Manchmal kommen sie zu ihm, in diesen kleinen Supermarkt, am Rande der Stadt: Halten ihm ihre Formulare hin, Behördenbriefe, die sie nicht verstehen, Anträge, die sie ausfüllen müssen, aber nicht wissen, wie. Weil ihnen die Sprache fehlt und die Erfahrung mit den bürokratischen Vorgängen in diesem für sie noch fremden Land. Dann finden sie Hilfe bei Khaled Trabulsi.
Der junge Syrer absolviert derzeit am Klinikum Magdeburg eine Ausbildung zum Pflegefachmann und verdient sich im Supermarkt ein bisschen Geld dazu. Er weiß, wie es den Hilfesuchenden geht. Als er 2015 nach Deutschland kam, gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder, konnte er kein Wort Deutsch. In Syrien hatte er zuletzt die achte Klasse besucht – bis der Krieg begann und der Schulbetrieb eingestellt wurde, die kleine Familie schließlich nach Deutschland flüchtete.
Khaled Trabulsi lernt schneller als andere
„Anfangs war es mir sehr unangenehm, hier in Deutschland wieder zur Schule zu gehen, mich mit all den fremden Menschen nicht verständigen zu können”, erinnert sich Khaled Trabulsi. Doch der Schulalltag habe ihm auch geholfen: „Ich war von Anfang an gezwungen zu sprechen, trotz Scham und Unsicherheit, musste es aushalten, Fehler zu machen.”
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Doch bald merkte er: Er lernte die Sprache schneller als die anderen, die mit ihm die Heimat verlassen hatten, fand sich schneller in dem neuen Land zurecht. „Und da war klar: Ich muss jenen, denen es nicht so ging, meine Unterstützung anbieten.” Bei einem Integrationsbündnis nahe Magdeburg beginnt er, sich als Integrationslotse zu engagieren. Er hilft anderen Geflüchteten beim Übersetzen, stellt Kontakte zu Behörden oder Vereinen her, erklärt ihnen den Bus– und Bahnverkehr und Einkaufsmöglichkeiten, begleitet sie zu Beratungsstellen. Bald rückt er bei der Initiative in den Vorstand auf.
Er hat Glück: Beim THW trifft er auf hilfsbereite Kollegen
Vielleicht wäre es anders gekommen, hätte Trabulsi nicht selbst auch viel Unterstützung erfahren, überlegt er heute. Direkt nach der Ankunft der kleinen Familie halfen Ehrenamtliche bei der Wohnungssuche und bei ersten Behördengängen, brachten den drei Geflüchteten die nötigsten Worte Deutsch bei. Seit 2018 ist Trabulsi außerdem im Technischen Hilfswerk (THW) aktiv, trifft dort auf Kollegen, die ihm helfen, „Fuß zu fassen”, wie er sagt, knüpft wertvolle Kontakte.
Nach dem Realschulabschluss lernt er den Beruf des Kinderpflegers, er will zunächst als Erzieher arbeiten – und entdeckt doch eine andere, eine neue Welt für sich: das Krankenhaus. „Die Medizin, die klinische Krankenversorgung hat mich schon immer interessiert”, sagt er: „Mich faszinieren all das Wissen, was es hier braucht, die konkrete Hilfe, die man den Menschen geben kann, die Aussicht auf Heilung.”
Die Krankenhaus-Welt fasziniert Khaled Trabulsi
2021 beginnt er die Ausbildung zum Pflegefachmann, zunächst in einem Pflegeheim, um dann 2023 ans Klinikum Magdeburg zu wechseln. Erneut muss er Sprachbarrieren überwinden, komplizierte Fachbegriffe lernen, sich in einem neuen Mikrokosmos zurechtfinden. Die letzten drei Jahre waren nicht einfach für den jungen Mann. Der Corona-Lockdown belastete ihn, zudem erkrankte seine Mutter, benötigte besondere Zuwendung. Auch wenn er dadurch seine Arbeit als Integrationslotse etwas herunterfahren musste, aufgeben wollte er sie nicht. Die Leute brauchten ihn, das wusste er.
Integrations-Ehrenpreis von Sachsen-Anhalt für Khaled Trabulsi
Es ist nicht zuletzt diese Einstellung, aber auch die jahrelange Kraftaufwendung und der unbändige Lernwillen, die das Land Sachsen-Anhalt nun würdigte: Im Sommer zeichnete das Ministerium für Arbeit und Soziales Khaled Trabulsi – neben 21 anderen Ehrenamtlichen – mit dem Integrations-Ehrenpreis für individuelles Engagement aus. Das mache ihn „unglaublich stolz”, sagt er.
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Aus der Auszeichnung schöpft er heute Kraft: Aus der Zeremonie, dem feierlichen Rahmen der Preisverleihung, der Ehrung durch das Land, das ihm so viel gab – und dem er so viel zurückgibt. Er wird gesehen, denkt er dann, sein Tun, sein Engagement wird anerkannt. Nun fehlt nur noch die Staatsbürgerschaft, sein größter Wunsch. Sie wird kommen, denkt er dann.
Und bis dahin wird er weiter helfen, im Krankenhaus, im Integrationsbündnis, und klar, wenn es dringend ist, auch im Supermarkt, wenn es wieder einmal auf arabisch heißt: „Khaled, schau doch mal bitte, ich habe da ein Problem.”
Autorinnen: Nina Sickinger/Romy König