Deprivation: Es geht um Verlust, Entbehrung und Einschränkung
Was aber bedeutet Deprivation? Es geht um Verlust und Entbehrung von etwas, das eine große Bedeutung im Leben eines Menschen gespielt hat. Es können soziale, emotionale, mentale, körperliche Entbehrungen sein, hervorgerufen durch ein Handicap, den Verlust oder die Abwesenheit einer vertrauten Person. Es geht aber auch um Reizarmut, fehlende Ansprache, das „Nicht-mehr-wahrgenommen-Werden“ als aktiver und fühlender Mensch und Gesellschaftsmitglied. Gerade hier können Pflegekräfte ansetzen und für eine ansprechende, stimulierende Umgebung und einen eben solchen Umgang sorgen, Brücken zum Miteinander, zur Gesellschaft bauen.
Das Gute: Die Deprivationsprophylaxe trägt auch zu einer besseren Körperwahrnehmung, situativer Orientierung und mehr Wohlbefinden bei. Zur Deprivationsprophylaxe gehören:
- Die richtige Lagerung: Oberkörper erhöht lagern, damit sich der Bewohner/Patient im Zimmer orientieren kann (Vorsicht: die Scherkräfte können erhöht und der Druck auf die Steißbeinregion erhöht sein). In der Seitenlage möglichst den Blick ermöglichen in Richtung Fenster, Garten oder Tür. Fragen Sie den Patienten oder Bewohner, fragen Sie sich selbst, wie sie liegen möchten, ob sie so liegen möchten und etwas verbessert werden kann.
- Lagerungshilfsmittel einsetzen, welche die Wahrnehmung für die eigenen Körpergrenzen steigern, zum Beispiel sandtherapeutische Hilfsmittel, wie spezielle Sandsäcke.
- Einreibungen: Die Atemstimulierende Einreibung (ASE) zum Beispiel vertieft und beruhigt nicht nur die Atmung zum Schlafen hin. Sie gibt auch untertags ein gutes Körpergefühl, außerdem beugt sie Schlafstörungen und Pneumonien vor. Wenn sie richtig ausgeführt wird, vertieft die ASE die Wahrnehmung der eigenen Körpergrenzen und die des Umfeldes durch die bewusste Berührung und die ungeteilte Präsenz der Pflegekraft.
- Förderung der Feinmotorik: Übungs- und Therapiematerialien, wie es beispielhaft die Montessori-Materialien für Senioren tun, aber auch Aktivierung während der Grundpflege oder Nahrungsaufnahme sowie Anreize im Bereich der Beschäftigung, zum Beispiel Schach- und Kartenspiele, gemeinsames Kochen, das Musizieren mit Instrumenten oder handwerkliche und kunsthandwerkliche Tätigkeiten, fordern und fördern die Feinmotorik und alle Sinnesorgane.
- Kinästhetische Mobilisation: Die Pflegekraft erkennt und bezieht die Bewegungsressourcen des Patienten oder Bewohners ein. Er sollte die Kontrolle über das Geschehen behalten und aktiv daran teilnehmen. Der Körperkontakt während der Mobilisation und die lebendige Kommunikation stärken die Körperwahrnehmung, spenden Sicherheit und Vertrauen. Jeder Bewegungsschritt bleibt nachvollziehbar.
- stimulierende Hilfsmittel wie «Aroma-Breezern» oder «Sensonanz-Platten».
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Dem Patienten erklären, was gemacht wird
Über einen Menschen hinweg sprechen oder handeln, als wäre sie oder er gar nicht da oder würde ohnehin nichts verstehen oder hören, kann die Deprivation verschärfen und ist daher ein „No-Go“ in der Pflege – das bedeutet: Niemals über Patienten oder Bewohner in der dritten Person mit Ärzten, Kollegen, Angehörigen und auch nicht mit gesetzlichen Betreuern sprechen. Patienten und Bewohner sind selbstverständlich keine Objekte, sondern Personen mit Emotionen, Sinneseindrücken und Körperwahrnehmungen. Sie wollen wissen, was mit ihnen gemacht wird.
Während der Pflege die Orientierung fördern
Dem Patienten oder Bewohner sollte jede noch so kleine, aber mögliche Option zum Mitgestalten am Pflegeprozess aufrechterhalten bleiben. Wenn die Pflegekraft vor jedem Lagerungswechsel, vor jeder Untersuchung, vor jedem Transport zugewandt und authentisch (und nicht etwa teilnahmslos oder überhaupt nicht) mitteilt), was sie jetzt vorhat, und wie es weitergeht, hat der Patient oder Bewohner die Chance, einen Bezug herzustellen und zu verarbeiten, was als Nächstes mit ihm geschehen wird. Er kann mitgestalten und notfalls Einspruch erheben.
So trägt die Pflegekraft wesentlich dazu bei, die örtliche, zeitliche und situative Orientierung des Patienten oder Bewohners zu stärken, damit er sich beruhigen, sich sein Wortschatz normalisieren und er sich wieder besser konzentrieren kann.
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Deprivation: die 4 Risikogruppen
Gefährdet sind Menschen, die
1. bereits alters- oder krankheitsbedingt Einschränkungen im Bereich ihrer Sinne haben und auf Hilfsmittel wie Hörgerät, Brille und andere Sehhilfen angewiesen sind. Diese Handicaps können
- die Augen betreffen, zum Beispiel durch Gesichtsfeldeinschränkungen, nachlassende Sehschärfe – man denke an Diabetiker, Menschen mit Glaukom, Grünem Star, Makuladegeneration, Retinopathie,
- die Ohren betreffen, zum Beispiel durch altersbedingte Hörminderung, Infektionen, wie Otitis media (Mittelohrentzündung), Schalltraumata oder bei bestimmten ototoxischen Medikamenten, wie Furosemid, Aspirin und manche Antibiotika,
- den Tastsinn und die Sensibilität der Haut betreffen, zum Beispiel bei Polyneuropathie (Diabetes und andere), Durchblutungsstörungen, als Nebenwirkung von Medikamenten, Vitaminmangel, et cetera,
- den Geschmacks- und Geruchssinn betreffen, so bei Alzheimer-Demenz, nach Virusinfektionen, unter anderem mit SARS-CoV2, oder auch bei Kopfverletzungen junger Erwachsener
- den kinetischen Sinn (Gleichgewichtssinn) betreffen, zum Beispiel nach Schlaganfall, Verletzungen des Nervensystems, bei Parkinsonerkrankung oder Multipler Sklerose.
2. unter Mobilitätseinschränkungen leiden und für Außenkontakte, zur Mobilisation, zum Lagewechsel im Bett Unterstützung benötigen,
3. wenig sozial Ansprache, ein verarmtes, soziales Umfeld, traumatische Erfahrungen oder psychische oder körperliche Gewalterfahrungen gemacht haben,
4. Orientierungsstörungen haben, zum Beispiel Menschen mit Demenz, Patienten, die häufiger verlegt worden sind. Orientierungsstörungen treten auch dann auf, wenn Geschehnisse nicht eingeordnet werden können, aber gehört und wahrgenommen werden.
Autorin: Melanie Klimmer