Dass Pflegekräfte jederzeit einspringen, würden einige Arbeitgeber noch immer regelrecht erwarten, sagt Klinikberaterin Andrea Lehwald. „Sie schauen dich schief an, wenn du dein Handy in der Freizeit ausschaltest und nicht zurückrufst. so die examinierte Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin in einem Interview mit pflegen-online. Eine Studie der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz zeigt, wie verbreitet das Holen aus dem Frei weiterhin ist: Zwei Drittel der rund 2.660 befragten Pflegefachpersonen (65 Prozent), die im Schichtdienst arbeiten, gaben an, dass sie häufig oder sehr häufig ungeplant einspringen müssen; außerhalb des Schichtdienstes waren es immerhin noch 57 Prozent.
Einspringen aus dem Frei: Kliniken sind weiter als Pflegeheime
Hinzu kommt: Gerade in der Altenpflege wird das Holen aus dem Frei nur selten kompensiert. Krankenhäuser sind hier im Vergleich oftmals schon weiter. Wir präsentieren fünf Beispiele, wie ein Ausfallmanagement aussehen kann – und geben damit auch einen Anhaltspunkt, was Pflegekräfte von ihren Arbeitgebern erwarten können. Denn rechtlich, so Gisela Neunhöffer vom Fachbereich Gesundheit und Soziale Dienste der Verdi-Bundesverwaltung, seien Arbeitgeber sogar verpflichtet, Ausfälle im Rahmen der normalen Krankheitsquote anders als durch kurzfristige Dienstplanänderungen zu kompensieren.
1. Klinikum Ludwigshafen: 100-Euro-Bonus fürs Einspringen
Im Klinikum der Stadt Ludwigshafen findet ein Einspringen aus dem Frei grundsätzlich auf freiwilliger Basis statt. „Bis Freitagnachmittag können die Pflegekräfte sich für beliebig viele freie Tage der Folgewoche als verfügbar eintragen. Sie werden dann – bei Bedarf – ausschließlich an den vereinbarten Tagen angerufen“, sagt Marion Dietrich, stellvertretende Pflegedirektorin der Klinik. „Wer einspringt, erhält für den betreffenden Tag die volle Vergütung und zusätzlich einen Bonus von 100 Euro.“
Rufdienst mit Wege-Vergütung
Für Wochenenden und Feiertage gibt es im Klinikum Ludwigshafen eine weitere Regelung: Pro Halbjahr übernimmt jede Pflegekraft mindestens einen Rufdienst; der Tag ist frei wählbar. Die Bereitschaft an diesem Tag wird nach Vereinbarung im Arbeitsvertrag vergütet. Wenn ein Mitarbeiter tatsächlich gerufen wird, zählt bereits der Weg zum Klinikum zur Arbeitszeit.
Jahresdienstplan
Darüber hinaus arbeitet das Krankenhaus generell mit einem Jahresdienstplan. Dadurch können die Pflegenden ihre Überstunden über das komplette Jahr verteilen und nach ihren Wünschen als zusätzliche Urlaubstage nutzen.
2. München Klinik: Zulage von 50 bis 80 Prozent
Auch die kommunale München Klinik gGmbH setzt auf Freiwilligkeit: Die Pflegekräfte können hier über ein Online-Portal eingeben, dass sie einen Zusatzdienst übernehmen möchten – entweder auf ihrer Heimatstation oder auch auf einer beliebigen anderen Station in einem der fünf Krankenhäuser, die dem Verbund der München Klinik angehören.
„Der Zusatzdienst wird mit einer Zulage zwischen 50 und 80 Prozent des individuellen Stundenentgelts honoriert“, sagt Pressesprecher Raphael Diecke, „die Höhe des Bonus ist dabei abhängig vom Zeitraum des Zusatzdienstes.“ Im vergangenen Jahr sei dieses freiwillige Verfahren rund 9.500 Mal in Anspruch genommen worden, so Diecke.
3. Helios Klinik Erlenbach: Flexi-Dienste und On-Top-Kraft
In den Dienstplänen der Helios Klinik Erlenbach ist das Ausfallmanagement gleich integriert: Seit fünf Jahren nutzt das Krankenhaus dazu einen Rahmenrollenplan, der für jeweils acht Wochen die Schichten der Mitarbeiter vorgibt. Innerhalb dieses rotierenden Systems werden Flexi-Dienste mit eingeplant – sie sehen vor, dass bei Urlaub oder Krankheit einer Pflegekraft stets ein Kollege zum Einspringen bereitsteht. Diese Flexi-Dienste gehören zur regulären Wochenstundenzahl und wandeln sich automatisch zu Frühdiensten, wenn kein Einspringen notwendig ist.
Um Ausfälle unmittelbar auffangen zu können, wurde zudem ein On-Top-Dienst eingeführt: Dabei werden Mitarbeiter von vornherein einer Schicht zugeordnet, die eigentlich schon ausreichend besetzt ist. „Das heißt, wir ergänzen die Regelbesetzung jeweils um eine Pflegekraft, und zwar auf Stockwerksebene. Auf allen Etagen haben wir zwei Stationen – pro Tag ist also eine On-Top-Kraft auf jeder Ebene vorhanden“, sagt Heiko Basch, Pflegedirektor der Helios Kliniken Erlenbach und Miltenberg.
70 Euro fürs Einspringen
Wenn trotz dieser Maßnahmen ein spontanes Einspringen nötig werden sollte, erhält der zum Dienst gerufene Mitarbeiter einen Bonus von 70 Euro.
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4. Diakonissenkrankenhaus Dresden: Stufenplan mit Springer-Pool
Das Diakonissenkrankenhaus Dresden konnte nach eigenen Angaben das Holen aus dem Frei deutlich verringern: von monatlich 40- auf durchschnittlich fünfmal. Beim Ausfallmanagement kombiniert die Klinik mehrere Maßnahmen.
„Tritt ein kurzfristiger Ausfall ein, wird zuerst geprüft, ob ein Einsatz notwendig ist“, sagt Pflegedirektor Michael Junge. „Sollte das aufgrund eines geringen Versorgungsaufwandes oder einer geringen Belegung nicht der Fall sein, entfällt der Dienst ersatzlos. Zur Orientierung wurden für alle Bereiche die Mindest- und Normalbesetzungen definiert.“
Zweimal im Jahr macht jeder Vertretungsdienste
Bei akutem Bedarf hingegen kommen die Pflegekräfte aus dem hauseigenen Springerpool zum Einsatz. „Die dort beschäftigten Pflegekräfte können kurzfristig bis zu drei Tage im Voraus auf einer Station eingesetzt werden“, so Junge. Und falls für diese Zeit einmal kein Springer verfügbar sein sollte, greifen die Vertretungsdienste: Sie sind fester Teil der Dienstpläne, gehören zur normalen Arbeitszeit und fallen für jede Pflegekraft ungefähr zweimal im Jahr an.
Am betreffenden Tag ist die Pflegekraft für eine Frühschicht fest eingeplant, der Einsatzort allerdings noch offen. „Die Mitarbeiter können im Vertretungsdienst auf allen bettenführenden Stationen des Hauses eingesetzt werden“, sagt Junge. „Wenn sie aber an diesem Tag nicht benötigt werden, können sie wahlweise zuhause bleiben und Überstunden abbauen, freiwillig in einem Bereich ihrer Wahl hospitieren – beispielsweise im OP – oder eine Schicht in einem Bereich übernehmen, in dem gerade am meisten zu tun ist.“
Extra-Vergütung, wenn doch einmal jemand einspringen muss
Zum Ausfallmanagement gehört im Diakonissenkrankenhaus Dresden außerdem ein Anreizdienst. Auf ihn greift die Klinik zurück, wenn weder Springer noch Vertretungsdienste für eine Station ausreichend vorhanden sind und Ersatz dennoch benötigt wird. Junge: „Bei Bedarf werden dann alle Pflegekräfte der Klinik über die Schicht informiert, für die jemand gesucht wird. Wer den ungeplanten Dienst übernimmt, erhält eine pauschale Vergütung, welche deutlich über der normalen Vergütung liegt.“
5. Klinikum Region Hannover: MobilTeam mit bis zu 500 Euro Zulage
Einen Springerpool hat auch das Klinikum Region Hannover (KRH) installiert. Hier heißt er allerdings MobilTeam – und das aus gutem Grund. Denn die Pflegekräfte des MobilTeams arbeiten standortübergreifend in allen zehn Häusern des Klinikkonzerns. Neben der allgemeinen Pflege werden auch die OPs, Notfallaufnahmen und Intensivstationen mit Personal des MobilTeams unterstützt.
Gestartet ist das MobilTeam Anfang 2019 mit vier Pflegefachkräften, inzwischen sind es mehr als 60, verteilt auf 30 Vollkräfte. Dieser Arbeitsbereich sei interessant für alle, die sich Einblicke in immer neue Arbeitsfelder, einen verlässlichen Dienstplan und zugleich individuell anpassbare Arbeitszeiten wünschen, so die Klinik. Zusätzlich erhalten die Mitarbeiter eine Zulage von bis zu 500 Euro. Und das MobilTeam soll weiter wachsen: Seine aktuelle Zielgröße liegt bei 100 Vollkräften.
Aushilfen-Pool im Aufbau
Parallel zum MobilTeam baut das KRH derzeit einen flexiblen Aushilfenpool auf. Die zumeist studentischen Hilfskräfte können ihre Vakanzen digital mit dem Personalbedarf der einzelnen Stationen und Bereiche abgleichen. Wie beim MobilTeam erfolgt die Disposition der Personalressourcen dabei zentral und ist an die KRH-Dienstplansoftware angeschlossen.
Aushilfen-Pool und Personalleasing
Parallel zum MobilTeam gibt es im KRH einen flexiblen Aushilfen-Pool zur Ausfallkompensation: den GeBePool (Pool von geringfügig beschäftigten Mitarbeitern). Die zumeist studentischen Hilfskräfte können ihre Vakanzen digital mit dem Personalbedarf der einzelnen Stationen und Bereiche abgleichen. „Die Disposition der Personalressourcen erfolgt dabei wie beim MobilTeam zentral und ist an die KRH-Dienstplansoftware angeschlossen“, sagt Lennart Dreyer, Redakteur in der Unternehmenskommunikation des KRH. „Neben dem MobilTeam-Pool und dem GeBePool werden auch sämtliche Personalleasingbedarfe zentral gesteuert. Dies ermöglicht eine enge Verzahnung der verschiedenen Instrumente des Ausfallzeitenmanagements und sorgt für effiziente und schlanke Prozesse.“
6. Evangelische Altenhilfe Mülheim an der Ruhr: Mehr Zusammenhalt, weniger Ausfälle
In den beiden Häusern der Evangelischen Altenhilfe Mülheim an der Ruhr hätten die Pflegekräfte gegen einen Sonderbonus für das Einspringen aus dem Frei gestimmt, sagt Oskar Dierbach, der dort als geschäftsführender Pflegedienstleiter das Konzept der therapeutisch-rehabilitativen Pflege implementiert hat. Ein Modell, das nicht nur Bewohnern aus ihrer Pflegebedürftigkeit heraushelfen und die Rückkehr ins eigene Zuhause ermöglichen kann, sondern auch die Mitarbeitergesundheit, die Arbeitszufriedenheit und den Zusammenhalt fördern soll. „Einrichtungen, die so arbeiten wie wir, erzielen eine hohe Anziehungskraft – und einen niedrigen Krankenstand bei den Pflegekräften. Wir haben keinen Bewerbermangel, kaum Fluktuation und können daher schon lange den höchstmöglichen refinanzierbaren Personalschlüssel nutzen. Unsere Mitarbeitenden möchten, dass das so bleibt und kein Prozentsatz frei gehalten wird, um Boni zu zahlen.“
Da ausreichend Personal vorhanden sei, könnten Ausfälle meist innerhalb eines Teams aufgefangen werden, ohne Kollegen im Frei anzufragen. „Ansonsten tauschen sich die Abteilungen miteinander aus und helfen sich gegenseitig, im Idealfall ohne Vermittlung der Pflegedienstleitung. Wir lassen Fachkräfte abteilungsübergreifend hospitieren, sodass eine Anzahl von Mitarbeitenden die Abläufe in den anderen Teams und die anderen Bewohner kennt. So erreichen wir eine Zusammenarbeit, die in guten wie in schlechten Zeiten trägt“, so Dierbach.
Falls ein Holen aus dem Frei doch unvermeidbar ist, erhalten die Mitarbeitenden einen Freizeitausgleich für die Zusatzschicht oder können sich den geleisteten Dienst mit tariflichem Überstundenaufschlag auszahlen lassen. Dierbach: „Wichtig ist, dass wir alles tun, um ein zeitnahes Frei zu ermöglichen. Auch unabhängig vom Einspringen versuchen wir, auf Wünsche nach freien Tagen einzugehen. Solche Anliegen haben denselben Stellenwert, als wenn die Einrichtung sagt: Wir brauchen heute Morgen jemanden, der uns im Frühdienst verstärkt. In unseren Häusern geht auch schon mal die Pflegedienstleitung in den Stationsdienst, wenn für eine Pflegekraft ein dringendes Frei anders nicht umsetzbar wäre.“
Autorin: Eileen Saffier/lin