Wenn Mitarbeiter über längere Zeit ausfallen, sind sie oft nicht sofort wieder voll einsatzbereit. Arbeitgeber sind deshalb verpflichtet, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) einzuleiten. Was dabei beachtet werden muss und welche Pflichten Betrieb und Mitarbeiter haben, erklärt Trixi Hoferichter, auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwältin.
Wann kommt es zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement?
„Der Arbeitgeber muss ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) einleiten, wenn ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres entweder länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen ist“, erläutert Hoferichter. So regelt es das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX). Die Einleitung eines BEM kann also sowohl bei langzeiterkrankten Mitarbeitern notwendig werden, als auch bei häufig kurz Erkrankten. Wichtig: „Die Jahresfrist bezieht sich dabei nicht auf das Kalenderjahr, sondern auf einen Zeitraum von zwölf Monaten ab der erstmaligen Arbeitsunfähigkeit“, so die Anwältin.
Darf der Arbeitgeber ein BEM ablehnen?
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„Nein“, sagt Hoferichter. Das Sozialgesetzbuch verpflichte alle Arbeitgeber ohne Ausnahme zu einem BEM , wenn die Voraussetzungen vorliegen. Die Unternehmensgröße oder die Branche spielen dabei keine Rolle. „Auch kleine Betriebe unterfallen daher der Verpflichtung zur Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements“, sagt die Anwältin.
Muss der Mitarbeiter das BEM akzeptieren?
Anders als der Arbeitgeber darf ein erkrankter Mitarbeiter ein BEM ablehnen. „Der Arbeitnehmer muss seine Ablehnung nicht näher begründen“, so Hoferichter. Allerdings geht sie nicht davon aus, dass das in der Praxis häufig geschieht: „Der Arbeitnehmer könnte den Eindruck erwecken, dass er nicht am dauerhaften Erhalt seines Arbeitsplatzes interessiert ist.“ Gegen den Willen des betroffenen Arbeitnehmers darf der Arbeitgeber allerdings kein BEM-Verfahren einleiten.
Kann ein Mitarbeiter das BEM einklagen?
Hier wird es kompliziert. Bislang war es umstritten, ob ein Arbeitnehmer ein einklagbares Recht auf ein BEM hat. Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) darüber entschieden – und dieses Recht verneint. Nach Ansicht des BAG trifft nämlich die Verpflichtung ausschließlich den Arbeitgeber. Dem erkrankten Arbeitnehmer stehe deshalb gerade kein individueller Anspruch zu.
„Dies begründen die Richter und Richterinnen vor allem mit der Regelung in § 167 Absatz 2 Satz 8 SGB IX. Sie räumt nur den Interessensvertretungen wie Betriebsrat, Personalrat oder Schwerbehindertenvertretung durchsetzungsfähige Ansprüche ein, nicht jedoch dem einzelnen Arbeitnehmer“, erläutert Hoferichter. „Für die Praxis bedeutet das BAG-Urteil, dass eine Klage eines Arbeitnehmers auf Einleitung und Durchführung eines BEM keinerlei Erfolgsaussichten hätte.“
Welche Folgen hätte es für den Arbeitgeber, wenn er kein BEM anbietet?
Trotzdem sollten Arbeitgeber eine Wiedereingliederung nicht ignorieren, betont die Anwältin. Das Verweigern habe Konsequenzen für die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.
„Die Durchführung eines BEM stellt ein ,milderes Mittel‘ gegenüber einer Kündigung dar“, sagt Hoferichter. „Und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet es, dass der Arbeitgeber vor einer Kündigung mildere Mittel ausschöpfen muss.“
Zudem sei ein BEM gerade in Zeiten des Fachkräftemangels dringend zu empfehlen, um Mitarbeiter im Betrieb zu halten. „Der Erhalt der Arbeitsfähigkeit von erfahrenen Mitarbeitern sollte in den allermeisten Fällen auch im Interesse des Arbeitgebers liegen“, sagt Hoferichter.
Wie läuft das BEM ab?
„Grundsätzlich erlaubt das Gesetz eine gewisse Flexibilität, um möglichst erfolgsversprechende Maßnahmen für den jeweiligen Einzelfall zu finden“, sagt Hoferichter. Deshalb müsse sich der Arbeitgeber sowohl mit dem Betroffenen wie auch mit den Interessensvertretungen wie Betriebsrat oder Schwerbehindertenvertretung abstimmen. Auch diese Verpflichtung sei gesetzlich geregelt.
„Ausgehend von diesen Beratungen können dann individuell passende Maßnahmen ergriffen werden, wie etwa eine stundenweise Wiedereingliederung in den Betrieb oder Änderungen an der Arbeitsumgebung“, sagt die Anwältin.
Was muss der Arbeitgeber formal beachten?
Auf den Arbeitgeber kommen verschiedene Verpflichtungen zu. „Zunächst ist es wichtig, den betroffenen Arbeitnehmer in einem Aufklärungsanschreiben auf die Ziele des BEM hinzuweisen und aufzulisten, welche personenbezogenen Daten dabei verarbeitet werden“, betonte Hoferichter. Ziel eines BEM sei immer, den Arbeitsplatz zu erhalten, indem eine bestehende Arbeitsunfähigkeit überwunden oder einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werde.
Was ist, wenn dem Betrieb Fehler unterlaufen?
Bei der Frage gibt die Anwältin Entwarnung: „Wenn es bei der Durchführung eines BEM zu Fehlern kommen sollte, drohen dem Arbeitgeber keine Geldbußen oder andere Strafen.“ Allerdings liege eine ordnungsgemäße Durchführung des BEM im Interesse des Arbeitgebers. „Gerade in Kleinbetrieben mit einer „dünnen Personaldecke“ können lange oder wiederholte Arbeitsausfälle zu Problemen führen.“
Text: Katharina Wolf
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Dieser Artikel erschien zuerst auf handwerk.com