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Foto: d:light | Christian Koch
Märchenerzählerin 2019 im Bürgerspital Würzburg

Studie Märchen und Demenz

Demenzkranken Märchen vorlesen? Am besten gut geschult!

Märchen steigern das Wohlbefinden. Da die Wirkung aber stark von der Vorleserin abhängt, gibt es jetzt die kostenlose Schulung „Demenzerzählen“ für Pflegekräfte und Betreuungskräfte. 

Es war einmal … mit diesem Satz fangen alle Märchen an, an diesen Satz knüpfen sich auch unsere frühesten Kindheitserinnerungen. „Deswegen kann man mit Märchen gut Demenzerkrankte erreichen, sie aktivieren das Langzeitgedächtnis“, sagt Silke Fischer, Geschäftsführerin von „Märchenland – Deutsches Zentrum für Märchenkultur“. Angeregt durch diese Erkenntnis hat Märchenland eine in Deutschland einzigartigen Gesundheitsförderungskonzept angestoßen: das Projekt „Es war einmal … Märchen und Demenz“, an dem seit 2017 bundesweit 272 Pflegeeinrichtungen teilgenommen haben.

So läuft das Vorlese-Projekt im Pflegeheim ab

Steigt ein Pflegeheim neu ein in das Projekt, kommen acht Wochen lang Demenzerzählerinnen oder -erzähler einmal die Woche in die Einrichtung – seit der Corona-Pandemie nur online. „Allerdings mit gleich bleibendem Erfolg“, sagt Silke Fischer. Die virtuellen Veranstaltungen finden immer am gleichen Wochentag, im selben Raum und zur gleichen Uhrzeit statt. Die Einrichtungen erhalten dazu eine „Virtuelle-Märchenstunde-Box“ mit acht USB-Sticks, die mit jeweils drei Märchen bespielt sind. Außerdem eine Märchenland-Box gefüllt mit einem Märchenbuch, einem Defa-Märchen-Spielfilm, einem Hörbuch, ein Memory und Ausmalbildern. „Die Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeheime sollen Märchen mit allen Sinnen wahrnehmen können.“

Das Bundesfamilienministerium ist auch involviert

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Auf dem Bildschirm erscheint die Demenzerzählerin in ihrem goldenen Mantel und erzählt bekannte Märchen wie „Dornröschen“ und unbekanntere wie „Das Lämmchen und Fischchen“, ebenfalls von den Brüdern Grimm. Alle Erzähler/innen haben eine fundierte Sprach und- Schauspielausbildung und sind speziell geschult worden zu Alterserkrankungen und Grundregeln für den Umgang mit Menschen mit Demenz.

Das Projekt wird begleitet von einer Studie, die das Bundesfamilienministerium bei der Pflegewissenschaftlerin Professor Ingrid Kollak von der Alice-Salomon-Hochschule Berlin in Auftrag gegeben hat. Mit im Boot ist auch die AOK, die den daraus entwickelten Präventionsansatz finanziert.

„Märchen und Demenz“ wird von einer Studie begleitet

Während der acht Wochen füllen die Pflegekräfte nach jeder Märchenstunde einen Fragebogen zum Verlauf aus, der in der Begleit-Studie ausgewertet wird. Danach, so wünschen es sich die Initiatoren, übernehmen die Pflegekräfte und die Betreuungskräfte. Deshalb besteht auch ein elementarer Bestandteil des Projekts darin, sie in der professionellen Märchenvermittlung zu schulen. Jede interessierte Pflegekraft kann an der zweitägigen Schulung teilnehmen und mit dem Zertifikat „Märchenvorleser/in“ abschließen.

Demenz-Vorlesen ist mental und körperlich anstrengend

„Wer glaubt, dass jeder Geschichten vorlesen kann, der irrt“, sagt Silke Fischer. Um herauszufinden, wie professionelles Demenzerzählen funktioniert – gerade dafür habe die vierjährige wissenschaftliche Wirksamkeitsstudie gedient. „Märchenstunden mit Demenzerkrankten bedeuten für die Erzählerinnen oder Vorleser eine mentale, körperliche und stimmliche Herausforderung.“ Erforderlich seien ein hohes Maß an Konzentration und Einfühlungsvermögen. „Um die Aufmerksamkeit der Zuhörenden zu halten, müssen ihre verschiedenen Bedürfnisse ständig berücksichtigt sowie Sprechtempo, Lautstärke, Aussprache und Auftreten situationsabhängig angepasst werden.“

Lernen wie ein Schauspieler, eigene Akzente zu setzen

Lothar Hirsch, Betreuungsassistent in einem privaten Pflege- und Seniorenheim in Höchstädt an der Mosel mit 73 Bewohnern - kognitiv eingeschränkt oder demenziell erkrankt – hat die zweitägige Schulung Demenzerzählen bereits absolviert. Während der Schulung lernte er unter anderem Texte zu strukturieren und eigene Akzente zu setzen. Eine von Märchenland ausgebildete Dozentin leitete ihn bei Stimm- und Atemübungen an, damit er seine Stimme besser kennenlernen konnte.

Das Glockenklingeln zu Beginn ist ganz wichtig

Seit Januar ist Lothar Hirsch Märchenvorleser. Für seinen Einsatz hat ihm Märchenland einen Märchenland-Koffer zu Verfügung gestellt mit Lehrbuch, goldenem Märchenmantel und Glocke. Sein Publikum begrüßt er mit der Glocke, vor den Augen des Publikums zieht er seinen Märchenmantel über. Für die Frauen und Männer ist es das Zeichen, das nun die Märchenstunde beginnt. „Sie brauchen einen Erinnerungsanker“, nennt es Silke Fischer.

Plötzlich zeigen die Bewohner ganz unbekannte Seiten

„Spieglein, Spieglein an der Wand“, liest Lothar Hirsch. Einige der Zuhörer/innen murmeln: „Wer ist die Schönste im ganzen Land.“ Dabei leuchten ihre Augen, erzählt Hirsch. „Sie sind stolz, dass sie den Text aufsagen können.“ Manch andere fingen an, von ihrer Kindheit zu erzählen. „Ich lerne die Bewohnerinnen und Bewohner von einer ganz anderen Seite kennen, erfahre Geschichten, die ich vorher nicht kannte. Das hilft mir sehr im täglichen Umgang mit ihnen.“ Mit den Märchen kann er eine besondere Verbindung zu Menschen herstellen, die sich in ganz unterschiedlichen Stadien einer Krankheit befinden.

Märchenerzählen steigert die Lebensqualität

„Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass „professionelles, regelmäßiges und strukturiertes Märchenerzählen Menschen mit Demenz und herausfordernden Verhaltensweisen Wohlbefinden ermöglicht und Verhaltenskompetenzen aktiviert“, schreibt Pflegewissenschaftlerin Ingrid Kollak. „Ein solches Märchenerzählen ist bedürfnisorientiert, steigert die Lebensqualität von Menschen mit Demenz und sollte in Pflegeeinrichtungen angeboten werden“.

Die Studie belegt ebenfalls, dass sich das professionelle Märchenerzählen auf das psychische Wohlbefinden des Pflege- und Betreuungspersonals auswirkt. „Märchen sind Balsam für die Seele“, bestätigt Silke Fischer.

Möchten Sie zertifizierte Märchenvorleserin werden?

Die Schulung kann nur diejenige (oder derjenige) machen, dessen Pflegeheim am Projekt „Märchen und Demenz“ teilnimmt. „An einer Teilnahme interessierte Pflegeeinrichtungen können sich jederzeit an Märchenland wenden“, sagt Silke Fischer. „Wir begleiten sie während der gesamten acht Wochen und helfen auch, die digitale Infrastruktur für die virtuellen Märchenstunden zu schaffen.“ Die Kosten übernehmen im vollen Umfang die Pflegekassen. 

https://maerchenunddemenz.de/

Autorin: Dagmar Trüpschuch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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