Die aktuelle Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aus dem April dieses Jahres belegte es einmal mehr: Pflegekräfte leiden wie keine andere Berufsgruppe unter berufsbedingten Dermatosen. Bei 12,3 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen werden dieser Studie nach pro Jahr berufsbedingte Dermatosen diagnostiziert. In absoluten Zahlen sind dies rund 12.000 Pflegekräfte, die aufgrund dieser Erkrankungen ihren Beruf zumindest nur eingeschränkt ausüben können.
Nur 69 Dermatosen galten 2019 als Berufskrankheit
Merkwürdig, dass sich dies in den Statistiken kaum niederschlägt. So listet die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) für das Jahr 2019 gerade einmal rund 3.500 gemeldete Fälle beruflich bedingter Dermatosen bei Pflegekräften auf, von denen nur 69 Fälle als Berufskrankheit anerkannt wurden.
Bisher gab es einen „Unterlassungszwang“
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Die Erklärung: Bis Anfang 2021 galt für Pflegekräfte, die an einer berufsbedingten Dermatose erkrankten, der sogenannte „Unterlassungszwang“. Diese Diagnose führte im Extremfall zur zwangsweisen Berufsaufgabe – ohne, dass Betroffene auf Ausgleichsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zurückgreifen zu konnten. Nicht nur Rentenleistungen, auch Heilbehandlungs- und Reha-Leistungen sowie präventiv-medizinische Leistungen waren im Prinzip ausgeschlossen.
Der „Unterlassungszwang“ ist jetzt gestrichen
Nun trat am 1. Januar 2021 eine Änderung des Berufskrankheitenrechts in Kraft: Jetzt ist der „Unterlassungszwang“ aus dem Sozialgesetzbuch gestrichen. Das heißt, eine Pflegekraft darf weiter in ihrem Beruf arbeiten, auch wenn die Dermatose als Berufskrankheit anerkannt ist. Die Unfallversicherungsträger müssen außerdem von sich aus alle Fälle erneut überprüfen, in denen eine Krankheit zwischen 1997 und 2020 allein deshalb nicht als Berufskrankheit anerkannt wurde, weil die betroffenen Pflegekräfte ihre Tätigkeit nicht unterlassen haben.
Bessere Angebote für Pflegekräfte
Das hat für Pflegekräfte große Vorteile: Die BGW und die Unfallkassen müssen betroffene Pflegekräften künftig intensiver mit „qualifizierter Beratung und Angeboten zur Individualprävention“ unterstützen – auch, wie gesagt, wenn die Pflegekräfte weiterhin in ihrem Beruf arbeiten.
Die BGW: „Pflegekräfte, die an berufsbedingten Hauterkrankungen leiden, sind auch in der Vergangenheit schon intensiv von der gesetzlichen Unfallversicherung unterstützt wurden. Unserer Erfahrung nach lässt sich dadurch ein gesundheitlich erzwungener Ausstieg aus dem Beruf, der bis 2019 Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufsdermatose als Berufskrankheit war, bei Pflegekräften fast immer abwenden. Dieser Erfolg führte zu einer bislang relativ niedrigen Zahl von Anerkennungen als Berufskrankheit.“
Künftig werden wohl mehr Berufskrankheiten anerkannt
Und weiter: „Auch nach Wegfall des Unterlassungszwangs bleibt es unser Ziel, dass Versicherte ihre bisherige berufliche Tätigkeit weiter ausüben können. Da aufgrund der Gesetzesänderung nun auch bei Fortsetzung der hautgefährdenden Tätigkeit eine Anerkennung als Berufskrankheit möglich ist, wird die Zahl der Anerkennungen voraussichtlich steigen.“
Professor Dr. med. Peter Elsner, Direktor der Klinik für Hautkrankheiten am Universitätsklinikum Jena sieht in dem Wegfall des „Unterlassungszwangs“ einen großen Fortschritt: „Fu?r Beschäftigte steigt damit die Chance, dass ihre Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt wir – unabhängig davon, ob sie wegen der hautgefährdenden Tätigkeit den Job aufgeben oder ihre Tätigkeit fortsetzen.“ Und das wirke sich positiv auf alle notwendigen therapeutischen Maßnahmen bis hin zu möglichen Rentenanspru?chen aus, falls durch die Krankheit die Erwerbsfähigkeit gemindert wird, meint der Sprecher der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG).
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Ansprüche auf BGW-Rente könnten steigen
Das bedeutet: Pflegekräfte mit berufsbedingter Dermatose werden voraussichtlich mehr und höhere Entschädigungen oder Rentenzahlungen von der BGW (oder den Unfallkassen) erhalten. Schon bei einer um 20 Prozent geminderten Erwerbsfähigkeit haben Pflegekräfte Anspruch auf Berufsgenossenschaftsrente. Und: Die Rente wird auch dann gezahlt, wenn die Pflegekraft ihren Beruf weiterhin voll ausübt.
Wird die Zahl der Entschädigungen um Faktor 20 steigen?
Professor Christoph Skudlek vom Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation an der Universität Osnabrück. geht davon aus, dass sich die Zahl der Entschädigungen – darunter auch vermehrt Rentenzahlungen – mit „Faktor 20“ explodieren könnten: „In Zukunft könnten bis zu 10.000 Pflegekräfte pro Jahr als Geschädigte anerkannt werden.“ Das würde sich dann auf die Versicherungsbeiträge der Altenpflege- und Krankenhausträger auswirken. Zu befürchten sind Beitragserhöhungen, auch wenn sich die BGW auch hier sehr vorsichtig äußert und diese Frage „aktuell noch nicht zuverlässig beantworten“ kann. „Es existieren noch nicht genügend Daten, um eine zuverlässige Aussage zur Gesamthöhe der Entschädigungsleistungen in der Zukunft zu treffen“, heißt es in der Zentrale in Hamburg auf Anfrage.
BGW will in Individualprävention investieren
Zumindest ist man sich bei der BGW des Problems bewusst und setzt auf sein „erfolgreiches“ Hautschutzprogramm, um den Ausstieg aus dem Pflegeberuf abzuwenden. Denn „wenn Versicherte trotz allem ihre bisherige Tätigkeit aufgegeben müssen, hat die BGW für die berufliche Neuorientierung kostenaufwendige Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu tragen“. Die vergleichsweise geringen Kosten für Maßnahmen der Individualprävention seien „insoweit gut investiert und lohnen sich auch mit Blick auf die Beiträge zur Berufsgenossenschaft“.
Autor: Hans-Georg Sausse
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