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Foto: Maren Schlenker

Corona: Wie impfskeptisch sind Pflegekräfte wirklich?

Nur 50 Prozent, so ist überall zu lesen, wollen sich impfen lassen. Markus Söder diskutiert schon über eine Impfpflicht. Doch die Impfbereitschaft könnte höher sein als angenommen

„Gefährliche Impfskeptiker in deutschen Krankenhäusern“ titelte Zeit-Online und die Frankfurter Allgemeine: „Warum so viele Pflegekräfte die Impfungen scheuen“. Die Berichte über impfskeptische Pflegekräfte alarmieren Politiker. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Dienstag (12. Januar 2021) gegenüber der Süddeutschen Zeitung, es wäre „gut, wenn der deutsche Ethikrat Vorschläge machen würde, ob und für welche Gruppen eine Impfpflicht denkbar wäre“.

Scharfe Worte wählte zuvor schon der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag Erwin Rüddel (CDU). Man müsse „die Frage stellen, ob in der Ausbildung nicht etwas falsch gelaufen“ sei. Wenn die Pflege neben der Ärzteschaft stärker ernst genommen werden wolle, erwarte man auch, „dass sie sich ernsthaft mit diesen Fragen auseinandersetzt“, sagte Rüddel gegenüber der FAZ

Magere DGIIN-Umfragewerte beziehen sich auf Klinikpersonal

Auf welche Daten sich die 50-Prozent-Berichte stützen, bleibt allerdings unklar. Zwar ergab im Dezember eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), dass nur jede zweite Pflegekraft sich impfen lassen wolle. Doch eine Sprecherin der DIVI sagte der Apothekerzeitung am 8. Januar, diese Zahlen seien „bereits überholt“.

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Außerdem basieren die DIVI- und DGIIN-Angaben auf Befragungen des Klinik-Personals. Wie groß die Impfbereitschaft in Alten- und Pflegeheimen ist, weiß niemand ganz genau. Hierzu gebe es bislang auch „keine repräsentativen Daten“, bestätigt Markus Zimmermann, Dekan und Professor für Pflegerische Versorgungsforschung an der Hochschule für Gesundheit in Bochum, auf Anfrage von pflegen-online.

Impfbereitschaft bei 80 Prozent in der Region Bochum/Hagen

Es gibt jedenfalls Hinweise, dass die Impfbereitschaft unter Altenpflegekräften zunimmt. Eckhard Kampe, Bezirksleiter der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, meint, dass die Impfbereitschaft unter dem Pflegepersonal in den letzten Tagen „deutlich gestiegen“ sei gegenüber Ende Dezember, als die ersten Impfungen starteten. Seiner Schätzung zufolge liegt sie in seinem Zuständigkeitsbereich, der Region Bochum/Hagen, jetzt zwischen 80 und 90 Prozent. Die Entwicklung sei sicherlich auch auf die intensive Aufklärungsarbeit der Impfärzte, die in den Heimen tätig sind, zurückzuführen, mutmaßt der Fachmann.

Paulushof in Essen: 95 Prozent lassen sich impfen

Auch bei einer stichprobenartigen Umfrage von pflegen-online hat sich gezeigt, dass die meisten Einrichtungen über 50 Prozent liegen – wenn nicht weit darüber.

Eine sehr hohe Impfbereitschaft herrscht im Evangelischen Pflegeheim Paulushof gGmbH in Essen mit seinen 98 Bewohnern. Dort hätten sich 95 der 100 Beschäftigten zur Impfung bereit erklärt, berichtet Gabriele Arndt-Bodden, Leiterin Soziale Betreuung. Zwei Pflegekräfte lehnten aus gesundheitlichen Gründen die Impfung ab, drei weitere – darunter zwei Auszubildende – hätten Angst vor Langzeitschäden infolge der Impfung.

Zu den für die Impfung vorgesehenen Beschäftigten zählen im Paulushof auch das Küchenpersonal und die via Zeitarbeit beschäftigten Pflegekräfte – nicht jedoch die Putzhilfen. Arndt-Bodden findet das insofern unverständlich, als gerade ein der bislang zwei im Paulushof aufgetretenen Positiv-Fälle sich durch eine Putzhilfe angesteckt habe.  

Haltern am See: 68 Prozent

Insgesamt 350 Personen hätten sich für die Impfung am heutigen Dienstag (12. Januar 2021) angemeldet: 68 Prozent der Mitarbeiter, 89 Prozent der Bewohner, berichtet Peter Künstler, Geschäftsführer der beiden katholischen Altenpflegeheime St. Anna und St. Sixtus in Haltern am See (Nordrhein-Westfalen).

Caritas-Diözese Münster: 80 Prozent

In den 205 zur Caritas zählenden Altenheimen der Diözese Münster ist der Impfstart ebenfalls erfolgreich verlaufen. Anne Eckert, Referatsleiterin Altenhilfe und Sozialstationen im Diözesanverband erwartet, dass bis Ende Januar alle rund 30 000 Bewohner und Mitarbeiter eine Impfung erhalten können. Von den Bewohnern ließen sich rund 90 bis 100 Prozent impfen, von den Mitarbeitern werden es rund 80 Prozent sein, schätzt Anne Eckert. Wobei es in einzelnen Einrichtungen auch nur 50 Prozent seien. Ende des Monats plant der Verband eine Abfrage bei den einzelnen Heimen, um genaue Zahlen auswerten zu können. 

Uniklinik Schleswig-Holstein: 80 bis 90 Prozent

Und auch in Krankenhäusern gibt es teilweise eine hohe Impfbereitschaft: Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) geht von einer Impfquote von 80 bis 90 Prozent unter allen Mitarbeitern aus – da Pflegekräfte die größte Berufsgruppe in Krankenhäusern sind, dürfte auch ihr Anteil an den Impfwilligen nicht sehr viel niedriger liegen. Wegen der Nähe zu Forschung und Wissenschaft fällt die Impfbereitschaft an  Unikliniken vermutlich höher aus als in kleineren Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. So wollen auch an der Uniklinik Ulm nach einer internen Online-Umfrage 72 Prozent der Pflegekräfte ganz sicher oder sehr wahrscheinlich impfen lassen.  

 

Doch welche Umstände – neben der Nähe zur Wissenschaft - können die Impfbereitschaft fördern? Oder auch hemmen?

Aufklärung

Im SenVital Senioren- und Pflegezentrums Ruhpolding hat Heimleiter Ugur Cetinkaya extra eine Versammlung anberaumt, um gründlich über die Impfung und ihre möglichen Nebenwirkungen zu informieren. 

Die Expertengruppe um den Mediziner und ehemaligen  Stellvertretenden Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit Matthias Schrappe und die frühere Charité-Pflegedirektorin Hedwig François-Kettner fordert in ihrem aktuellen Thesenpapier auch eine öffentliche Informationskampagne, die sachlich und faktenreich und nicht als Werbekampagne angelegt sein sollte. Die Kampagne der Bundesregierung „Deutschland krempelt die Ärmel hoch“ lehnt sie ab, lobt aber, dass inzwischen die fundierten Informationen des staatlichen Instituts Iqwig  (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) freigeschaltet worden sind.   

Das Gesundheitsministerium hat außerdem die Aufklärungskampagne #zusammengegencorona gestartet mit einem eigenen Bereich für Gesundheitsberufe.

Leitung als Vorbild    

Ugur Cetinkaya und sein gesamtes Leitungsteam planen, sich „öffentlichkeitswirksam“ impfen zu lassen. Wichtig ist ihm jedoch, dass die Impfung für jeden einzelnen Mitarbeiter eine „höchstpersönliche Sache“ sei und damit „unbedingt freiwillig“ bleiben müsse. Dorothea Homann, Heimleitung im Seniorenzentrum Unterföhring in Bayern, hat sich bereits Ende Dezember – ihre Einrichtung zählte zu den ersten der Kampagne – impfen lassen. „Ich habe als Heimleitung zwar nicht so viel direkten Kontakt zu den Bewohnern, aber ich sehe es als meine Verantwortung mit gutem Beispiel voranzugehen.“ 

Blick auf die bereits Geimpften

Dorothea Homann glaubt, dass sich im Verlauf der Zeit mehr und mehr Pflegekräfte impfen lassen, wenn sie merken, dass die Immunisierung bei Kollegen komplikationsfrei verlief. Dass nicht alle, die jetzt Nein sagen, bei ihrem Nein bleiben, hat die Heimleitung in der eigenen Einrichtung erlebt: Zwei Pflegekräfte, die vorher nicht unterschrieben hatten, entschieden sich erst an dem Tag, an dem die Impfteams kamen, für die Corona-Impfung.

Soziales Umfeld

Eine Heimleitung, die nicht namentlich genannt werden möchte, hat beobachtet, dass junge Pflegekräfte aus Einwanderfamilien häufiger impfskeptisch seien. „Die Angehörigen reden den Frauen ein, dass sie nach der Impfung keine Kinder mehr bekommen können.“ Der Hinweis sei „durchaus interessant und ernst zu nehmen“, betont Markus Zimmermann, Versorgungsforscher an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Allerdings gebe es keine Zahlen und keine Untersuchungen dazu. Es sei allgemein wenig über die Hintergründe von Impfskepsis in den Pflegeberufen bekannt.   

Aussicht auf mehr Freiheiten 

Sind alle Bewohner geimpft, schwindet die Angst vor schweren Covid-19-Fällen, eine gewisse Leichtigkeit kehrt wieder in die Einrichtung ein, Besuche etwa werden unkomplizierter, die Angst Bewohner anzustecken, ist nicht mehr so präsent.

Allerdings kann auf Schnelltests noch nicht verzichtet werden, meint Geschäftsführer Peter Künstler (Haltern am See). Es sei ein „Irrglauben“, dass man sich als geimpfte Mitarbeiter nicht mehr auf das Corona-Virus testen lassen brauche. „Man kann das Virus ja weitergeben und die Bewohner anstecken. Wir werden unsere Mitarbeiter deshalb auf jeden Fall weiterhin täglich testen, ebenso die Besucher. Nur bei den geimpften Bewohnern werden wir darauf verzichten.“

Die Vorteile für das Leben außerhalb der Arbeit sind allerdings auch nicht zu unterschätzen. „Die Impfungen sind mit unfassbar viel Aufwand für die Heime verbunden, aber die Hoffnung auf einen Sommerurlaub ist für uns dann doch ein guter Antreiber“, sagt Anne Eckert von der Diözese Münster.

 

Autorinnen: Birgitta vom Lehn/Kirsten Gaede

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