Kaum hatten Pflegekräfte das Besuchsverbot in Kliniken und Pflegeeinrichtungen halbwegs im Griff, kam Mitte Mai die Kehrtwende: Innerhalb weniger Tage sollten sie das Verbot lockern, Besucher wieder einlassen - ohne dabei die Kontrolle zu verlieren. Sicherlich: Die Lockerung hat auch sein Gutes. Die Pflegekräfte müssen nicht mehr die ausgesperrten Liebsten ersetzen. „Wir mussten in der Zeit des Besuchsverbots ganz viel auffangen und haben versucht, die Angehörigen zu ersetzen, was aber ja kaum möglich ist“, sagt Jasmin Burkhardt, Pflegefachkraft und Bereichsleiterin in der Stiftungsresidenz Marcusallee der Bremer Heimstiftung Foto oben links).
Pflegekräfte von zwei Seiten unter Druck: von Behörden und Besuchern
Doch die Entlastung ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Vor allem bringen die Lockerungen des Besuchsverbots neue Belastungen für die Pflegekräfte mit sich – sie müssen ihre Arbeit nun unter erschwerten Bedingungen erledigen, da ihnen jetzt zusätzlich die komplexe Besuchsregelung in die Quere kommt.
Viele Heime fühlten sich von den Behörden überrollt
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Hinzu kommt: Die Behörden haben die Lockerungen sehr kurzfristig in Kraft gesetzt – zu kurzfristig in den Augen mancher Pflegekräfte und Pflegemanager. Überrollt fühlten sich Gesche Oppermann, Leiterin des Altenzentraums Santa Teresa der Caritas Frankfurt, und ihre Kollegen. Gemeinsam schauten sie die Pressekonferenz im Fernsehen an, auf der die Lockerungen verkündet wurden – und fühlten sich erst einmal ratlos, denn die genauen Vorgaben für diese Lockerungen haben die Behörden erst zwei Tage später mitgeteilt.
Gesche Oppermann (Caritas Frankfurt) Wir brauchen mehr Vorbereitungszeit!
„Bis zu dieser Pressekonferenz hatten wir das Gefühl, das Leben im Pflegeheim in ein neues Gleichgewicht gebracht zu haben und dann brachten uns diese extrem kurzfristig verkündeten Lockerungen erstmal wieder ins Schwanken“, so Gesche Oppermann gegenüber pflegen-online. „Wir wünschen uns jedoch, neue Regeln künftig mit mehr Vorbereitungszeit zur Umsetzung zu erhalten.“ Zwar hätten sie die neuen Anforderungen jetzt wieder „ganz gut im Griff“, wie Oppermann sagt. Doch schließlich vertrauten die Bewohner darauf, dass die Pflege- und Betreuungskräfte sie schützen würden.
Pflegekräfte jetzt noch stärker gefordert, Bewohner zu schützen
Auch bei der Bremer Heimstiftung lösten die Lockerungen keine große Begeisterung aus. Den Kolleginnen und Kollegen wurde schnell klar, dass sie durch die nun wieder erlaubten Besuche von Angehörigen noch stärker gefordert sind, die Bewohner zu schützen. „Da habe ich mir am Anfang schon ein wenig Sorgen gemacht und ein mulmiges Gefühl ist geblieben“, so Bereichsleiterin Jasmin Burkhardt. „Schließlich gab es bei uns bislang keinen Coronafall und das soll so bleiben!“ Deshalb werde die Zusammenarbeit mit den Besuchern großgeschrieben. „Wir informieren gerne – wenn nötig auch doppelt und dreifach –, schenken aber auch Vertrauen. Denn wir verfolgen ja dasselbe Ziel – nämlich, dass unseren Senioren nichts passiert.“
Heimleiter Plietker macht seinem Ärger auf Spiegel.de Luft
Die deutlichsten Worte zu den Lockerungen fand Andreas Plietker, Heimleiter der Pflegeeinrichtung Haus S. Benedikt im nordrhein-westfälischen Recke. Ihn ärgerte, dass die Landesregierung die Heime nicht direkt informiert hat, sondern die Lockerungen durch die Medien bekannt machte. „Das hat bei den Angehörigen für Irritationen gesorgt, und wir standen hilflos vor der Situation“, sagte er Spiegel Online. Auf der Homepage von St. Benedikt drohte er sogar mit Rücktritt von seiner Position als Heimleiter.
Klinikum Region Hannover hat Lockerung aufgeschoben
Einen Sonderweg gehen die Krankenhäuser in der Stadt und Region Hannover. Die Häuser, die unter dem Namen Klinikum Region Hannover (KRH) firmieren, werden die Öffnung vorausssichtlich erst am 2. Juni 2020 umsetzen - obwohl die Landesregierung schon am 19. Mai eine Lockerung des Besuchsverbots beschlossen hat. Dies geschieht in Abstimmung mit allen Krankenhäusern der Region, auch mit der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) oder der Paracelsusklinik. Allerdings gelten schon jetzt Ausnahmegenehmigungen, zum Beispiel für Eltern oder werdende Väter. „Es wäre eine unzumutbare soziale Härte, dies nicht zu gestatten“, sagt Nikolaus Gerdau, der stellvertretende Pressesprecher der KRH.
Manche Besucher sind verständnisvoll, andere ein reiner Stressfaktor
Ob und wie stressig die Lockerungen für die Pflegekräfte werden, hängt natürlich auch von den Besuchern ab. Gesche Oppermann aus Frankfurt hat hier nur Gutes zu berichten. „Unsere Angehörigen sind wirklich toll, sie schicken Karten, Briefe, Päckchen, bringen Blumen und Kuchen vorbei und bedanken sich herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, sagt die Heimleiterin. „Diese Solidarität der Angehörigen tut uns allen gut in dieser Zeit.“
40 Meter lange Warteschlange vor dem Klinikum Ludwigsburg
Aber es gibt auch andere Beobachtungen. Barbara Stierstorfer, ausgebildete Pflegekraft und am kommunalen Verbund München Klinik als Schnittstellen-Managerin Mädchen für alles, zu pflegen-online: „Ich würde mir manchmal noch etwas mehr Verständnis wünschen, dass die Klinikbesuche aktuell mit längeren Wartezeiten verbunden sein können und für Besucher momentan mit mehr organisatorischem Aufwand verbunden sind als sonst.“ Am Klinikum Ludwigsburg beispielsweise kam es am Himmelfahrtstag schon mal zu 40 Meter langen Warteschlangen vor den zwei Checkpoints am Haupteingang zum Klinikum.
Caritas Frankfurt: Mitarbeiter kamen an ihre Belastungsgrenze
Besonders belastend für die Pflegekräfte waren die ersten Tage der Lockerung, als sie sich erst einmal mit den vorgeschriebenen Abläufen vertraut machen mussten. Doch in den manchen Stationen wuchs auch der Zusammenhalt. „In der Einführungswoche der neuen Besuchsregeln kamen viele Mitarbeiterinnen und Mitabeiter an Belastungsgrenzen“, berichtet Heimleiterin Oppermann aus Frankfurt. „Wir haben uns jedoch gegenseitig gestärkt: langsamer werden, kurz anhalten! Wir achten aufeinander und fragen nach, wie es geht und ob jemand Entlastung braucht.“
Heimstiftung Bremen mit Schulungen zu den komplexen Vorgaben
Für die Bremer Heimstiftung war schnell klar, dass sie die Lockerungen nicht von einem Tag auf den anderen umsetzen konnte. Zwar dürfen Besucher im Bundesland Bremen seit Mittwoch 13. Mai offiziell wieder in Pflege-einrichtungen und Kliniken kommen, doch die Heimstiftung hat ihre Türen erst am Montag, 18. Mai, wieder geöffnet. Schließlich mussten die Fachkräfte eine Fülle an Regelungen umsetzen. „Zudem mussten unsere Mitarbeiter erst einmal mit den Vorgaben vertraut gemacht und geschult werden“, erklärt Susanne Brockmann, Pflegedirektorin bei der Bremer Heimstiftung. Und diese Vorgaben haben es in sich.
7 komplexe Vorgaben für Kliniken und Heime
- Besucherinnen und Besucher müssen sich telefonisch anmelden und werden für eine eventuell erforderliche Kontaktpersonennachverfolgung registriert. Festgehalten werden das Datum des Besuchs, der Name und Kontaktdaten des Besuchers sowie der Name des besuchten Bewohners.
- Besuche können nach Absprache für jeweils 45 Minuten stattfinden und finden soweit möglich in eigens dafür reservierten, großen Räumlichkeiten statt. Optische Barrieremaßnahmen erinnern daran, dass der Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten ist. Alle dort berührten Kontaktflächen werden im Anschluss an den Besuch desinfizierend gereinigt.
- Ein Mitarbeiter begleitet die Kontaktaufnahme der Bewohnerin oder des Bewohners
- Derzeit sind Besuche einmal wöchentlich und für Einzelpersonen vorgesehen. Ein Wechsel der Besuchsperson ist nicht zulässig. Es gilt ein Mindestalter von 17 Jahren.
- Der Besuch wird jedesmal in die geltenden Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln eingewiesen. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes während des Besuchs ist Pflicht.
- Besucher dürfen keine Speisen mitbringen und es darf während des Besuches auch nicht gegessen werden.
- Beim Betreten und Verlassen der Häuser müssen die Besucher ihre Hände korrekt desinfizieren – Spender und Hinweisschilder befinden sich im Eingangs-bereich.
Pflegekräfte oft in Organisation der Besuche eingebunden
Schon beim Planen der Besuchstermine kann es für Pflegekräfte zu Mehrarbeit kommen. „Die jeweilige Station ruft die Besucher an und vergibt die Termine“, erläutert Alexander Tsongas, Sprecher der RKH-Kliniken, zu denen auch das Klinikum Ludwigsburg gehört. „Es gibt zwar Stationssekretariate, aber die sind in der Regel nur bis 15 Uhr besetzt.“ Telefonate, die später anfallen, übernehmen die Pflegekräfte.
1. Tipp: Besuchstermine nur von 8.30 bis 10.30 vergeben
Um die Zusatzbelastung für Pflegekräfte zu begrenzen, hat die Bremer Heimstiftung den Telefondienst sehr strikt geregelt. Besuchstermine werden seit dem 15. Mai in ihren Häusern ausschließlich werktags von 8.30 bis 10.30 Uhr über eine zentrale Telefonnummer vergeben. „Natürlich landen bei uns auf Station trotzdem noch Anrufe und wir beantworten dann gerne auch Fragen. Schließlich sind viele Angehörige verunsichert und mit den jetzt geltenden Regelungen nicht vertraut. Aber Termine für Besuche werden nur über unsere Verwaltung vergeben, damit wir nicht den Überblick verlieren“, erläutert Jasmin Burkhardt.
2. Tipp: weiterhin rigoroses Besuchsverbot etwa für Intensiv und Geriatrie
Sehr konsequent hat der Krankenhaus-Verbund München Klinik auf die Lockerungen reagiert – nicht zuletzt auch zum Schutz der Pflegekräfte. Auch wenn der Staat jetzt Lockerungen unter strengen Auflagen erlaubt, bleiben an der München Klinik die Türen zu manchen Abteilungen weiterhin konsequent geschlossen. „Für besonders schutzbedürftige Bereiche, dazu zählen die Covid-Bereiche, die Intensiv– und Überwachungsstationen, die Notfallzentren, die Geriatrie, Frührehabilitation und Hämatoonkologie, gilt weiterhin ein uneingeschränktes Besuchsverbot“, berichtet die stellvertretende Pressesprecherin Sophie Schlosser. „Das heißt, in diesen Bereichen kann weiterhin kein Besuch empfangen werden.“
3. Tipp: Andere Mitarbeiter nehmen Pflegekräften die Formalitäten ab
Und da gerade die Pflege an sich unter Corona-Bedingungen schon kraftraubend genug ist, hält die München Klinik ebenso konsequent sämtlichen Zusatzaufwand in Verbindung mit den neuen Lockerungen von den Pflegekräften fern. Während der Besuchszeiten werden sämtliche Formalitäten vom Gesundheits-Check über die Aufnahme der Personalien bis hin zur Maskenausgabe und Einweisung in die Hygieneregeln bereits am Eingang durchgeführt, sodass das Klinikpersonal auf den Stationen nicht in diese Maßnahmen eingebunden werden muss.
4. Tipp: Tablets für Video-Telefonate zur Verfügung stellen
Die Besucher müssen die Vorgaben eigenverantwortlich einhalten und die Klinik nach Ablauf der Besuchszeit selbstständig verlassen. Aushänge und Informationsblätter sind in der Klinik auf allen Stationen für die Besucher zugänglich, um die Verhaltensregeln zu verdeutlichen. Um Angehörigen und Patienten den Kontakt auch ohne persönliche Besuche zu erleichtern, übernimmt die München Klinik aktuell für Patienten die Telefonkosten ins deutsche Festnetz und will perspektivisch auch Tablets für Video-Telefonate zur Verfügung stellen.
5. Tipp: Security-Personal an Eingängen postieren
Mit Beginn des Besuchsverbots Mitte März hatte die München Klinik an allen Standorten bereits Sicherheitspersonal eingesetzt an den Klinikeingängen. Die Security-Mitarbeiter bleiben im Einsatz, um das Besuchsverbot außerhalb der Besuchszeiten sicherzustellen. Angehörige können bei ihnen aber auch persönliche Gegenstände für ihre Lieben abgeben. Freiwillige Helfer oder Servicekräfte bringen sie dann auf Station zu den Patienten. So wirken die Scurity-Männer in ihrer dunklen Kluft am Ende auch deeskalierend.
Autor: Michael Handwerk