Nur wenn er nicht viel Zeit zum Nachdenken hat, rutscht es heraus: „Soldat”. So laute sein Beruf, sagt er dann. Und als solcher sei er nun einmal tätig in der Pflege. „Aber wenn ich es recht überlege”, schiebt Sascho Hündgen nach einigen Sekunden nach, „bin ich wohl beides: Soldat und Pflegefachperson. Ich möchte das gar nicht gewichten.” Seit sechs Jahren arbeitet der 34-Jährige in der Notaufnahme des Bundeswehrzentralkrankenhauses (BwZKrhs) in Koblenz, versorgt hier Patienten, betreut das Leitstellentelefon, fungiert als Schnittstelle zwischen Rettungsdienst, Leitstelle und den Stationen, entscheidet, welche Patienten im Haus angenommen werden können und welche nicht. Es ist ein verantwortungsvoller Job, auch, weil die Bundeswehr selbstständiges Arbeiten fördert.
„Ich wurde noch nie aus dem Frei geholt”
Die Bundeswehr, sagt Hündgen, sei ein guter Arbeitgeber, gerade für Pflegefachpersonen. Es gibt in Bundeswehrkrankenhäusern hochwertigste Ausstattung. Führt Sascho Hündgen Besucher herum, zeigt er ihnen gern den Schockraum, der etwa mit einem Computertomographen der neuesten Generation, eingerichtet ist. Es gelte aber auch ein etwas besserer Personalschlüssel – gerade im Vergleich zu zivilen Häusern, die Hündgen von Nebentätigkeiten kennt. Die Notaufnahme versucht stets, eine Mindestbesetzung von drei oder sogar vier Pflegefachkräften während einer Schicht zu halten. Was auch meist gelingt, wenn nicht gerade wegen Infektionskrankheiten wie Covid oder Urlaubszeiten Personal ausfällt. Die Pflegedienstleitung achte darauf, so Hündgen, dass Pflegefachpersonen ihre Ruhepausen erhielten. „Ich wurde zum Beispiel noch nie aus meinem Frei geholt.”
Dass die Bundeswehr „einiges an Geld in Ausstattung und Personal steckt“, wie Hündgen sagt, hat Gründe: Die Institution braucht exzellentes medizinisches und pflegerisches Personal, das im Ernstfall auch im Ausland zur Versorgung des Militärs eingesetzt werden könnte. „Diese Leute bilden sie in ihren eigenen Bundeswehrkrankenhäusern aus, wie etwa bei uns in Koblenz, und beschäftigen sie auch dort, hält sie so im Training.”
Fünf Bundeswehrkrankenhäuser gibt es in Deutschland
Insgesamt gibt es in Deutschland fünf solcher Häuser, die vom Zentralen Sanitätsdienst der auch in Berlin, Hamburg, Ulm und in Westerstede bei Oldenburg. Für den theoretischen Teil der Pflegeausbildung arbeiten die Einrichtungen mit zivilen Häusern zusammen, auch um die medizinischen Fachbereiche Gynäkologie oder Pädiatrie abzudecken, die in den Bundeswehrhäusern nicht vorgehalten werden. Den praktischen Teil aber absolvieren die Soldatinnen und Soldaten in ihren Stammhäusern – und bleiben dann auch meist dort.
Hündgen hat sich nach seinem Wehrdienst zunächst als Soldat auf Zeit verpflichtet und als solcher seine Pflegeausbildung absolviert. 13 Jahre lief sein Dienstvertrag, bevor er sich in diesem Jahr als Berufssoldat einstellen ließ. „Hauptfeldwebel” lautet sein aktueller Dienstgrad, und tatsächlich schallt dieser Titel hin und wieder über die Krankenhausflure. „Manch ein Kollege benutzt die Anrede, andere hingegen nicht. Das ist unterschiedlich, jedem ist es selbst überlassen – und auch keine Pflicht.”
Pflicht, Vorschriften, Befehlston – daran denken womöglich viele zuerst, wenn s mag in den Sinn kommen, wer an Bundeswehr denkt. Sascho Hündgen aber macht ganz andere Erfahrungen: „Natürlich ist unser Haus sehr gut organisiert und klar strukturiert, das bringt eine Einrichtung der Bundeswehr mit sich.” Der tägliche Umgang aber ist freundlich zu und kooperativ. Zwischen Pflegefachkräften und Ärzten herrscht Teamgeist statt Hierarchiedenken. „Man hat bei uns schon vor Jahren erkannt, dass eine gute Patientenversorgung davon profitiert, wenn das medizinische Personal im Team arbeitet.”
Pflegekräfte sollen auch Chefärzte auf Fehler hinweisen
Aus der Luftfahrt sei bekannt, dass Unfälle vor allem dann passieren, wenn Crew-Mitarbeiter sich nicht trauen, ihre höher gestellten Kolleginnen und Kollegen auf Fehler hinzuweisen. Daraus hat sich ein „Crew Ressource Management” entwickelt, später dann ein Personalinstrument namens „Team Ressource Management”, wie es – zumindest ideell – in den Bundeswehrkrankenhäusern angewendet wird. „Jeder Mitarbeiter ist wichtig, jede Pflegekraft wird gehört”, beschreibt Hündgen den Gedanken. „Wenn ich als Pfleger merke, hier läuft etwas nicht richtig, dann darf, ja muss ich sogar sagen: Stopp, lasst uns nochmal innehalten. Auch gegenüber den Ärzten. Und die hören dann tatsächlich zu und steuern, wenn nötig, um.” Das mache seine Abteilung zu einer guten Notaufnahme – „und diese, meine Stelle auch zu einem guten Arbeitsplatz”.
Rund 90 Prozent der Patienten in Koblenz sind Zivilisten
Der Primärauftrag der Bundeswehrkrankenhäuser ist zwar die Versorgung der eigenen Soldaten und ihrer Angehörigen, doch werden in Koblenz überwiegend Zivilisten behandelt. Sie machen etwa 90 Prozent der Patientenklientel aus. Würden die Bundeswehrkrankenhäuser nur erkrankte Militärangehörige aufnehmen, hätten sie zu wenig Patienten, an denen Ärzte und Pflegefachpersonen ausgebildet oder in Übung gehalten werden könnten. „Deswegen hat man sich irgendwann dem zivilen Markt geöffnet”, so Hündgen. „Unsere tägliche und direkte Versorgungsarbeit unterscheidet sich auch kaum von jener in einem zivilen Krankenhaus.” Soldaten, die von den Truppenärzten der Kasernen ins Bundeswehrkrankenhaus überwiesen werden, werden nicht anders behandelt als Zivilisten. „Da spielt es auch keine Rolle, wenn es sich um einen General handelt. Der Patient ist der Patient. Und der bekommt von uns die liebevolle Versorgung, die er braucht.”
Vorbereitet auf einen Massenanfall von Verletzten
Eine weitere Besonderheit der Bundeswehrkrankenhäuser: Sie sind darauf ausgerichtet, im Katastrophenfall viele Verletzte versorgen zu können. „Es gibt an unserem Haus einen Notfallplan für einen sogenannten Massenanfall von Verletzten, für unterschiedliche Szenarien wie beispielsweise ein Schiffsunglück auf dem Rhein.” Hündgen selbst ist zuständig für das Katastrophenschutzlager. „Auch das klingt jetzt vielleicht wieder wild, ist aber etwas ganz Normales. Wir wollen einfach vorbereitet sein, sollte es mal zum Ernstfall kommen.”
Gerade arbeitet sein Haus an einer Kooperation mit dem amerikanischen Militär in Landstuhl, die Hündgen gemeinsam mit Kollegen angeregt und forciert hat. Die amerikanischen Pflegefachkräfte, Ärztinnen und Ärzte könnten bald, so der Plan, in Koblenz eingesetzt werden, im Gegenzug können Koblenzer Pflegefachkräfte zur Weiterbildung an den Standort Ramstein geschickt werden. Ein Tapetenwechsel, der, davon ist Hündgen überzeugt, manch einem sicher gut tun und einmal mehr die Freude am Beruf steigern wird. Ob man sich nun Soldat oder Pflegefachkraft nennt. Oder eben – beides.
3 Fragen an Sascho Hündgen
Warum haben Sie Ihre Pflegeausbildung bei der Bundeswehr absolviert?
Ursprünglich war es für mich ein finanzieller Reiz: Nach der Ausbildung wird man in der Pflege bereits nach der vollen Gehaltsstufe bezahlt. Doch später merkte ich, dass die Bundeswehr als Arbeitgeber nicht nur monetäre Vorteile bietet, sondern auch eine gute Aus- und Weiterbildung ermöglicht. Ich selber habe Hygienekurse und den Kurs Advanced Trauma Care for Nurses belegt, regelmäßige Trainings im Bereich der Notaufnahme werden ebenfalls angeboten. Aktuell bin ich in der Fachweiterbildung für Akut- und Notfallpflege und studiere zudem privat Pflegemanagement an einer Hochschule, finanziert und zeitlich ermöglicht durch meinen Arbeitgeber.
Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer Arbeit in einem Bundeswehrkrankenhaus?
Das gute Miteinander. Hier herrscht ein feiner Umgangston, wirklich fern von aller militärischer oder harscher Härte. Als Pflegekraft wird man geschätzt, die eigene fachliche Meinung ist etwas wert, man wird gehört.
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Dennoch: Es handelt sich um ein Haus der Bundeswehr — muss man aus einem bestimmten Holz geschnitzt sein, um hier zu arbeiten?
Da die Versorgung jener in einem zivilen Krankenhaus sehr ähnelt, wir auch vornehmlich Zivilisten behandeln, würde ich sagen, dass es keine besonders dicke Haut braucht. Es ist ja nicht so, dass hier jeden Tag zehn schwerverletzte Soldaten oder Strahlenopfer reinkommen. Aber: Wer sich als Soldat verpflichtet und als solcher in der Pflege arbeitet, muss darauf vorbereitet sein, entweder versetzt zu werden, wenn es die Lage erfordert, etwa weil plötzlich in einem anderen Bundeswehrkrankenhaus mehr Personal gebraucht wird. Oder auch ins Ausland entsendet zu werden, zum Beispiel in ein Krisengebiet. Zwar gibt es gerade im Bereich der Pflege viele Freiwillige, die sich dafür melden. Aber die Möglichkeit, selbst für eine sogenannte Auslandsverwendung eingezogen zu werden, besteht natürlich immer.
Autorin: Romy König