Uli Zeller arbeitet in der sozialen Betreuung in Singen im Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Er ist Autor des Buches „Unsere 50er-Jahre“ (Schlütersche, 2018). Und hier sind wir auch schon beim Kern seines Ansatzes: Geschichten von damals vorlesen!
Tipp 1: Verklärung, ein wenig Kitsch sind erlaubt
Doch die Geschichten müssen für Menschen mit Demenz passen. Eine Voraussetzung, die nur wenige Bücher erfüllen. Also hat Uli Zeller selbst ein Buch geschrieben mit Zeitzeugenberichten. „Ich zeichne hier ein wohlwollendes, verklärtes Bild der 50er – obwohl es eine harte Zeit war, gerade auch für die Frauen.“ Zeller möchte seine Zuhörer zu schönen Erinnerungen zurückführen. Er möchte verhindern, dass Schreckensbilder von Krieg, Flucht und Vertreibung seine Zuhörer heimsuchen.
Tipp 2: Bitte farbig und konkret: Von Henkelmann bis Persilschein
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Ein glückliches Lächeln huscht über das Gesicht der Bewohnerin im AWO-Pflegeheim in der süddeutschen Stadt Singen, nicht weit vom Bodensee. „Ja, so war es, genau so war es“, kommentiert die betagte Dame. Uli Zeller, der hier in der sozialen Betreuung arbeitet, hat ihr gerade eine Geschichte über die 50er-Jahre vorgelesen. Sie hat sich darin wiedererkannt, denn wie im Buch war auch sie damals zu jung, um ins Kino zu gehen. Stattdessen hat sie die Programmhefte zu den Filmen, die es damals für einen Groschen gab, geliebt und gesammelt.
Programmhefte für einzelne Kinofilme? Für die man Geld bezahlt hat? Das hat es gegeben? Aber ja – nur die Jüngeren wissen das nicht mehr, die Älteren erinnern sich sehr wohl, vor allem wenn man ihre Erinnerung bewusst in diese Richtung lenkt. „Es ist am besten, wenn in Vorlesegeschichten zeittypische Phänomene und Begriffe von damals vorkommen“, hat Zeller aus eigener Erfahrung erkannt. Den „Persilschein“, der eine weiße Weste attestierte, oder das Essgefäß „Henkelmann“ nennt er als Beispiele. „Das erleichtert das Erinnern und das hilft auch den Betreuern, die vorlesen.“
Tipp 3: Die Geschichten müssen für Demenz geeignet sein
Den Bewohnern Erzählungen oder auch Berichte aus der Zeitung vorzulesen ist ein bewährter Weg der sozialen Betreuung im Pflegeheim. Doch nicht jede Geschichte eignet sich, wenn sie auch Senioren mit Konzentrationsstörungen ansprechen soll. „In meinem Buch habe ich die einzelnen Geschichten geradlinig und kurz gehalten“, erklärt Zeller. „Zudem wiederhole ich gelegentlich wichtige Informationen.“ Den Lesefluss dürfen solche kleinen Wiederholungen natürlich nicht stören, erläutert der Buchautor.
Tipp 4: Vorlesen mit Augenkontakt und ordentlich Stimme
Ganz wichtig: Lebendig vorlesen. Verleihen Sie den Geschichten Farbe, indem sie passend zum Inhalt etwa langsamer, schneller, lauter oder leiser lesen. Und: Halten Sie Augenkontakt, prüfen Sie, ob das Gegenüber noch folgt und variieren Sie, wenn nötig, rät Zeller. Für alle die ihre Vorlese-Kompetenz perfektionieren möchten: Nehmen Sie ein paar Stunden Sprechunterricht bei einem Schauspieler – das bringt Spaß und in Kürze spürbare Fortschritte.
Tipp 5: Mit Zeitzeugen reden
Damit sein Buch über die 50er-Jahre die Zielgruppe richtig gut unterhält und ein breites Spektrum an Erinnerungen wachruft, hat Uli Zeller 30 bis 40 Zeitzeugen befragt, die er per Aufruf in der Zeitung, aber auch im Café oder in der Kneipe gefunden hat.
„Einmal saß ich in einem Fast-Food-Restaurant zufällig neben einem älteren Herrn, den ich behutsam auf das Thema brachte.“ Der Mann erzählte ihm ausführlich über seine ersten Autofahrten nach Spanien und den Zustand der Straßen dort. Ein Ehrenamtlicher in der Kirche wiederum berichtete ihm, dass seine Eltern damals einen Fernseher per Ratenkredit gekauft haben. An dem Gerät war eine Box angebracht, in die man Münzen einwerfen musste. Weil die Familie die Box manipuliert hat, wurde der Fernseher allerdings wieder abgeholt.
Tipp 6: Aktivieren nicht vergessen!
Geschichten von damals vorzulesen – das entspannt besonders Menschen mit Demenz und ebnet den Weg zu eigenen Erinnerungen. Eine wunderbare Wirkung - Betreuungskräfte können sie nutzen, um die Zuhörer jetzt aktiv einzubeziehen.
„Wer selbst seine eigenen Erinnerungen wachruft, löst Denkprozesse im Gehirn aus und leistet dem Gedächtnisverlust Widerstand“, sagt Uli Zeller. In seinem Buch bietet der studierte Theologe solche Aktivierungsideen an. Das beginnt mit Multiple-Choice-Quizfragen oder mit Redensarten, die zu vervollständigen sind. „Bitte niemals dem Bewohner das Gefühl geben, dass er etwas nicht weiß und ihn somit bloßstellen“, warnt Zeller. Im nächsten Schritt liefert das Buch Gesprächsimpulse, die zum Reden über eigene Erfahrungen der Senioren einladen.
Schließlich bietet der Band Hintergrund-Informationen, die man je nach Interesse oder Konzentrationsfähigkeit der Zuhörer einfließen lassen kann. „Ich kann als Vorleser so viel Hintergrund einbringen, wie ich für zuträglich halte“, erläutert der Autor. So hat er in einer Geschichte den Volksaufstand in der DDR nur am Rande erwähnt, liefert aber Zusatz-Infos, die der Vorleser je nach Situation nutzen kann oder auch nicht. Für das Thema „Ausgehen und Tanzen in den 50er-Jahren“ schlägt Zeller sogar vor, die Bewohner zu einem Sitztanz einzuladen, beim Thema Geld lautet seine Idee zur Aktivierung, Münzen von damals mitzubringen, kleine Rechenaufgaben lösen zu lassen und die Preise damals und heute zu vergleichen. So kostete ein Pfund Kartoffeln in den 50er-Jahren nur 8 Pfennige. Daran können sich manche Senioren bestimmt noch erinnern.
Uli Zeller
Der Autor Uli Zeller, geboren 1976, schreibt regelmäßig die Kolumne „Uli und die Demenz“ auf dem Internetportal Pflegebibel. dort findet sich auch eine Kolumne über die 50er-Jahre.
Uli Zeller bietet auch Fortbildungstage in der sozialen Betreuung an.
Autor: Michael Handwerk
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