Wir sprachen mit dem Berater und Coach Birger Schlürmann über Beschwerdemanagement und Krisenkommunikation. Von ihm ist im Schlütersche Verlag unter anderem Was die PDL wirklich braucht, Personalgewinnung für die ambulante Pflege und BWL für die PDL erschienen.
pflegen-online: Herr Schlürmann, was sind typische Krisen, die auf Heime und ambulante Pflegedienste zukommen können? Worauf sollten sie vorbereitet sein, um bei der Kommunikation nach außen und innen sofort handeln zu können?
Birger Schlürmann: Typische Krisen sind Meldungen zu Pflegeschäden, Diebstahl, Gewalt, nicht durchgeführten Einsätzen oder zu einer falschen Abrechnung mit den Kostenträgern. Letzteres kann beispielsweise vorkommen, wenn ein Patient oder Klient für zwei Wochen ins Krankenhaus geht und die Pflegeleistung dennoch weiter in Rechnung gestellt wird. Darüber hinaus gibt es aber eben auch die Situation, dass Angehörige anrufen und sich etwa über Pflegefehler beschweren – und dann wird es oft hochemotional.
Hochemotional – und umso schwieriger gerade für kleine Unternehmen ohne eigene Kommunikationsabteilung? Was raten sie ihnen, um eine Eskalation zu vermeiden?
Nehmen wir den Fall, dass ein Angehöriger bei einem ambulanten Dienst anruft und einer Pflegekraft an den Kopf wirft: „Meine Mutter hat einen Dekubitus, ihr seid schuld, das gebe ich jetzt an die BILD-Zeitung.“ So aufgeregt der andere auch ist, so wichtig ist es umgekehrt, selbst die Ruhe zu bewahren. Und grundsätzlich gilt: Solche Anrufe müssen immer an die Pflegedienstleitung oder die Geschäftsführung weitergeleitet werden.
Und wie sollte der oder die Verantwortliche dann konkret reagieren?
Als Pflegedienstleitung oder Geschäftsführung sollten Sie sich im Gespräch zunächst einmal für die Rückmeldung bedanken – aufrichtig und frei von jeglicher Ironie. Bitten Sie im nächsten Schritt um eine exakte Schilderung dessen, was der Anrufer Ihnen vorwirft. Machen Sie sich Notizen, beispielsweise: „Die Mutter hat einen Dekubitus. Es kommen ständig wechselnde Pflegekräfte, und außerdem erscheinen sie auch noch immer zu spät.“ Sichern Sie dem Anrufenden zu, dass Sie sich umgehend um den Fall kümmern und sich binnen 24 Stunden zurückmelden. Fragen Sie hierfür nach einem entsprechenden Telefontermin.
Das heißt, den Menschen immer erst einmal mit seinem Anliegen ernst zu nehmen – weil in diesem Moment ja auch noch nicht klar ist, ob die Vorwürfe berechtigt sind?
Richtig. Sie sollten sich erst einmal Zeit verschaffen. Denn mit den Informationen, die Sie erhalten haben, müssen Sie dann in die interne Klärung gehen. Veranlassen Sie dazu sofort eine Dienstbesprechung und bringen Sie die Vorwürfe auf den Tisch – damit Sie die einzelnen Punkte objektivieren können.
Um beim genannten Fall zu bleiben: Fragen Sie Ihr Team, ob der Dekubitus bekannt ist, ob zum Beispiel der Arzt informiert oder ein Wundmanager eingesetzt wurde – und was Ihre Mitarbeiter hierzu dokumentiert haben.
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Hinsichtlich der weiteren Beschwerden schauen Sie sich den Tourenplan an. Vielleicht stellen Sie dabei fest, dass im vergangenen Monat tatsächlich sieben verschiedene Pflegekräfte beim Klienten waren, gleichzeitig aber zwei Krankmeldungen vorliegen und es sich nicht anders organisieren ließ. Schließlich sind Sie ja verpflichtet, die Versorgung sicherzustellen. Der Tourenplan zeigt Ihnen zudem, ob jemand zu spät kam – so können Sie entweder auch diesen Vorwurf entkräften oder aber nach dem Grund suchen.
Beruhigen, objektivieren, eine persönliche Rückmeldung geben – solange die Vorwürfe sachlich widerlegt werden können, sollte sich eine Eskalation mit diesen drei Schritten abwenden lassen?
Ja, das Entscheidende ist hier, eine gute Beziehungsebene zu schaffen. Im dritten Schritt, im Folgegespräch melden Sie beispielsweise den Angehörigen zurück, dass Sie sich um den Fall gekümmert haben und erklären ihnen, zu welchen Ergebnissen Sie intern gekommen sind. Als Pflegedienst könnten Sie auch ein persönliches Gespräch vor Ort anbieten, eine Unterhaltung in aller Ruhe – die Möglichkeit, einfach mal zu sehen, wie Sie arbeiten, wie die Atmosphäre bei Ihnen ist.
Interview: lin
Zusammengefasst: Beschwerden managen – 11 Tipps
- Ruhe bewahren
- Anruf an die Pflegedienstleitung oder Geschäftsführung weiterleiten
- für die Rückmeldung (Beschwerde) bedanken
- um eine exakte Schilderung der Beschwerde bitten
- präzise mitschreiben
- Rückruf innerhalb von 24 Stunden zusichern und um Telefontermin bitten
- sofort eine Dienstbesprechung anberaumen, um die Vorwürfe Schritt für Schritt zu klären
- prüfen ob die strittigen Punkte in die Dokumentation Eingang gefunden haben
- eventuell Tourenplan genau anschauen
- schildern Sie dem Angehörigen, zu welchem Ergebnis Sie intern gekommen sind
- wenn es passt: ein persönliches Gespräch vor Ort anbieten
Was tun, wenn eine echte Krise eintritt?
Lesen Sie im 2. Teil des Interviews ab Dienstag, 1. November, was Birger Schlürmann im Falle eines schweren, folgenreichen Fehlers rät.
Über Birger Schlürmann
Der examinierte Altenpfleger arbeitet seit 30 Jahren in der Altenpflege bis hin zum Geschäftsführer schon jeden Job in der Branche übernommen. Heute ist der 50-Jährige als Coach für Leitungskräfte in der Pflege tätig sowie in der Unternehmensberatung mit Schwerpunkt auf den Themen Führung, Wirtschaftlichkeit, Personal- und Qualitätsmanagement.