Ariane Müller ließ sich noch nie gern den Mund verbieten. Schon als Jugendliche habe sie gegen Elternhaus und Schule rebelliert, erzählt die inzwischen 63-Jährige. Aufgewachsen in der niedersächsischen Provinz zog es sie schon bald nach der Schule ins „richtige“ Leben: Die politische Musik spielte damals genau wie heute natürlich in Berlin, und dorthin ging die junge Frau, machte eine Ausbildung zur Krankenpflegerin. Es waren die Jahre der Studentenunruhen.
Nur zehn Prozent sind bei Verdi
Müller ist geprägt durch die 1968er-Revolution. Sie spricht darüber mit einem gewissen Stolz, frei allerdings von jeglicher Arroganz. Ihr Ton ist eher wohlbedacht, ruhig. Tenor: Es war halt so, wir haben uns nicht alles bieten lassen, wir haben nur den Mund aufgemacht damals. Müller macht es bis heute, sie vertritt ihre Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat und mischt bei Verdi mit, wo bislang insgesamt aber nur rund zehn Prozent des Krankenpflegepersonals Mitglied sind. Die Gewerkschaft mache nicht genug Dampf, hänge sich nicht genug rein, so ist von vielen Pflegekräften zu hören. Auch deshalb haben sich die Bündnisse gegründet.
Immer mehr Pflege-Bündnisse
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Ariane Müller hat jetzt das „Bremer Bündnis für mehr Pflegekräfte“ ins Leben gerufen und ist damit sogar auf der Titelseite des Bremer „Weser Kuriers“ gelandet. Vorbild sind die Kollegen der Berliner Charité, die schon seit längerem mit einem solchen Bündnis vorangeprescht sind. Derzeit ziehen immer mehr Städte nach: Hamburg, Dresden, Tübingen. Dass Ariane Müller sich hierfür engagiert, ist angesichts ihrer Biografie wohl kein Zufall. Und wer schaut, was sie sonst noch alles im Leben auf ihre halbmarathongestählten Beine gestellt hat, bezweifelt kaum, dass sie es auch mit dem „Bündnis für mehr Pflegekräfte im Krankenhaus“ nun wieder bitterernst meint: Als Autodidaktin hat sie sich neben ihrem anstrengenden Nachtschwester-Beruf mal eben zur Spezialistin für alte Apfelsorten etabliert, 1991 den ersten bundesweiten Pomologenverein gegründet, „Apfeltage“ ins Leben gerufen, ein Apfelkunde-Buch veröffentlicht und eine Mosterei eröffnet. Seit einigen Jahren engagiert sie sich auch noch beim Naturschutzbund (Nabu) als ehrenamtliche Wolfsbotschafterin. „Ich habe nur ein Leben, und da will ich so viel wie möglich mitnehmen“, erklärt sie bestimmt, aber bescheiden ihr vielseitiges Engagement. Dass sie beide Eltern bis zu deren Tod gepflegt hat und diese deshalb auch in ihren eigenen Betten sterben durften, erfährt man auch noch nebenbei.
Engagement für das Bündnis kurz vor der Rente
„Ich könnte mir jetzt sagen, es sind ja nur noch diese zwei Jahre bis zur Rente, dann bin ich mit meinem Job durch. Aber ich will das nicht so hinnehmen. Die Rahmenbedingungen in meinem Berufsfeld haben sich derart verschlechtert, dass ich den Beruf heute nicht mehr ergreifen würde“, sagt sie. Die Motivation für ihre Berufswahl sei damals gewesen, die Krankenpflege besser zu machen als sie bei ihrer eigenen Mandeloperation erlebt hatte. „Es herrschte noch ein sehr strenger Ton bei den Schwestern, das fand ich als junge Patientin ganz furchtbar.“
„Viele Kollegen sind fertig und resigniert“
Heute sieht sie mit Schrecken, wie ihre Kolleginnen und Kollegen sich „nur noch abrackern, kaputt, fertig und resigniert sind“. Kaum einer habe noch die Kraft, sich gegen die unzumutbaren Zustände zu wehren, viele würden sich aber auch nicht trauen. „Aber ich stehe dazu, es muss sich etwas ändern!“ Die meisten jungen Pflegekräfte würden sich nach ein paar Jahren aus dem Beruf zurückziehen, einen anderen Beruf ausüben oder in Teilzeit gehen. „Ich bin die Älteste auf unserer Station. Dass jemand bis zur Rente durchhält, wird es künftig kaum mehr geben“, schätzt sie. Seit 1979 macht Müller ausschließlich Nachtdienste, seit vielen Jahren arbeitet sie nun schon auf der Intensivstation im Klinikum Bremen-Mitte.
„Neubau mit Personalabbau bezahlt“
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hatte kürzlich auf eine Untersuchung verwiesen, der zufolge im Jahr 2015 im Schnitt eine Pflegekraft je 2,2 Patienten zu versorgen hätte. Ariane Müller hält dagegen: „Die Realität ist leider so, dass wir in der Regel drei Patienten pro Pflegekraft betreuen müssen. Aus Personalmangel oder wenn die Kolleginnen oder Kollegen krankheitsbedingt ausfallen, müssen einige von uns sogar vier Patienten betreuen. Die Krankheitsraten sind in den letzten Jahren gestiegen. Kein Wunder bei diesen schlechten Arbeitsbedingungen. Die Dauerbelastung der Pflegekräfte ist durch massiven Personalabbau in den letzten Jahren unerträglich geworden. An unserer Bremer Klinik haben wir beispielsweise einen Neubau mit Personalabbau bezahlt.“
„Wir müssen alle Krankenhäuser ansprechen“
Bessere Arbeitsbedingungen in den Kliniken müsse man sich daher nun endlich „erkämpfen“, das Bremer Bündnis für mehr Pflegekräfte plane „flächendeckende Streikaktionen“. Die Kolleginnen und Kollegen müssten aber schon selbst den Weg zum Bündnis finden, betont Müller, sie werde „niemanden persönlich beeinflussen“. Wer mitmachen möchte, sollte sich auf ein bis zwei Treffen pro Monat zu je rund zwei Stunden einstellen. „Angesprochen sind Kräfte, denen es genauso stinkt und die zugleich die Kraft noch haben zum Protest.“ Anfang Juni seien es zehn Personen gewesen, die sich zur Gründung des Bremer Bündnisses versammelt hätten. „Wir müssen alle Krankenhäuser im Land ansprechen, nicht nur ein einzelnes. Nur gemeinsam können wir etwas erreichen.“
„Ohne Streik geht es nicht“
Ohne Streiks, da ist sich Müller sicher, wird es wohl kaum funktionieren. Die Charité-Pflegekräfte haben es mehrfach vorgemacht. Was genau an Aktionen in Bremen geplant werde, entscheide sich allerdings erst beim nächsten Treffen am 18. August. Wer mehr erfahren will oder auch zu einem der nächsten Treffen kommen möchte, kann sich gern bei der Bremer Bündnis-Sprecherin Ariane Müller melden (0174-8405393).
Autorin: Birgitta vom Lehn
Foto: Birgitta vom Lehn