„Böse Chefin stellt Mitarbeiter bloß“ – nein, eine solche Einseitigkeit ist nicht hilfreich. Versuchen wir deshalb zunächst die Chefin zu verstehen: Ein Mitarbeiter hat zum sechsten Mal in Folge den gleichen Fehler in der Dokumentation gemacht, eine andere Mitarbeiterin sich einmal wieder den Dienstplan falsch notiert. Es scheint denen einfach egal zu sein, eine Art Masche, sie haben gemerkt, dass ihnen nicht viel passieren kann. Da kann einer Pflegedienstleitung (wenn sie es so interpretiert) schon einmal der Kragen platzen – besonders, wenn sie sich durch das Verhalten in ihren Werten verletzt fühlt, gibt Margarete Stöcker, Gesundheitspsychologin und Buch-Autorin bei der Schlüterschen, zu bedenken.
Aber selbst in extremen Fällen gilt: Keine Kritik vor Publikum, und natürlich erst recht nicht: schreien. „Jemand, der seinen Mitarbeiter anschreit, ist selber ohnmächtig und hat in dieser Situation gerade keine andere Option. Er bringt sich in die schwächere Position. Schreien ist definitiv kein Führungsinstrument, auch wenn die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter einen Fehler gemacht haben sollte“, sagt Margarete Stöcker.
3 wichtige Fragen, die sich die Chefin stellen sollte
Zur Führungsaufgabe gehört es zu überlegen, aus welchem Grunde eine Mitarbeiterin immer wieder Fehler macht:
Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:
- Hat die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter die Aufgabe nicht verstanden? Traut sie sich nicht nachzufragen?
- Hat er Angst, etwas falsch zu machen?
- Hat sie Angst, wieder von der Wohnbereichsleitung oder Pflegedienstleitung zusammen gefaltet zu werden, weil das schon öfter passiert ist?
Es mangelt in der Altenpflege an Feedback-Kultur
Stellt eine Chefin sich diese Fragen nicht und bleibt sie bei ihrem Verhalten, rutscht die Mitarbeiterin leicht in eine Ohnmachtsspirale. Etwas, das keine Chefin möchte, weil es ihr Ziel konterkariert, dass die Arbeit gut erledigt wird. Hier ist Feedback-Kompetenz gefragt, damit Mitarbeiter die Sachlage verstehen und die Kritik annehmen können, sagt die Trainerin und Coachin Susanne Vathke. Sie beobachtet aber immer wieder, „dass in Einrichtungen keine wirkliche Feedback-Kultur herrscht. Vier-Augen-Gespräche werden eher selten geführt“.
Was aber können Mitarbeiter tun, die vor versammelter Mannschaft kritisiert werden? Zunächst: Es kommt auf die Häufigkeit an. Ist es ein einmaliger Vorfall, kann es die Chefin mit einer Entschuldigung bestimmt aus der Welt schaffen. Vathke rät außerdem: „Wenn es passiert ist, sollte der Mitarbeiter zunächst eine Selbsteinschätzung vornehmen: Wie groß ist der Schaden in mir? Manch ein Mitarbeiter nimmt es eher gelassen und sagt, ok, der Chef hat einen schlechten Tag, da kann ich drüber hinweg sehen. Andere wiederum knabbern lange daran.“
Ein absolutes No-Go: den Raum verlassen
Wer es nicht gelassen nehmen kann, tut trotzdem gut daran, in keine extreme Reaktion zu verfallen. „Absolut vermieden werden sollte es, einfach den Raum zu verlassen und die Führungskraft kommentarlos stehen zu lassen“, sagt Margarete Stöcker. Mancher hält das vielleicht für eine ruhige, überlegene Reaktion – aber es bedeutet eine Eskalation, weil es die Chefin mehr brüskiert, als sie die Mitarbeiterin mit ihrer Kritik vor Publikum brüskiert hat.
Selbstverständlich ist auch das Schreien eine weitere Eskalation: „Wenn ein Wort das andere gibt und am Ende beide schreien, können beide Parteien nur verlieren. Aber noch mehr kann das Ansehen der PDL insgesamt beschädigt werden“, sagt Susanne Vathke.
Was bedeutet das genau: Ruhe bewahren? 6 Tipps
Es bleiben letztlich nicht viele Möglichkeiten außer dem Universal-Tipp „Ruhe bewahren“ und sich in Selbstbeherrschung üben – für das Brüskieren-Problem bedeutet das konkret:
- tief durchatmen, bevor man antwortet
- nicht provozieren oder verunsichern lassen
- sachlich und höflich reagieren
- den eigenen Standpunkt erklären, ohne die PDL anzugreifen oder zu beschuldigen
- der Wohnbereichsleitung oder der Pflegedienstleitung das Gefühl geben, dass auch ihr Standpunkt verstanden wird
- Grenzen setzen oder Stopp sagen
Letzter Ausweg: Vor Publikum um ein Vier-Augen-Gespräch bitten
Sollten Sie merken, dass Sie es einfach nicht schaffen, die Ruhe zu bewahren: Bitten Sie um ein Gespräch unter vier Augen. Damit machen Sie sich Luft, ohne im Gegenzug ihre Chefin zu brüskieren.
Supervision, um das Problem grundsätzlich anzugehen
Bei Spannungen zwischen Führungskraft und einer bestimmten Mitarbeiterin leidet oft das ganze Team. Deshalb kann es hilfreich sein, die Situation von außen zu betrachten und eine Supervision in Anspruch zu nehmen. Diese Von-Oben-Betrachtung unterstützt mit Hilfe eines ausgebildeten Supervisors dabei, das eigene Handeln zu reflektieren, besser zu verstehen, Kritikfähigkeit zu entwickeln und im besten Fall eine gemeinsame Lösung für den Konflikt zu finden. Supervision findet meistens in der Gruppe statt, ist aber auch in Einzelsitzungen möglich. Damit Konflikte gar nicht erst eskalieren, entscheiden sich manche Arbeitgeber (gerade in sozialen Berufen) für eine regelmäßige Supervision.
Niemand muss akzeptieren, wiederholt bloß gestellt zu werden
Wenn Ihre Chefin ihr Verhalten nicht ändert, holen Sie sich Unterstützung von Kollegen, wenden Sie sich an den Personal- oder Betriebsrat. Vor allem, wenn sich die PDL immer wieder respektlos oder ungerecht Ihnen gegenüber verhält oder sogar der Verdacht von Mobbing besteht.
Es gibt auch einige arbeitsrechtliche Möglichkeiten. Paul Krusenotto, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht: „Es muss geprüft werden, wo ein Mitarbeiter einerseits die Handhabe hat, rechtliche Ansprüche geltend zu machen. Und wo muss er andererseits Kritik hinnehmen, weil sie sich im Rahmen des arbeitsrechtlich Erlaubten bewegt. Werden aber Rücksichtnahmepflichten, die in jedem Arbeitsverhältnis wechselseitig gelten, grob verletzt, können unter Umständen Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden.“
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Was Arbeitsrechtler raten
Für den Fall, dass ein Mitarbeiter als Folge des häufigen Brüskierens beispielsweise unter psychischen Belastungen leidet, bieten sich, so Krusenotto, unterschiedliche rechtliche Vorgehensweise an:
- Schadensersatzansprüche sind eventuell möglich, wenn der Mitarbeiter wegen pflichtwidrigem Handeln von Arbeitgeberseite erkrankt und dadurch etwa Verdienstausfälle oder Heilungskosten entstehen. Schadensersatz oder Entschädigungen können unter Umständen in Frage kommen, wenn es um diskriminierendes Verhalten im Sinne des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geht.
- Auch ein Zurückbehaltungsrecht bezogen auf die Arbeitsleistung kann in seltenen Einzelfällen bestehen, wenn der Arbeitgeber zurechenbar systematisch mobbt. Der Mitarbeiter kann dann seine Arbeitskraft zurückhalten, ohne Vergütungsansprüche zu verlieren.
- Der Arbeitnehmer hat laut Betriebsverfassungsgesetz Beschwerderechte, er kann sich also offiziell beim Betriebsrat wegen des Verhaltens seiner Vorgesetzten beschweren. Dabei geht es vor allem um Benachteiligungen im Sinne des Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzes.
Diese Möglichkeiten haben allerdings alle einen Haken: Benachteiligende Handlungen des Arbeitgebers müssen in den allermeisten Fällen bestimmte Erheblichkeitsschwellen überschreiten, um Rechtsfolgen auszulösen. Oft ist es ratsamer, eine Mediation heranzuziehen.
Gerichtliche Auseinandersetzung? Besser ist eine Mediation
Laut dem Bundesverband Mediation ist dies „ein Verfahren zur außergerichtlichen, konstruktiven Bearbeitung von Konflikten.“ Es handelt sich um ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem die Parteien versuchen, mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich ihren Konflikt einvernehmlich beizulegen, ohne rechtliche Schritte einzuleiten,
Autorin: Nina Sickinger/kig