Foto:

Aktvierung und Betreuung

Der Rollator erobert die Tanzfläche

Standard oder Latein? Geht alles. Inzwischen gibt es Hunderte von Tanzkursen für Frauen und Männer mit Rollator.

Sylvia Scheerer (Foto unten) lebt für das Tanzen, ist nahezu täglich auf einer Tanzfläche. Die Arbeit mit Senioren hat es ihr besonders angetan – sie unterrichtet Rollstuhltanz und seit einigen Jahren auch Rollator-Tanz. „Das ist eine Rundum-Sache“, sagt die 59-Jährige, „gut für den Körper und gut für die Seele.“ Seit 2011 hat Scheerer für den Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband (ADTV) im ganzen Land Hunderte Kursleiter ausgebildet. Ein Anruf bei der Rollator-Tanz-Beauftragten.

pflegen-online.de: Frau Scheerer, mit welchem Lied locken Sie die meisten Rollator-Tänzer aufs Parkett?

Sylvia Scheerer: Das ist ganz unterschiedlich und hängt von der Gruppe und dem Alter meiner Tänzer ab. Ich spiele, was Spaß macht und gut ankommt. Meine Hauptklientel ist über 70 und lebt im Seniorenheim, und die freuen sich besonders über ältere Musik, die sie von früher kennen. Richtig gute Erfahrung habe ich mit dem „Ragtime Jim“. Das ist ein Foxtrott – der ist locker-lässig und animiert zum Mitschwingen.

Als Rollator-Tanz-Beauftragte des Tanzlehrer-Verbands – was machen Sie da so?

Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:

Ich selbst gebe seit mittlerweile neun Jahren Rollator-Tanz-Unterricht. Als der Verband im Jahr 2011 eingestiegen ist, habe ich ein Konzept mit Tänzen und Musik erarbeitet, das wir an Interessierte weitergeben. Dazu ist auch ein Handbuch entstanden. In einem zweitägigen Basis-Seminar bilde ich bundesweit Tanzlehrer-Kollegen, Pflegekräfte und Ehrenamtliche im Rollator-Tanz aus. Dabei geht es darum, wie man unterrichtet, welche Besonderheiten es im Umgang mit Senioren gibt und natürlich um spezielle Choreografien. Ein Rollator kann sich ja nur vorwärts und rückwärts bewegen und auf der Stelle drehen. Seitschritte sind unmöglich.

Gibt es spezielle Rollator-Tänze?

Nein, die Tänze, die ich als Tanzlehrerin ganz normal unterrichte, finden sich auch beim Rollator-Tanz – Standard und Latein, nur etwas umgebaut. Das ist richtig reales Tanzen. Und es geht um Spaß und darum, sich wohlzufühlen.

Wie sieht eine typische Choreografie aus?

Beim Foxtrott zum Beispiel, da machen wir acht Schritte vorwärts, tippen mit dem Fuß – Hacke, Spitze – wieder acht Schritte, dann klatschen wir in die Hände, oder, wer nicht ganz so sicher ist, klopft mit einer Hand auf den Rollator. Nach weiteren acht Schritten schwingen wir die Hüften, und beim nächsten Mal winken wir vor dem Körper. Je nach seinem Balancegefühl kann das jeder etwas variieren. Das klappt immer, jeder kann leicht einsteigen. Manchmal bauen wir auch Drehungen ein, aber das mögen nicht alle. Im Alter wird ja vielen schnell schwindelig. Und außerdem ist jeder Tag anders. Wer einmal nicht so gut drauf ist, tippt eben mit dem Fuß auf den Boden, während sich die anderen drehen.

Wo kommt Rollator-Tanz zum Einsatz?

Das ist ganz vielfältig – in den ADTV Tanzschulen, im Seniorenheim, Krankenhaus oder Reha-Zentrum, in der Tagespflege, in der Volkshochschule oder in den städtischen Seniorenzentren. Je nach Platz und Interesse trifft man sich wöchentlich, 14-tägig oder einmal im Monat. Das Schöne ist aber, dass man gar nicht unbedingt in einer Gruppe sein muss. Im Seniorenheim geht das auch mal mit einem Bewohner alleine. Dann tanzt man den Foxtrott einfach den Gang entlang. Wer tanzen möchte, bekommt das überall unter.

Beschreiben Sie doch mal – was passiert in einer typischen Rollator-Tanzstunde?

Die beginnt immer im Sitzen – mit dem Aufwärmen. Wir klatschen zur Musik und bewegen die Füße – Hacke, Spitze. Dabei erkenne ich auch gut, wie die Teilnehmer drauf sind. Denn das kann von Mal zu Mal ganz unterschiedlich sein. Man muss sehr auf die Leute achten und auf sie eingehen. In dieser Phase lerne ich auch neue Tänzer kennen. Ich merke, wie gut sie hören können und ob ihnen die Musik gefällt. Anschließend geht es an den Rollator, und dann rocken wir ab. Ich unterrichte immer 60 Minuten, natürlich unterbrochen durch eine Trinkpause und ein, zwei Tänze im Sitzen. Was immer wieder gerne getanzt wird, ist übrigens die Polonaise.

Hat das Interesse in letzter Zeit zugenommen?

Ja, die Nachfrage steigt. Das Angebot spricht sich rum und setzt sich durch. Viele Heime sind jetzt offener dafür. Oft wird ja schon Sitztanz angeboten, aber der Rollator bringt die Bewohner wieder in Bewegung und führt sie noch mal an das Tanzen im Stehen heran. Viele, die bisher am Stock gehen, lernen den Rollator im Unterricht auch erstmals als etwas sehr Positives kennen und bekommen Interesse, ihn zu nutzen. Schließlich schafft er neue Möglichkeiten und erweitert den Bewegungsradius deutlich.

Was sagen Sie Skeptikern?

Tanzen ist gesund, tut dem Körper gut und fordert auch das Gehirn, weil man Schrittfolgen lernen und behalten muss. Außerdem ist es gut für die Seele – man trifft andere Menschen, man lacht, und oft weckt die Musik ganz viele Erinnerungen. Gleichzeitig animieren wir die Teilnehmer, am Rollator wieder richtige Schritte zu setzen und die Körperhaltung zu verändern – aufrecht zu gehen, sich zu strecken und die Augen nach vorne zu richten, nicht nur auf den Boden. Rollator-Tanz ist eine schöne Rundum-Sache.

Ist Ihnen beim Tanzen schon mal ein Unfall passiert?

Glücklicherweise ist noch nie etwas geschehen. In den Heimen sind wir auch immer zu zweit, da ist immer jemand vom Haus dabei. Und die normale Gruppengröße liegt bei acht bis zwölf Leuten, denn man muss jederzeit nach allen schauen können und sehr achtsam sein.

Wer fordert eher auf – Frauen oder Männer?

Das ist anders als in der traditionellen Tanzstunde. Bei uns tanzt meist jeder für sich, hintereinander, in eine Richtung. Und wenn wir zu zweit tanzen, also nebeneinander, dann teile ich ein. Dabei geht es auch um die Schrittgröße und darum, wer wen mag. Und ohnehin haben wir meist viel zu wenig Männer.

Auf die Füße treten ist nicht, oder?

(lacht) Nein, man kann nur jemandem in die Hacken fahren…

Interview: Jens Kohrs

Foto: Wiemers/ADTV

Foto (Porträt): Sylvia Scheerer

Sylvia Scheerer

Sylvia Scheerer (59) hat direkt nach ihrem Abitur eine Tanzlehrer-Ausbildung gemacht. Seit 1981 ist sie Tanzlehrerin im Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband (ADTV). Sie ist ADTV Tanzsporttrainerin/Kindertanzlehrerin und ADTV Fachtanzlehrerin für Seniorentanz sowie C- Trainerin Rollstuhltanz. Seit 2005 arbeitet sie verstärkt im Seniorenbereich, und seit 2009 beschäftigt sie sich mit Rollator-Tanz. Seit 2011 ist Scheerer Rollator-Tanz-Beauftragte des ADTV. Tanz ist ihre Berufung, sagt die 59-Jährige: „Ich wollte nichts anderes machen.“

Kontaktdaten für Interessenten:

Allgemeiner Deutscher Tanzlehrerverband e. V.

ADTV-Geschäftsstelle

Weidestraße 120 b

22083 Hamburg

Tel.: 040 636 06 57-0

info@adtv.de

www.adtv.de

Der Rollator erobert die Tanzfläche > Paragraphs > Image Paragraph

Wir haben noch mehr für Sie!

Antworten und Impulse für die Pflegeprofession gibt es auch direkt ins Postfach: praxisnah, übersichtlich und auf den Punkt.
Melden Sie sich jetzt für den pflegebrief an - schnell und kostenlos!
Wir geben Ihre Daten nicht an Dritte weiter. Die Übermittlung erfolgt verschlüsselt. Zu statistischen Zwecken führen wir ein anonymisiertes Link-Tracking durch.

Vom richtigen Umgang mit Gehhilfen

10 Tipps, damit Senioren mit Rollator nicht stürzen

In Deutschland gibt es immer mehr Rollator-Fahrer. Doch die meisten nutzen ihn falsch. Stürze sind eine Folge, besonders jetzt bei der Glätte

    • Aktvierung und Betreuung, Pflegeberatung, Aktivieren und Beschäftigen, Sturzprophylaxe, Pflegende Angehörige, Sturz

Tanz-Video-Challenge

Kliniken und Heime in Jerusalema-Tanz-Fieber

Pflegekräfte und ihre Kollegen aus Medizin, Physiotherapie & Co. bringen mit ihren hundertfach hochgeladenen Tanzvideos Zuversicht und Zusammenhalt in der Corona-Pandemie zum Ausdruck - ein Kommentar

    • Corona, Kommunikation

Ausländische Pflegekräfte

Wie ein italienischer Pfleger  Deutschland erlebt 

Francesco Fontanini konnte kaum Deutsch als er 2015 ins Westpfalz-Klinikum kam, inzwischen hat er sich gut eingelebt. Wir fragten ihn, was Team und ausländische Pflegekräfte selbst für einen geschmeidigen Einstieg tun können     

    • Kommunikation, Pflege als Beruf, Fachkräftemangel
AdobeStock_185464849.jpeg

Dokumentation und Pflegeplanung

Warum SIS für Einrichtungen eine Erfolgsstory ist  

Kaum eine Neuerung begeistert die Altenpflege so sehr wie die Strukturierte Informationsansammlung (SIS). Aus drei Gründen haben sich inzwischen 80 Prozent der Heime und ambulanten Dienste für diese Dokumentation entschieden   

    • Maßnahmenplanung, Pflegedienst, Pflegedokumentation, Pflegebericht, Bewohner, Arbeitsorganisation, Einrichtung