Sie habe von zwei ehemaligen Kurskollegen gehört, die monatelang wegen Burnout krankgeschrieben waren, erzählt eine junge Pflegefachkraft aus Berlin. Eine der Betroffenen entwickelte den Burnout auf der Intensivstation. Jetzt arbeitet sie wieder – bei einem ambulanten Pflegedienst.
Von der Intensivstation in die ambulante Pflege: Es gibt kaum einen radikaleren Wechsel. Und doch scheint ein solcher Wechsel nicht mehr gänzlich ungewöhnlich: Thomas Meißner hat in seinem Pflegedienst in Berlin-Biesdorf (rund 60 Beschäftigte) kürzlich erst vier Mitarbeiterinnen eingestellt, alle aus dem Krankenhaus, eine davon von der Intensivstation.
Gehalt in ambulanter Pflege ist jetzt konkurrenzfähig
„Die ambulante Pflege war für junge Mütter schon immer sehr attraktiv. Aber jetzt gibt es noch mal eine besonderen Schub“, sagt Thomas Meißner. „Weil der ökonomische Druck in den Krankenhäusern sich enorm verstärkt hat und die meist kleineren ambulanten Pflegedienste mit ihrer familiären Atmosphäre eine Alternative sind. Ebenso entscheidend: Weil die ambulante Pflege durch das Tariftreuegesetz jetzt auch beim Gehalt mithalten kann, gibt kaum noch Unterschiede in der Vergütung“, meint der examinierte Krankenpfleger, der sich seit über zwei Jahrzehnten berufspolitisch engagiert, vor allem als Vorstandsmitglied im von ihm mitgegründeten AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVR).
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„Wir geben Pflegekräften die Zeit, die sie für die Pflege brauchen“
Inzwischen seien die ambulanten Pflegedienste beim Gehalt „auf dem Niveau der Pflegefachkräfte aus dem akutstationären Setting“, meint auch Dorothea Ullmann, Inhaberin des Pflegedienstes Ammersbek (über 44 Mitarbeiterinnen) im Norden Hamburgs. Seit der Nachteil beim Gehalt ausgeglichen ist, könne man nun die Vorteile der ambulanten Pflege gezielt ausspielen. Eng getaktet ist der Arbeitsalltag sicherlich auch in der ambulanten Pflege. Aber die Pflegedienstleitungen stehen, wenn sie klug sind, so Thomas Meißner, nicht mit der Stoppuhr neben den Mitarbeiterinnen. Eike von Gierke, Geschäftsführer des ambulanten Dienstes „Pflege Partner“ in Kirchzarten im Schwarzwald, formuliert den Unterschied zur Klinik so nüchtern wie pointiert: „Wir geben unseren Pflegekräften die Zeit, die sie für gute Pflege brauchen.“
Ambulante Dienste punkten mit Digitalisierung
Ruhiger, familiär und persönlicher bedeutet aber nicht hausbacken und rückwärtsgewandt. „Die Bewerberinnen und Bewerber schauen durchaus auch auf eher äußere Aspekte: Macht die Homepage einen modernen Eindruck? Wie hält der Pflegedienst es mit der Digitalisierung? Kann ich mich online bewerben?“, sagt Thomas Meißner. Vor einigen Jahren hat er kräftig investiert, um der Zeitarbeit-Falle zu entkommen: die Homepage überarbeitet und modernisiert, Online-Bewerbungen ermöglicht. „Es hat sich gelohnt: Seit eineinhalb bekommen wir wieder ausreichend Bewerbungen und können auf Zeitarbeit verzichten.“
In Sachen Digitalisierung ist auch der Pflegedienst von Dorothea Ullmann richtungsweisend: Von der Tourenplanung, Einsatzplanung über Leistungsnachweise bis Patientenakten hat sie alles digitalisiert. Das bedeutet mehr Zeit für Patientinnen und Patienten. „Und wenn die tägliche Tour dann dank der perfekten Planung optimal gelaufen ist, dann können meine Pflegekräfte auch früher nach Hause.“
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Steuerberater ETL: Ja, es wandern Pflegekräfte aus Kliniken ab
Auch wenn die Personalsituation bei Dorothea Ullmann und Eike von Gierke so entspannt ist wie bei Thomas Meißner: Sie führen ihr Glück nicht auf Abwanderungstendenzen aus den Krankenhäusern zurück. Doch bei der Steuerberatungsgruppe ETL Advision, die mehr als 210.000 kleine und mittlere Unternehmen vornehmlich aus dem Gesundheitsbereich betreut. sieht man durchaus einen Trend zur Abwanderung aus den Kliniken hin zu Pflegediensten. „Abwanderung allerdings nur von Pflegekräften, die auf Normal-Stationen arbeiten“, sagt Jonas Katthage, Branchenleiter Pflege bei ETL. „Geht es um die Funktionsbereiche, möchten die Pflegefachkräfte weiterhin in der Klinik tätig sein.“
Autoren: Kirsten Gaede/hgs