Ob Märchenbilder oder Spieletherapie – die meisten Produkte für die Beschäftigung von Demenzbetroffenen seien künstlich konstruiert, überflüssig und kosteten die Pflegeheime nur unnötig Geld. So argumntieren die beiden Schlütersche Autoren Swen Staack und Jochen Gust in ihrem Buch LEBEN statt therapeutischer Akrobatik. halten die zwei Experten wirklich alle Therapieformen für nutzlos? pflegen-online hat noch einmal nachgelesen.
Singbücher – billige Chinaware braucht keiner
Blechern tönt es aus dem Buch: Wanderlieder, die Demenzkranke auf dem Weg des musikalischen Gedächtnisses erreichen sollen, auf Knopfdruck abrufbar in einem Singbuch – aus asiatischer Produktion. Innen baumele „ein Zopf aus billiger Wolle“ und ein „Lederfetzen als Rucksack“, was beides „wohl so etwas wie ein haptisches Angebot darstellen“ solle, so Gust und Staack. Nein, an Produkten wie speziellen Singbüchern für Demenzbetroffene lassen die zwei Pflegeexperten kein gutes Haar. Geldmacherei, sagen sie.
Aber gemeinsam musizieren – ja, bitte!
Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:
Dennoch betonen sie, wie wichtig Musik in der Betreuung und Beschäftigung von Menschen mit Demenz sei. Musik erlaube Zugänge zu den betroffenen Menschen, und dies auf vielen Ebenen. Nicht umsonst sei die Musiktherapie eine langjährig bewährte und auch bereits gut untersuchte und mit Studien hinterlegte Therapieform. Doch auch im Kleinen lasse sich Musik einsetzen, so die Pflegespezialisten: Im Heim gemeinsam musizieren oder Musik hören oder nach Musik tanzen mache Freude, sorge für Wohlbefinden, bringe Spaß und fördere die Ressourcen. Auch ohne therapeutische Ausbildung. Und ohne Schnick-Schnack-Bücher.
Schnell und gut: 10-Minuten-Aktivierung
Eine Therapie, die nicht als solche daher kommt, sondern als das bezeichnet wird, was sie ist: eine Aktivierung. In sogenannten Themenkästen – etwa Wald, Strand, Kochen – werden verschiedene Gegenstände gesammelt, die für wenig Geld auf Flohmärkten oder bei Haushaltsauflösungen zu erstehen sind. Für besagte zehn Minuten werden diese Kisten den Heimbewohnern vorgelegt, wird ihnen angeboten, sich mit den Gegenständen zu beschäftigen, sie zu berühren und zu ertasten, an ihnen zu riechen. Eine Pflegekraft begleitet das Tun.
Länger als 10 Minuten sind bei Demenz oft zuviel
Verschüttete Fähigkeiten können so wiederentdeckt, die Menschen ein Stück weit geöffnet werden, so das Urteil der zwei Autoren: Da Forschungen gezeigt haben, dass sich Menschen mit Demenz nur über einen kurzen Zeitraum konzentrieren können, sei dies eine „tolle und einfache Methode“ der Aktivierung und Beschäftigung. Und sie schicken noch einen Praxistipp mit: Die zehn Minuten bitte nicht allzu dogmatisch nehmen. Hat ein Bewohner sichtlich Freude an dem Angebot, kann die Sitzung mit den Kästen ruhig etwas ausgedehnt werden.
Achtung, Reizüberflutung: Snoezelen
Riechen, schnüffeln und dabei dösen – „Snoezelen“ wurde in den Niederlanden für Menschen mit geistiger Behinderung entwickelt, wurde später – etwas reformiert – in Deutschland auch für die Beschäftigung mit Demenzkranken eingeführt: In einem speziell eingerichteten Stimulationsraum sollen Heimbewohner emotionale Erfahrungen machen können. Dafür sorgen Düfte, Geräusche oder Töne und Lichteffekte. Für das „Snoezelen“ in der ambulanten Pflege gibt es diverse tragbare Gegenstände wie etwa Lavalampen, Duftöle oder Projektoren. Das Positive: Aggressives Verhalten könne in einzelnen Fällen reduziert, die Konzentrationsfähigkeit verbessert werden, so zumindest vielfach die Beobachtung von Pflegern. Doch Gust und Staack warnen auch vor Überforderung:
- Hin und wieder werde von Reizüberflutung durch Snoezelen berichtet und davon, „dass Sinneseindrücke im Krankheitsverlauf immer weniger adäquat verarbeitet werden können“,
- gar dasRisiko wahnhafter Vorstellungen steige an;
- eine Metaanalyse habe 2009 zudem keinen Wirksamkeitsnachweis bei Demenz erbracht.
Einen positiven Begleiteffekt können die Staack und Gust dem Snoezelenraum aber sehr wohl abgewinnen: die Mitarbeiter nutzen ihn gern für ihre eigene Entspannung in der Mittagspause. „So ist ein solcher Raum dann durchaus wieder gerechtfertigt.“
Hurra, eine Studie! MAKS-Therapie
Eine zentrale Kritik der beiden Pflegeexperten lautet: Arzneimittelfreie Therapien für Demenzbetroffene sind zu wenig erforscht, entsprechend dünn sei die Studienlage, die Wirksamkeit einzelner Angebote zu wenig belegt. Anders bei der MAKS-Therapie. Hier sei es den Entwicklern gelungen, den Nutzen zu zeigen, und das „eindrucksvoll“:
Was ist die MAKS-Therapie?
MAKS steht für „motorische, alltagspraktische, kognitive und spirituelle Aktivierungstherapie“ und ist ein sogenannter Mehrkomponentenansatz. Kern sind Gruppensitzungen, in denen Heimbewohnern in einem abgestimmten Konzept Beschäftigungen angeboten werden: Bewegungsspiele, Handwerks- und Haushaltstätigkeiten, Gedächtnisübungen, stets eingeführt durch eine kurze spirituelle Einstimmung. Entwickelt wurde die ganzheitliche Methode vom Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung der Psychiatrischen Universitätsklinik Erlangen.
Was bringt die MAKS-Therapie?
Die Gesamtsymptomatik der Therapierten verbessert sich: Depressive Symptome nehmen ab, auch die Aggressivität lässt nach, das Sozialverhalten verbessert sich, die alltagspraktischen und kognitiven Fähigkeiten blieben – anders als das üblicherweise im Verlauf einer untherapierten Demenz zu beobachten ist – weitgehend erhalten. Das zumindest zeigten erste Ergebnisse auf Basis einer Untersuchung in fünf Pflegeheimen, auf die Staack und Gust in ihrem Buch hinweisen. Eine jüngere Studie, durchgeführt in Tagespflegestätten und 2017 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht, unterstützt diese Belege: Die Therapie führte auch hier zu einem signifikant besseren Verlauf der alltagspraktischen und kognitiven Fähigkeiten von Menschen mit Demenz im Vergleich zur herkömmlichen Versorgung.
Also alles gut?
Im Prinzip ja. Natürlich seien die einzelnen MAKS-Therapieangebote für sich genommen „keine neuen Erfindungen oder völlig neue Ansätze“, wie Staack und Gust einräumen. Aber gerade die Kombination einzelner bewährter und neuer Inhalte mache hier den Dreh; auch das strukturierte Vorgehen scheine sich auszuzahlen. Und für die Studienarbeit könnten alle Anwender von nichtmedikamentösen Therapieformen dem Team der Uni Erlangen nur „dankbar sein“.
Text: Romy König
Quelle:
Swen Staack, Jochen Gust: LEBEN statt therapeutischer Akrobatik
Schlütersche Verlagsgesellschaft, 2015, ISBN: 978-3-89993-350-5