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Corona

Corona-Pandemie: Wann sind Einmalhandschuhe sinnvoll?

In vielen Situationen sind Gummihandschuhe unnötig. In bestimmten Fällen aber sollten Pflegekräfte sogar zwei Paar überstreifen, rät der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene

Er gilt als Verfechter eines bedachten Umgangs mit Einmalhandschuhen: Prof. Dr. Ojan Assadian, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (ÖGKH). Er hält nichts davon, für jede Arbeit am Patienten Einmalhandschuhe überzustreifen. Was aber gilt nun, in Zeiten, in denen das hoch infektiöse neue Coronavirus grassiert?

pflegen-online: Herr Professor Assadian, Sie sind Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie und warnten zuletzt immer wieder vor dem allzu häufigen und damit unreflektierten Gebrauch von Einmalhandschuhen . Nun, da sich Menschen weltweit vom Corona-Virus bedroht fühlen, erleben diese Handschuhe eine Renaissance, selbst im Alltag: Man sieht sie an den Händen von Supermarktkassierern und Wochenmarkt-Verkäuferinnen ebenso wie an jenen von Kunden, die Einkaufswagen durch die Gänge schieben...

Das Gleiche beobachte ich auch in den Kliniken: Auch hier werden Einmalhandschuhe – ich nenne sie Untersuchungshandschuhe – häufiger denn je getragen, auch dort, wo sie fachlich nun wirklich nicht argumentierbar sind.

Ihre Kritik zielte stets darauf ab, dass das Tragen dieser Handschuhe – die Sie als Keimschleuder bezeichnen – in Medizin und Pflege scheinbar Hygienebewusstsein vermittelt, dass sie auch deshalb so häufig und gern getragen werden, um die Patienten oder Heimbewohner – vermeintlich – vor Keimen zu schützen.

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Genau, aber diese Intention ist Unsinn. Einmalhandschuhe wurden einst dafür entwickelt – und haben dafür auch ihre Berechtigung –, den Träger vor Kontamination zu schützen, nicht den, der mit ihnen berührt wird.

Damit wären wir beim Punkt: Denn heute wollen sich Pflegekräfte ja auch selbst vor einer Ansteckung mit dem hoch-infektiösen Corona-Virus schützen – um einerseits nicht an Covid-19 zu erkranken, aber auch, um den Virus ihrerseits nicht weiterzutragen...

Doch dafür sind Einmalhandschuhe nicht das geeignete Mittel. Das Corona-Virus wird im Wesentlichen über Tröpfcheninfektion und nur im sekundären Weg auch über Schmierinfektion übertragen. Um sich also zielgerichtet und effektiv mit dem Virus zu infizieren, müssten Sie sich im besten Fall vor einen Corona-Infizierten hinstellen, ihn bitten, Sie kräftig anzuhusten – und zeitgleich selber tief Luft holen. Oder aber Sie nehmen das Sekret eines Infizierten und reiben es sich in Ihre Nase und in Ihren Rachen.

Aus Ihrem Mund klingt dies, als wäre ein umständlicher Akt nötig, um sich mit dem Virus anzustecken – da sprechen aber nun die weltweiten Infektionsraten klar dagegen...

Ich habe es natürlich etwas überspitzt formuliert, der aerogene Übertragungsweg ist nicht zu unterschätzen. Lassen Sie mich also vor allem die Hauptübertragungswege deutlich machen: Sie stehen dicht an dicht mit einem infizierten Menschen, und das länger als 15 Minuten, und, wenn es schlecht kommt, auch noch in einem geschlossenen Raum. Dann kann es passieren, dass die Viren über Husten oder Ausatmen in Ihre Atemwege gelangen. Oder aber es erreicht Sie kontaminiertes Sekret, etwa, wenn Sie einem infizierten Menschen die Hand geben, der sich kurz zuvor die Nase geputzt hat – und Sie fassen sich anschließend selbst mit der Hand an den Mund.

Umso wichtiger ist eine gute Händehygiene...

Sobald man sorgfältig die Hände wäscht, spült man die Corona-Viren ab, ja. Sie gehören zu den behüllten Viren, lassen sich also – anders als etwa die unbehüllten Polio-, Rota- oder Noroviren – auch mit Wasser und Seife und nicht nur mit alkoholischen Händedesinfektionsmitteln inaktivieren.

Aber würden Handschuhe nicht doch einen gewissen Schutz bieten, gerade im Alltag, wenn man sich beispielsweise nach dem Einkauf nicht immer gleich direkt die Hände waschen kann?

Nochmal: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich infektiöses Sekret am Einkaufswagen befindet, wir hineingreifen und es uns dann über unsere Hände in unsere Atemwege übertragen.

Aber um das Gedankenspiel dennoch weiterzuführen: Medizinisch ungeschulten Menschen würde ich das Tragen von Einmalhandschuhen im Alltag gar nicht erst empfehlen. Denn sehen Sie: Es erfordert ein gewisses Know-how und Übung, sich Einmalhandschuhe so auszuziehen, dass die etwaig darauf haftenden Mikroorganismen auch darauf verbleiben und der Handschuhträger sie sich nicht beim Ausziehen auf die Hände, das Handgelenk oder die Ärmel seiner Oberbekleidung schmiert. Selbst Krankenhauspersonal, dazu gab es vor drei Jahren eine Untersuchung in den USA (siehe auch pdf unten), schafft es nicht immer, sich die Handschuhe kontaminationsfrei abzustreifen.

Können Sie sich das häufige Tragen der Handschuhe im Alltag dennoch erklären?

Mein Verdacht ist: Die Menschen kreieren sich gerade mental neue Transmissionswege, um über die wirklichen, offensichtlichen und ja eigentlich auch weitgehend vermeidbaren Wege nicht nachdenken zu müssen. Oder sie überlegen, was sie noch zusätzlich zu den klar kommunizierten Präventionsmaßnahmen unternehmen können.

Ihre Bundesregierung, lassen Sie mich das als Österreicher mit Blick über die Landesgrenze sagen, hat aber schon genau die richtige Losung an ihre Bevölkerung ausgegeben: Abstand halten, zuhause bleiben, in die Armbeuge husten, Hände waschen.

Und wie kann sich Ihrer Meinung nach das medizinische und pflegerische Personal schützen? Sie sind seit 2018 Ärztlicher Direktor des Landeskrankenhauses Neunkirchen in Niederösterreich; was raten Sie Ihren Mitarbeitern auf den Stationen?

Wir haben für unser Haus gerade ein Konzept erarbeitet, das den Umfang einer Schutzausrüstung nach sowohl tätigkeitsbezogenen als auch patientenbezogenen Kriterien vorsieht und beschreibt – eine Art Matrix, deren Inhalt sich nicht in drei Sätzen ausführen lässt, daher möchte ich es an zwei Beispielen demonstrieren:

Beispiel 1: Eine Ärztin macht auf einer Normalstation Visite, geht von Patientenzimmer zu Patientenzimmer – ohne Patientenkontakt. Hier reicht eine Basis-Schutz-Ausstattung mit einer Atemschutzmaske, und zwar einer FFP2 mit Ausatemventil. Die Regeln der Hygiene, also Händehygiene vor und nach Betreten des Zimmers, bleiben natürlich bestehen.

Beispiel 2: Eine Pflegekraft nimmt an einem Corona-Patienten eine Ganzkörperwaschung vor. Hier besteht nicht nur ein enger und intensiver Kontakt, hier erfolgt auch eine massive Kontamination mit Körpersekreten und -Feuchtigkeit, also ist – patientenbezogen – folgende Schutzausstattung indiziert: Kopfbedeckung, Schutzbrille, festsitzende Halbmaske (FFP3), Kittel, Einmalplastikschürze, Untersuchungshandschuhe. Diese persönlichen Schutzausrüstungen sind nach der Tätigkeit kontaminationsfrei abzulegen und können nicht weiter am nächsten Patienten weiterverwendet werden.

Hier also kommen sie zum Einsatz: die Einmalhandschuhe...

Aber sicher, bei potenziellem Kontakt mit kontaminierten Sekreten und Körperflüssigkeiten sind nicht-sterile Handschuhe angezeigt. Übrigens weisen wir unser medizinisches Personal sogar an, in bestimmten Situationen zwei Paar übereinander zu ziehen.

Einmalhandschuhe im Doppelpack? Warum das?

Für den sicheren Ausziehvorgang: Nach erledigter Arbeit am Patienten wird zunächst das äußere Paar abgelegt, das nun freigelegte innere Handschuhpaar desinfiziert, dann mit den desinfizierten, behandschuhten Händen die persönliche Schutzausrüstung, also Schutzkittel, -brille und Haube, abgelegt – und dann erst das innere Paar Handschuhe. Dann werden die bloßen Hände desinfiziert, bevor der Atemschutz abgezogen wird. Das hat sich als sehr praxistauglich erwiesen. Dieses Vorgehen ist aber auch nur notwendig, und das betone ich, wenn eine große Kontaminationsgefahr besteht, etwa wenn der Mitarbeiter einem Corona- oder Verdachtspatienten den Mund absaugt oder ihn intubiert.

Sie sprachen vorhin von den Atemschutzmasken. Bieten diese auch der Allgemeinbevölkerung, und zwar abseits des klinischen Settings, einen guten Schutz?

Da kann ich nur an die Menschen appellieren: Desinfektionsmittel und geprüfte Atemschutzmasken gehören in die Krankenhäuser, nicht in die Keller von Privatleuten, wo sie unnütz gebunkert werden.

Nun gibt es aber schon Menschen, die sich an ihre Nähmaschinen setzen und Schutzmasken aus Stoff herstellen...

Sagen wir so: Diese nicht-medizinischen Masken hindern vielleicht größere Tröpfchen daran, auf das Gegenüber zu springen, können also als eine gewisse mechanische Barriere dienen. Außerdem kann ich mir, wenn ich einen solchen Mund-Nasenschutz trage, nicht mit der Hand zum Mund fahren, habe also einen gewissen mechanischen Eigenschutz. Dennoch schätze ich das Schutzpotenzial als eher gering, das Tragen dieser Masken höchstens als eine eventuelle zusätzliche Maßnahme ein. Gegen die Corona-Ausbreitung werden die Menschen damit alleine nicht viel ausrichten. Der größte Effekt dieser Nähaktivitäten wird also eher ein modischer sein: Die Träger werden zu Trendsettern – immerhin tragen sie das It-Piece der Saison.

Über Prof. Dr. Ojan Assadian

Der österreichische Mediziner ist Hygieneexperte, hat lange als Facharzt für Hygiene, Mikrobiologie und Infektiologie an der Medizinischen Universität Wien und am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien gearbeitet und als Professor das Institut für Infektionsprävention an der University of Huddersfield in Großbritannien geleitet. Nun ist er nach Wien zurückgekehrt, wo er sich als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene wieder stärker politisch für hygienische Belange einsetzen will – und: mit Mythen aufräumen.

Interview: Romy König

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