pflegen-online.de: Herr Bremer, was sagt es mir, wenn mich nach dem Urlaub ein gewisser Blues packt?
Auf jeden Fall bedeutet es nicht automatisch, dass Sie den falschen Job haben, dass alles in Ihrem Leben falsch läuft und Sie eigentlich erstmal eine Weltreise bräuchten. Ich würde sagen, es ist erst einmal ganz normal, dass man vor dem Start in die Arbeit auch schwierige Gefühle hat, vielleicht auch in der Nacht davor nicht so gut schlafen kann. Und etwas Wehmut ist natürlich auch erlaubt, wenn etwas Schönes vorbei ist.
pflegen-online.de: Also einfach die Zähne zusammenbeißen und durch?
Natürlich nicht. Wenn wir schon arbeiten gehen, sollten wir Spaß daran haben! Dafür ist es wichtig, das Gefühl erst einmal zu akzeptieren. Also den Blues stehen zu lassen, aber dann auch zu erweitern um etwas Positives, um ein paar gute Gefühle. Ich kann mich ja auch fragen: Was ist ein guter Grund, mich auf meine Arbeit zu freuen? Vielleicht erinnere ich mich daran, dass montags immer jemand Kuchen mitbringt. Vielleicht ist es eine Kollegin, auf die ich mich besonders freue oder auch Patienten, zu denen eine besondere Beziehung besteht.
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pflegen-online.de: Im Urlaub hat man meist einen sehr reduzierten Stresspegel. Wie schafft man es, die Entspanntheit des Urlaubs zumindest teilweise auch in die stressige Berufszeit zu retten?
Wichtig ist, sich von Anfang an auf seine Ressourcen zu fokussieren. Ich kann den ganzen Tag daran denken, was ich alles schaffen muss. Und ich kann mich auf meine tatsächlichen Möglichkeiten fokussieren. Wenn jemand denkt: am ersten Tag muss ich all meine Emails beantworten, mit allen wichtigen Leuten sprechen, ich muss wissen, was passiert ist in den letzten drei Wochen. Ich muss, ich muss, ich muss. Das ist schnell zu viel. Es ist gut, sich klarzumachen: meine Ressource, das sind jetzt acht Stunden, vielleicht achteinhalb. Aber nicht elf. Was kann ich in dieser Zeit realistischerweise schaffen. Und das mache ich, gut und souverän in meinem Rhythmus. Und dann gehe ich nach Hause.
pflegen-online.de: Gut und souverän in meinem Rhythmus, das klingt so leicht…
Und ist es oft gar nicht, ich weiß. Wenn man drei Wochen weg war, kann auch schon die Routine wieder raus sein. Da haben gerade auch jüngere Mitarbeitern mit Unsicherheit zu tun. Dann ist ganz wichtig, in der Hektik des Alltags kurz innezuhalten. Ich empfehle bei meinen Seminaren dafür die sogenannte MM – die „Mal ne Minute-Meditation“. Einfach mal für eine Minute nichts tun außer atmen und dann wieder weiterarbeiten. Dafür kann man einfach kurz auf Klo gehen, auch wenn man nicht muss, abschließen, sich hinsetzen und die Atmung spüren. Das ist in Phasen, wo es nicht ganz rund läuft, eine gute Lösung.
pflegen-online.de: Was können die Kollegen dafür tun, dass der Start nach der Urlaubszeit gelingt?
In meinem Team haben wir das Ritual, dass wir uns kurz zusammensetzen, und fragen: was waren deine drei schönsten Momente im Urlaub? Zeig mal ein paar Fotos. Das dauert nur ein paar Minuten. Natürlich kommt es auf die Rahmenbedingungen an, ob und wann das möglich ist, aber einen kleinen Moment sollte man irgendwann zwischendurch finden, um auch das Schöne miteinander zu teilen.
Genauso wichtig ist, sich im Vorfeld zu überlegen: was muss die Person am ersten Tag wissen über die letzten Wochen. Und was hat Zeit bis morgen oder später. Also klare Prioritäten und Fokussierung auf das, was für eine gute Wiedereinarbeitung hilft, und möglichst wenig unwichtiges Geschwätz. Das machen viele falsch. Die sagen, ach da bist du ja wieder, und dann wird losgeschnattert. Dabei ist vieles, was in den letzten Wochen passiert ist, für die Person, die nicht dabei gewesen ist, völlig irrelevant. Viel besser ist, wenn man sich auch da auf das Positive fokussiert. Und sich zum Beispiel drei Dinge überlegt, die in den vergangenen Wochen richtig gut gelaufen sind.
pflegen-online.de: Für viele ist die Urlaubszeit die wertvollste Zeit des Jahres. Ist diese Überhöhung nicht auch schon Teil des Problems?
Absolut. Deswegen sollten wir uns auch intensiver mit diesem gewissen Blues nach dem Urlaub, diesem Frust, Ärger, Druckgefühl, Wut oder Angst beschäftigen. Interessant ist ja: was will mir das Gefühl vielleicht noch sagen? Vielleicht habe ich ja ein, zwei Gewohnheiten, die einfach nicht gut sind. Zum Beispiel die Gewohnheit, dass ich immer ja sage oder dass ich es allen rechtmachen möchte, nur nicht mir. Dann kann der Blues nach dem Urlaub auch bedeuten, dass ich in meiner Arbeitswelt ein paar Dinge anschauen und vielleicht verändern sollte.
Interview: Kirsten Wenzel