Heidi Baschek (57), Altenpflegerin (Foto links):
Ob Patienten mit Demenz mich an meine Grenzen bringen? Sicherlich, das kommt schon vor, auch wenn ich als examinierte Altenpflegerin jahrelange Übung habe. Doch für mich gibt es zwei bis drei Mechanismen, die mir helfen, wenn ich merke, dass mein Blut hoch kocht.
1. Tipp: Die Situation verlassen
Nehmen wir die klassische Situation: Ich komme ins Zimmer und der Patient reagiert ungehalten und ablehnend. Dann sage ich oft: „Einen kleinen Moment bitte, ich komme gleich wieder.“ Ich verlasse also die Situation. Und diese Unterbrechung nimmt oft die Anspannung raus. Je nach Demenzform kann es nämlich passieren, dass der Patient sich gar nicht mehr erinnert, dass ich die Person bin, die kurz zuvor schon einmal ins Zimmer gekommen ist. Auch ich selbst habe mich dann meistens beruhigt und kann mich besser auf den Patienten einstellen.
2. Tipp: tief einatmen
Eine zweite Strategie, die bei mir gut greift: Tief einatmen und 21, 22, 23 … zählen. Dabei werde ich tatsächlich ruhiger.
3. Tipp: wertschätzend reagieren
Die dritte Herangehensweise ist eigentlich die Beste: Ich reagiere validiant, also wertschätzend. Das heißt, ich versuche die Situation umzudrehen und deeskalierend auf den Patienten einzuwirken. Sofern er es zulässt, nehme ich Körperkontakt auf, berühre ihn am Arm oder an der Schulter und versuche ihn durch streichende Bewegungen zu beruhigen. Das funktioniert oft gut. Allerdings bin ich nicht immer dazu in der Lage.
4. Tipp: den Patienten nicht am Kopf berühren
Man muss auch vorsichtig sein, ich habe schon einmal eine gewatscht bekommen. Wichtig ist, den Patienten in einer solchen Situation nicht am Kopf oder im Gesicht zu berühren, das wird leicht als Angriff empfunden.
5. Tipp: langsam und mit tiefer Stimme sprechen
Was bei mir hinzu kommt: Mit meinen 57 Jahren und meiner tiefen Stimme respektieren mich die Patienten oft mehr als die jüngeren Kollegen. Mit tiefer Stimme, in kurzen Sätzen und langsam sprechen – das wäre in jedem Fall noch ein ganz wichtiger Tipp, wie man deeskalierend wirken kann.
Ellen Panke (34), Krankenschwester (Foto rechts):
6. Tipp: Aggression als Symptom betrachten
Was mir sehr gut hilft, wenn Demenzkranke aggressiv werden: Ich sage mir, dass es nicht sie selbst sind, die mich beschimpfen, dass es vielmehr die Krankheit ist, die sie so hat werden lassen. Ich versuche, die Aggression zu betrachten wie ein Symptom, ähnlich wie einen auffälligen Puls.
7. Anknüpfen an das, was den Patienten beschäftigt
Eine andere gute Methode ist, sich auf die Wut des Patienten total einzulassen, seine Wahrheit nicht infrage zu stellen. Damit habe ich schon häufig Erfolge erzielt. Wenn mir ein 94-Jahre alter Patient mit abwehrenden Handbewegungen erklärt, er hätte jetzt keine Zeit für mein Anliegen, er müsse seine vierjährige Tochter aus dem Kindergarten abholen, dann erkläre ich im nicht, dass seine Tochter inzwischen Ende 50 ist und nicht mehr in den Kindergarten geht. Vielmehr versuche ich das, was ich pflegerisch plane, mit seinem Wunsch zu verbinden. „Ja, Sie sind ein zuverlässiger Mann, Sie wollen nicht zu spät kommen, das verstehe ich. Aber vielleicht darf ich Ihnen vorher dabei helfen, ein wenig gut auszusehen.“ So oder ähnlich versuche ich ihn abzulenken. Das funktioniert meistens.
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8. Tipp: Lachen erlaubt!
Was für mich ganz allgemein im Umgang mit Demenzkranken ebenfalls wichtig ist: Man darf lachen – nicht über die Demenzkranken, aber mit ihnen. Wenn die Patientin sich etwa mit der Gabel die Haare kämmt: Dann lache ich nicht, weil sie etwas Lächerliches getan hat, sondern weil die Assoziation, die sie hat, für mich sogar irgendwie nachvollziehbar ist und mir Freude bereitet. Das wiederum bereitet ihr idealerweise Freude. Vielleicht lässt sich auf diese Weise auch manche aggressive Situation auflösen – das müssten wir vielleicht doch häufiger probieren.
9. Tipp: Mit Kollegen über eskalierte Situationen reden
Nichtsdestotrotz: Es gibt immer wieder Situationen, in denen man die Geduld verliert. Wenn Patienten zum Beispiel sehr persönlich werden oder einen unsittlich berühren. So etwas beschäftigt mich lange, weil ich dann glaube, professionell versagt zu haben. Andererseits: Erfolgreich ist man mit seiner Arbeit nur, wenn man menschlich bleibt und sich berühren lässt. Ideal ist, wenn man über solche Eskalationen mit Kollegen sprechen und Lösungen finden kann.
Protokoll: Kirsten Gaede