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Demenz: Tipps für 5  typische heikle Situationen

Mit fleckiger Bluse zum Arzttermin? Selbstbefriedigung auf dem Flur? Wie reagieren Pflegekräfte und Angehörige am besten, ohne die Selbstbestimmung der Bewohnerin oder des Bewohners infrage zu stellen? 

Unzählige Vorschriften und eng getaktete Zeitpläne machen es Pflegekräften und Betreuungskräften in Pflegeheimen häufig schwer, auf individuelle Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner einzugehen. „Dabei ist es gerade in professionellen Pflege-Settings wichtig, die verbleibenden Selbstbestimmungsmöglichkeiten zu erhalten“, sagt Christine Berg, die  sich mit diesem Thema auch in ihrem gerade erschienenen Buch „Demenz verstehen“  beschäftigt. „Schließlich geben pflegebedürftige Menschen ohnehin schon viel von ihrer Eigenständigkeit auf.“

Vor allem für Menschen mit kognitiven Einschränkungen wie Demenz treffen Pflegekräfte demnach im Alltag viele Entscheidungen – zum Beispiel wenn die Bewohner das Zeitgefühl verlieren oder ihr Verhalten als unangemessen eingeordnet wird. „Oft unbemerkt,  kann dabei aus Fürsorge schnell mal Bevormundung werden“, meint Berg, die viele Jahre das anthroposophisch orientierte Tobias-Haus in Ahrensburg nahe Hamburg geleitet hat. Die 53-jährige Hamburgerin ist überzeugt, dass es auch anders geht. Oft reiche es dafür schon aus, an kleinen Stellschrauben zu drehen. Ihre Tipps für 5 typische heikle Situationen:  

1. Tipp:  Eine ältere Dame soll zum Arzt begleitet werden. Sie trägt eine fleckige Bluse und dazu eine Jogginghose und möchte sich nicht umziehen lassen.

Christine Berg: „Anstatt mit ihr zu diskutieren und zu versuchen, sie umzustimmen, nehmen Sie einfach einen Beutel mit sauberen, ordentlichen Sachen mit. Wenn sie sich in der Praxis unwohl fühlt – etwa weil ihr vorher nicht klar war, dass sie sich an einen mehr oder weniger öffentlichen Ort begibt – können Sie dort die Kleidung wechseln.“

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2. Tipp: Weil ein Bewohner gern viel Wein trinkt, stürzt er gelegentlich.

„Solange er nicht randaliert oder Leute verletzt, ist das sein gutes Recht“, so Berg. „Auch wenn es für Sie zusätzlichen Aufwand bedeutet, weil Sie ein Sturzprotokoll und eine Schadensmeldung schreiben und dafür jeden blauen Fleck dokumentieren müssen, können Sie dem Mann das Trinken nicht aus Bequemlichkeit verbieten.“ Auch von den Angehörigen bräuchten sich die Pflegenden nicht unter Druck setzen lassen. „Es ist nicht Ihre Aufgabe, Bewohnern ihre schlechten Angewohnheiten abzugewöhnen oder gar einen Entzug zu erzwingen.“

[Lesen Sie zu diesem Thema auch unsere Artikel  13 Thesen zu Alkohol im Pflegeheim und 8 Tipps für den Umgang mit suchtkranken Bewohnern]  

3. Tipp: Eine Bewohnerin hat einen ausgeprägten Sexualtrieb und lebt diesen auch im öffentlichen Bereich aus, indem sie etwa auf dem Flur onaniert oder anzügliche Dinge äußert.

In solch einem Fall rät Berg dazu, für einen geschützten Raum zu sorgen, in dem die Frau ihre Bedürfnisse befriedigen kann. „In Absprache mit den Angehörigen können Sie auch Hilfsmittel wie Dildos, Zeitschriften oder erotische Filme anschaffen oder einen Sexualassistenten engagieren“, sagt die ehemalige Heimleitung. In einem anderen Fall hätten ihre Mitarbeiter mit einem „Bitte nicht stören“-Schild für Privatsphäre gesorgt, wenn ein Bewohner Besuch von seiner Ehefrau auf seinem Zimmer hatte. „Weil er so die Partnerschaft mit seiner Ehefrau wieder leben konnte, wurden sexuelle Belästigungen gegenüber Personal und Mitbewohnern deutlich seltener.“  

[Mehr über das Thema Sexualität und Selbstbefriedigung im Pflegeheim erfahren Sie auch in unserem Artikel So klappt Selbstbestimmung im Pflegeheim – 5 Tipps (unter Punkt 4)] 

4.    Sie sieht es als ihre Aufgabe an – deshalb fegt eine Bewohnerin tagtäglich sorgfältig die Fahrbahn der Straße vor dem Pflegeheim.

„Hier heißt es abwägen, gemeinsam mit den Angehörigen oder Bevollmächtigten“, sagt Berg. Einerseits sei da das Risiko, dass die Frau überfahren werde, andererseits ihr Bedürfnis nach eben dieser Beschäftigung. „In diesem Fall haben wir gemeinsam entschieden, sie fegen zu lassen und als Sicherheitsmaßnahme alle Besen sowie die Mäntel und Jacken der Bewohnerin mit Reflektoren beklebt, damit sie auch im Dunkeln zu sehen ist“, so Berg.

5.  Tipp:  Ein Mann hält nicht viel von Körperpflege und Hygiene – die Angehörigen beschweren sich schon über seine langen Fingernägel und dreckige Kleidung.

„Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene Verwahrlosung. Auch wenn Verwandte, Bewohner oder Pflegekräfte es schwer aushalten, kann man ihn nicht zwingen, sich zu waschen“, betont Berg. Ihr Tipp: „Kreativ werden, etwa indem die Nachtschicht die Wäsche in die Maschine und in den Trockner wirft, sodass Sie am nächsten morgen sauber im Schrank des Bewohners liegt.“ Auch ließen sich manche Bewohner auf einen Kompromiss ein – zum Beispiel Trockenshampoo statt Haare waschen. Manchmal verberge sich hinter der fehlenden Sauberkeit auch ein ganz anderes Bedürfnis. „Ein Bewohner wollte zum Beispiel nur mit seiner Ehefrau duschen – also haben wir sie gebeten, zweimal in der Woche zu kommen und das zu übernehmen“, sagt Berg.

Über Christine Berg

Partnern, Kindern oder Freunden von Menschen mit Demenz mit Rat und Tat zur Seite zu stehen – das gehörte für Christine Berg in ihren sieben Jahren als Heimleitung des Ahrensburger Pflegeheims Tobias-Haus zum Alltag. Ihre Erfahrungen hat die 53-Jährige nun genutzt, um zusammen mit ihrer Co-Autorin Kati Imbeck einen Ratgeber zu schreiben. „Demenz verstehen – Hilfe für Angehörige und Freunde“ ist bei Nymphenburger erschienen. Die Autorinnen möchten das Umfeld von Menschen mit Demenz ermuntern, sie aufmerksam, neugierig und liebevoll zu begleiten. Gleichzeitig kommen auch Tabu-Themen wie herausforderndes Verhalten oder sexuelle Bedürfnisse demenziell veränderter Menschen zur Sprache.

Autorin: kim

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