Auch Ulrich Christofzik, Geschäftsführer der Evangelischen Altenpflege Duisburg, hat hat von seinem Energieversorger bereits das Angebot für seine sechs Einrichtungen erhalten: „Ich habe jetzt ein Angebot vorliegen, das sich auf 3,4 Millionen Euro beläuft. Das ist eine 1.000-prozentige Steigerung. Selbst wenn die Kostenträger wollten, wie sollten sie das refinanzieren?“, wie er Conzepte sagte, dem Magazin des Beratungsunternehmen Contec.
2021 kostete eine kWh noch 5,8 Cent, jetzt sind es 37,8 Cent
Überall in Deutschland gehen in den Pflegeeinrichtungen die Alarmglocken an, denn in diesen Wochen müssen viele Betreiber neue Energieverträge aushandeln. Auch wenn noch nicht „in jeder Einrichtung diese Kostensteigerungen angekommen sind“, wie Sven Wolfgram, Leiter der bpa-Landesgeschäftsstelle MV berichtet, ist mit einer Kostenexplosion zu rechnen: „Uns erreichen Hinweise zu Preisanhebungen, die beim bis zum Zehnfachen des vorherigen Werts liegen. Auch bei denjenigen, bei denen bereits erste Erhöhungen vorgenommen wurden, sind weitere wahrscheinlich.“
Mit im Schnitt rund 9.000 Kilowattstunden Gas pro Bett müssen Pflegeheimbetreiber kalkulieren. Vor einem Jahr lag der Preis für eine Kilowattstunde Gas bei 5,8 Cent. Jetzt liegt der Preis bei 37,8 Cent wie das Vergleichsportal Verivox mit Datenstand vom 10.September ermittelte. Und das ist noch nicht alles: Es kommt dann noch die staatliche Gasumlage mit 2,4 Cent pro Kilowattstunde hinzu. Plus der Stromkosten, die auch neu ausgehandelt werden müssen und sich in Folge der Gaspreise ähnlich entwickeln.
Bedeuten die hohen Energiekosten das Aus einer ganzen Branche?
Die Folgen könnten dramatisch sein. Bedeuten die explodierenden Energiekosten das „Aus einer ganzen Branche“, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg befürchtet? Wenn die Betreiber die gestiegenen Kosten auf die Bewohner umschlagen, könnten bis zu 60 Prozent der Pflegebedürftigen in die staatliche Pflegehilfe rutschen. Bei der Caritas heißt es, dass „die Eigenanteile der zu Pflegenden ohnehin schon sehr hoch“ seien. „Die Deckelung durch die letzte Pflegereform fängt nicht ab, was mit den steigenden Energiekosten nun kommen könnte.“ Die Caritas rechnet mit einer monatlichen Erhöhung der Kosten von bis zu 300 Euro pro Bewohner.
Eigentlich müssten Pflegekassen diese Heiz- und Stromkostenexplosion auffangen. Doch dort hält man sich bedeckt. Heiko Krumbholz, Betreiber einer Pflegeeinrichtung im sächsischen Groitzsch:„Wir legen den Pflegekassen ganz konkret dar, wie massiv unsere Kosten für Lebensmittel und Energie gestiegen sind. Trotzdem bekommen wir keine angemessene Anhebung unserer Sachkosten. Die Kostenträger bieten uns nur einen Bruchteil davon an.“ So hat die AOK Rheinland den Betreibern 7,5 Prozent Energiekostenzuschlag angeboten – für viele Betreiber eine „Witznummer“. Sven Wolfgram befürchtet, „dass die dynamische Entwicklung auf den Energiemärkten die bisherigen Verhandlungsstrukturen der Pflegekassen überfordert.“
Karl-Josef Laumann setzt auf die geplante Wohngeldreform
Bleibt wohl einmal mehr nur der Staat, der handeln und schnell einen Energie-Rettungsschirm über die Pflege aufspannen muss. So fordern es die privaten Betreiber, die Wohlfahrtsunternehmen, Berufs- und Sozialverbände in seltener Eintracht. Man dürfe „keine Ängste schüren“, sagt Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Und fordert „in allen Sozialgesetzbüchern Bestimmungen, um krisenbedingt höhere Kosten geltend machen zu können – einen Schutzschirm ohne Löcher.“
Doch in der Politik scheint noch nicht angekommen zu sein, wie ernst die Lage ist. Anfang September diskutierte der Landtag Nordrhein-Westfalens die brisante Situation in einer aktuellen Stunde. Die Schwarz-Grüne-Landesregierung verwahrte sich gegen die Vorwürfe der Opposition, sie erkenne den Ernst der Lage nicht und wolle das Problem an den Bund weiterreichen. Immerhin sagte die Regierung in NRW zu, in den anstehenden Haushaltsberatungen über die Absicherung der Einrichtungen zu reden. Und Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) verwies auf die geplante Wohngeldreform der Bundesregierung. Über die ließen sich auch die gestiegenen Energiekosten in der Pflege regeln.
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Sonderlösungen auf Landesebene kaum möglich
In Hamburg sagt die Sozialbehörde, dass die Finanzierung der Pflege bundesweit im Sozialgesetzbuch IX geregelt sei: „Höhere Energiekosten müssen aus unserer Sicht daher auf diesem Wege, das heißt dem Wege der regulären Finanzierung, abgebildet werden.“ Hamburg habe als Bundesland „kaum eine Handhabe, hier zu Sonderlösungen zu kommen“, wie das Hamburger Abendblatt berichtet.
Zumindest bei der SPD sieht man schnellen und massiven Handlungsbedarf. In einem Positionspapier der Bundestagsfraktion von Anfang September heißt es, dass zur kurzfristigen Stabilisierung „bei Bedarf die Aufnahme sozialer Dienstleister, Tafeln, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen unter einen Schutzschirm“ organisiert werden sollte.
Autor: Hans-Georg Sausse