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Gelassenheit

Ein Angehöriger nervt Sie? Machen Sie ein Spiel draus ...

... und probieren Sie unterschiedliche Reaktionen aus, rät der Coach Christian Bremer. Und: dreimal täglich einminütige Meditationen. So kommen Sie gelassen durch den Alltag.

pflegen-online: Herr Bremer, Gelassenheit ist Ihr großes Thema. Sie trainieren diese Eigenschaft in Ihren Seminaren regelrecht – oft auch mit Pflegekräften aus Alten- und Krankenpflege. Wie gehen Sie das Thema an? Wie können sie ihnen helfen? Denn Mitarbeiter in der Pflege stehen ja meistens mitten im Sturm, sie erleben oft aufgebrachte Patienten oder Angehörige und können sich nicht, wie manch andere Berufsgruppe, hinter dem Schreibtisch verstecken.

Die Frage mit der ich meistens beginne lautet: In welchem Kontext betrachte ich die schwierigen Gesprächspartner? Wir nehmen oft an: Das Ganze passiert gegen mich. Die meisten setzen ein Minuszeichen vor die Situation, sie betrachten sie als leidvoll. Besser scheint mir aber, ein Plus davor zu setzen und sich zu sagen: Ich lerne aus der Situation, statt an ihr zu leiden.

Aus der Anfeindung lernen - wie soll das funktionieren?

Nun, wenn ich spüre, dass ein Angehöriger mich nervt, könnte ich das auch als Chance begreifen: Ich habe die Möglichkeit zu lernen, mit solchen Patientengruppen in Zukunft noch geschmeidiger umzugehen. Ich kann verschiedene Verhaltensweisen ausprobieren und mit der Zeit feststellen, welche Reaktion am erfolgreichsten ist.

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Der Schmerz, den ich empfinde, wenn ich mich angegriffen fühle, hat in gewisser Weise einen Sinn: Er kommt ja meistens häufiger vor und es ist doch sehr hilfreich und sehr tröstlich, wenn ich mir sage, ich möchte derjenige werden, der gelernt hat, in solchen Situationen gelassener zu reagieren.

Das ist ja geradezu ein kreativer Vorgang – ich schaffe es von der automatischen Reaktion zur bewussten Kreation.

Das heißt auch: Ich werde Herr oder Herrin der Lage …

Ja, das extrem hilfreich. Dass wir uns genervt, angefeindet oder verletzt fühlen, kommt ja andauernd vor. Und welche Möglichkeiten habe ich: Entweder ich ändere meine Haltung und leide weniger oder ich ändere den anderen gegen seinen Willen. Allerdings: 99 Prozent der Menschen wollen andere ändern, nur ein Prozent sind bereit, sich selbst zu ändern. Das ist der Grund, weshalb so viele Menschen unzufrieden sind.

Ist am Ende wieder der weitverbreitete Perfektionismus schuld?

Wer ganz klare Vorstellungen davon hat, wie Menschen sein sollten, kann nur unzufrieden werden. Ich erlebe folgenden Glaubenssatz als wertvoll: Ich bin ein unperfekter Mensch in einer unperfekten Welt mit unperfekten Menschen.

Zu glauben, dass sich alle perfekt verhalten sollten, ist einfach unrealistisch. Der Angehörige befindet im Krankenhaus oder Pflegeheim befindet sich ja meistens in einer ungewöhnlichen Situation, die für die Mitarbeiter selbst recht gewöhnlich ist. Und natürlich darf ich mich auch mal aufregen als Pflegekraft, ich bin ja auch nicht perfekt. Ich darf das – aber es ist gut, wenn ich häufiger darüber nachdenke, werum ich mich eigentlich so aufrege.

Ich möchte dabei doch nicht stehen bleiben. Und es ist doch höchst reizvoll hier noch andere mögliche Arten der Reaktion zu kreieren.

Was Sie erzählen, klingt nachvollziehbar. Trotzdem verlangt es viel Selbstbeherrschung, so scheint mir. Manche Menschen sehen die Dinge vielleicht ähnlich wie Sie, haben aber, wie man so sagt, eine kurze Zündschnur. Wie schaffen Sie es, Ihre klugen Einsichten umzusetzen?

Ich bin überzeugt, dass wir uns nur so oft aufregen, weil wir alle am Limit sind. Der Patient, der Angehörige, der Autofahrer, der mit in die Quere zu kommen scheint – sie sind nur der Funke, aber den Ölkanister habe ich selbst gefüllt. Was mir hilft ist MM.

Was meinen Sie mit MM?

MM steht für „Meine Minute“ – stellen Sie sich gern den Wecker, setzen Sie sich hin, schließen Sie die Augen, atmen Sie ruhig und achten Sie auf Ihren Atem. Machen Sie das dreimal täglich, es wirkt Wunder, man bekommt, wenn es einem zu hektisch wird, erst einmal Ruhe in den Karton.

Für mich sind diese dreimal MM täglich enorm wichtig. Denn ich habe Eigenverantwortung. Sicherlich gibt es gute Tage, an denen mich nichts anpackt, an denen ich ruhig und ausgeglichen bin. Aber es gibt auch andere Tage – und dann ist es für mich eine Frage der Eigenverantwortung, mich in einen besseren Zustand zu versetzen, einen Zustand, in dem ich sagen kann: Ich bin gut drauf, ich bin nicht angespannt.

Gibt es Studien, die die Wirksamkeit der „Meine Minute“ belegen?

Ja, an der Universität Leipzig wird recht viel zu Achtsamkeit geforscht, und die Studien zeigen: Kleine Einheiten der Beruhigung – Meditation oder Innehalten sorgen für Glück. Außer sie übertreiben es …

… man kann es mit der Meditation auch übertreiben?

Es gibt zumindest Studien, die besagen, dass mehr als eine Stunde Meditation täglich die Motivation senkt. Gut, aber in die Verlegenheit kommt man ja kaum.

Aber diese Selbstsorge ist enorm wichtig: Wenn ich als Christian Bremer oder als Pflegekraft mir die Woche anschaue und feststelle, dass viel los sein wird – viele Krankheitsausfälle et cetera, dann habe ich die oberste Pflicht, auch für mich zu sorgen. Wer es schafft, sich zurückzuziehen, wenn ihm alles zu viel wird, dem geht es meistens etwas besser.

Man sollte sich immer als jemand betrachten, dem geholfen werden muss. Schauen Sie sich Menschen an, die sehr angespannt sind: Sie betrachten sich fast nie als jemand, dem geholfen werden muss.

Interview: Kirsten Gaede

Illustration: Andrea Wiedermann

Zur Person

Christian Bremer aus Bochum ist Coach, Autor und Seminarveranstalter. Immer mehr Klinikleitungen buchen bei ihm Seminare für ihre Mitarbeiter. Der Experte für Gelassenheit erläutert in seinen Kursen unter anderem, wie Aufmerksamkeit und umsichtiges Verhalten auch unter Zeitdruck möglich sind.

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