säule der Strategie. Eine andere wichtige sind konkrete, wiederkehrende oder auch dokumentierbare organisatorische Maßnahmen. In Mönchengladbach zum Beispiel fährt ein Getränkewagen zwei- bis dreimal am Tag auf alle Zimmer, in die Aufenthaltsräume und Wohnküchen. Die erste Runde findet früh morgens statt. Dabei wird auch auf den Zimmern überprüft, ob noch Getränke sichtbar auf dem Tisch stehen, damit die Bewohner erinnert werden und sich selbst etwas einschenken können.
Tipp 5: Flüssigkeitsreiches Obst in Stückchen anbieten
In den Wohnküchen, einer Mischung aus Speise- und Aktivitätenraum, stehen Teller mit Wassermelonenstückchen. „Flüssigkeitsreiches Obst, nett angerichtet, in mundgerechten Stückchen – so Fingerfood-mäßig“, sagt Hauswirtschaftsreferentin Hülsen.
Tipp 6: Trinkmengen in der Übergabe thematisieren
Weitere Möglichkeiten: Trinkprotokolle in der Pflegeakte, die die tägliche Trinkmenge dokumentieren. Regelmäßiger Austausch über den Zustand einzelner Bewohner bei den Team-Besprechungen zu Schichtwechsel. Bewohner, die geistig fit und selbstständig sind, können dazu animiert werden, einen Wecker zu stellen, der alle zwei Stunden klingelt und ans Trinken erinnert, oder ein Trinktagebuch zu führen.
Tipp 7: Auf Schnabelbecher verzichten
So lange alte Menschen eigenständig Tasse, Glas oder Trinkbecher zum Mund führen können, ist dies für alle die angenehmste Lösung. Wenn sie das nicht mehr können, heißt es weiterdenken. Monika Hammerla, Pflegefachkraft und Fachbuchautorin, plädiert hier gegen den klassischen und eher fürs Personal als für die alten Menschen praktischen Schnabelbecher. „Wenn Sie einen Schnabelbecher geben, ist die Zunge irritiert durch diese dicke Tülle im Mund. Das Saugen, das durch den Strohhalm angeregt wird, unterstützt dagegen den Schluckvorgang.“
Tipp 8: Bei Schluckstörungen Getränk andicken
Damit Getränke leichter konsumierbar sind, empfiehlt Hammerla, Getränke mit Andickpulver sanft anzudicken: „Das kostet nichts – und macht den Schluckvorgang leichter und sicherer.“
Tipp 9: Biografie auch bei Getränken berücksichtigen
Und welche Getränke eignen sich am besten zur Versorgung alter Menschen mit Flüssigkeit? Nicht zwingend immer die, die offiziell empfohlen werden. Im Zweifelsfall solche, die vertraut sind; die, die man gerne hat – und damit am Ende gerne trinkt. „Es ist ganz wichtig, dass man eine an der Biografie orientierte Getränkeauswahl bereitstellt und einfach nachfragt: Was ist ihr Lieblingsgetränk? Denn damit sind die Leute motiviert.“
Tipp 10: Auch Radler oder Bier sind erlaubt
Die Generation, die jetzt im Seniorenalter ist und in den Pflegeheimen versorgt wird, „kennt ja ganz andere Getränke als wir“, sagt Eva Kirchberger, Dozentin an der Berufsfachschule Pflege in Passau. „Die sind aufgewachsen mit Leitungswasser, mit verdünnten selbstgemachten Obstsäften. Für die ist Eistee was Fremdes. Das funktioniert einfach nicht. Es muss was sein, was die Leute gerne trinken. Und wenn das ein Schluck Bier ist, dann ist das ein Schluck Bier. Die Lebensqualität steht im Vordergrund.“
Damit Pflegekräfte nicht dehydrieren
So wichtig es ist, über die alten Menschen zu wachen, so wichtig ist es auch, sich selbst nicht zu vergessen – denn das tun Pflegekräfte im Zeitdiktat des Alltags auf Station und der notorischen Personalknappheit offenbar öfter als gedacht. „Das Flüssigkeitsthema betrifft ja nicht nur die Bewohner, sondern auch der Pflegekräfte“, sagt Ernährungswissenschaftlerin und Verbraucherberaterin Kirchberger. „Pflegekräfte sind oft zeitlich sehr eingespannt und nicht immer dazu in der Lage, sich adäquat mit Getränken zu versorgen –sehr häufig wird es einfach vergessen.“ Ihr Appell richtet sich deshalb auch ans Personal: „Auch die Pflegenden selbst sollten daran denken, regelmäßig über den Tag verteilt, zu trinken. Am besten in geselliger Runde: mit den Kollegen auf Station – oder den Bewohnern.“
Autor: Adalbert Zehnder