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Pflege und Politik

Bayern: Mogelpackung für die Pflege

Die neue „Vereinigung der Pflegenden in Bayern“ sei nur ein "Etikettenschwindel", eine "Mogelpackung" oder ein "staatliches Almosen". Die Pflegeverbände sparen nicht mit Kritik an der neuen Interessenvertretung.

Bayerns Pflegefachkräfte erhalten nun die umstrittene „Vereinigung der Pflegenden in Bayern“ als neue Interessenvertretung. Das vom bayerischen Landtag am 6. April beschlossene Gesetz stieß inzwischen auf Kritik von bayerischem Landespflegerat und Pflegeverbänden und erhielt Lob von privaten Arbeitgebern in der Altenhilfe.

„Die Vereinigung der Pflegenden wird die Interessen der Pflege in Bayern wirkungsvoll vertreten“, zeigte sich Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml (CSU) in der Landtagsdebatte überzeugt. Viele Argumente sprächen für den bayerischen Weg, Pflegeinteressen zu vertreten. Die neue staatlich finanzierte Körperschaft öffentlichen Rechts werde

  • bei allen Gesetzes- und Verordnungsvorhaben der Staatsregierung im Pflegebereich angehört und eingebunden,
  • die Qualität in der Pflege weiterentwickeln,
  • Fort- und Weiterbildungen fördern und ausbauen,
  • Mitglieder beraten und fortbilden,
  • ihre Organisation und ihren Haushalt selbst verwalten und
  • Zuständigkeiten im Bereich der Berufsaufsicht erhalten.

Freiwillig und kostenlos können Pflegefachkräfte, aber auch Arbeitgeber der „Vereinigung der Pflegenden in Bayern“ beitreten. Dadurch unterscheidet sie sich grundsätzlich von einer Pflegekammer mit Pflichtmitgliedschaft und -beiträgen ausschließlich für alle beruflichen Pflegenden wie in Rheinland-Pfalz. Allerdings dürfen Arbeitgeber in der bayerischen Vereinigung laut dem Gesetz, das am 1. Mai in Kraft tritt, nicht dem Vorstand, der Mitglieder- und der Delegiertenversammlung angehören, sondern nur dem beratenden Beirat.

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Pflegekammer "light"

„Mit diesem Konzept nutzen wir die wesentlichen Vorteile einer klassischen Kammer, ohne gleichzeitig die Pflegekräfte mit Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbeiträgen zu belasten“, sagte die Gesundheits- und Pflegeministerin. Zur Begründung verwies Huml erneut auf jene Umfrage unter beruflich Pflegenden von 2013, bei der sich nur Minderheiten für Pflichtmitgliedschaften und -beiträge und nur 50 Prozent für eine Pflegekammer im Freistaat ausgesprochen hatten.

Für die neue Körperschaft wird bis Herbst 2017 ein Gründungsausschuss berufen, der einen ersten Vorstand wählen und die vorläufige Hauptsatzung erarbeiten und beschließen wird. In Bayern gibt es rund 135 000 Pflegefachkräfte mit dreijähriger Ausbildung, während Pflegende mit anderen Ausbildungen nicht erfasst sind.

BLPR: Pflegende bleiben fremdbestimmt

Die Reaktionen auf den Landtagsbeschluss folgten auf dem Fuße: „Das jetzt beschlossene Gesetz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Konstrukt wesentliche Forderungen der professionellen Pflege nicht erfüllen wird“, kritisierte Generaloberin Edith Dürr, Vorsitzende des Bayerischen Landespflegerates (BLPR). Hier die wichtigsten Argumente des BLPR, der seit Langem eine Pflegekammer im Freistaat fordert:

  • Die staatliche Finanzierung der neuen Vereinigung belaste die Steuerzahler unnötig und mache ihr Handeln abhängig von Kassenlage und Regierungswillen statt zur Selbstbestimmung aller Pflegenden zu führen.
  • Auch Arbeitgeber, also Fachfremde, seien als Mitglieder zugelassen, obwohl eine Berufsvertretung für Pflegepersonen entstehen sollte.
  • Die Vereinigung setze Fremdbestimmung der Profession Pflege fort, erfasse nicht die gesamte Berufsgruppe und sei damit nicht von allen Fachkräften legitimiert.
  • Keine Aussichten habe die Vereinigung, einer möglichen Bundespflegekammer beizutreten und dränge Bayerns Fachkräfte damit auf Bundesebene „deutlich ins Abseits“.
  • Eine selbstständige Berufsaufsicht könne die Neugründung nicht werden, da sie nur freiwillige Mitglieder vereint.

DbfK kämpft weiter für eine "echte" Kammer

Als „großes Manko“ sah es der DBfK Südost an, dass die Interessensvertretung auf freiwilliger Basis nicht im Heilberufekammergesetz für Bayern verankert werde. Geschäftsführerin Dr. Marliese Biederbeck: „Damit ist die Profession Pflege nicht in der Lage, ihre Belange als gleichwertiger Partner im Gesundheitswesen zu verhandeln.“ Obwohl die Weichen gestellt sind, werde sich der DBfK weiter für die Kammer als wirkungsvollste Standesvertretung einsetzen: „Wir kämpfen weiter für eine echte Interessensvertretung, bei der die Pflege den Hut aufhat“.

DPR: "Etikettenschwindel"

Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates (DPR): „Die Vereinigung der Pflegenden in Bayern ist und bleibt eine Mogelpackung und soll den Pflegefachpersonen gegen ihren Willen übergestülpt werden. Als loser Interessenverbund kann sie nicht die einer starken Pflegekammer zugeschriebenen Aufgaben erfüllen." Der bayerische Landtag habe es jetzt leider verpasst, den professionell Pflegenden eine tatsächlich starke Stimme zu geben. "Mehr Wertschätzung" sieht laut Westerfell "anders aus". Der Vereinigung fehle es an der notwendigen Unabhängigkeit, da sie aus dem Staatshaushalt finanziert werde. Damit unterliege sie einem Haushaltsvorbehalt.

Pflegekammer Niedersachsen

Katrin Havers, die Vorsitzende des Errichtungsausschusses für die Pflegekammer Niedersachsen:

„Mit der Errichtung der ´Vereinigung der Pflegenden´ wird in Bayern ein Weg eingeschlagen, der aus meiner Sicht die Weiterentwicklung und die Stärkung der Profession Pflege bremst. Die Struktur und die Rechtsform der Berufskammern erhöht das Durchsetzungsvermögen der Pflegenden in der Gesundheitspolitik und gegenüber weiteren Akteuren im Gesundheitswesen. Im Hinblick auf die aktuellen soziodemografischen und gesundheitspolitischen Entwicklungen ist es erstrebenswert, dass Pflege und pflegerisches Handeln aus dem eigenen Berufsstand heraus definiert werden. Die Profession Pflege muss in Gestaltungs-, Entscheidungs- und Veränderungsprozesse mit einbezogen werden. Die Errichtung von Pflegekammern in Deutschland verschafft der Berufsgruppe erstmalig eine einflussreiche Stimme. Sie kann in den wichtigen Gremien mit agieren und entscheiden. Mit der Form der freiwilligen Interessenvertretung, wie sie vom Bayerischen Landtag beschlossen wurde, wird den Pflegenden die unverzichtbare Grundlage genommen, im Gesundheitswesen als gleichwertiger Partner anerkannt zu werden.“

Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein

Frank Vilsmeier, Vize-Vorsitzender der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein, sagt: „Diese Vereinigung folgt offensichtlich den Interessen berufsfremder Akteure, wenn die Handlungsfähigkeit nach Kassenlage des Staatshaushalts bestimmt wird, wesentliche Inhalte von einem zu gleichen Teilen mit Arbeitgebern und Pflegenden besetzten Beirat beeinflusst werden und der Vorsitz des Beirates als Zünglein an der Waage vom Ministerium eingesetzt wird.

Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit sieht anders aus. Klar ist, diese Vereinigung ist nicht legitimiert, für alle beruflich Pflegenden in Bayern zu wirken. Sie wird daher in einer Bundespflegekammer keine Rolle spielen.”

Pflegekammer Rheinland-Pfalz

„Die neue Vereinigung in Bayern bewerte ich Schlag ins Gesicht für alle diejenigen, die sich für eine starke, unabhängige Selbstverwaltung in der Pflege eingesetzt haben und als deutliche Abfuhr für die Pflegenden vor Ort", äußert sich Dr. Markus Mai, Präsident der Pflegekammer Rheinland-Pfalz. und 'Weiter: "Sie ist eine Einrichtung, bei der durch staatliche Almosen die Abhängigkeit und der Spielraum der politischen Interessenvertretung von Pflege in Bayern weiter zementiert wird. Viele Landtagsabgeordnete sind zum Schaden der professionellen Pflege vor privaten Arbeitgeberverbänden eingeknickt und haben diesen Wolpertinger zugelassen."

bpa: „Wegweisende Möglichkeit“

Dagegen würdigten ausgewiesene Kammer-Gegner wie die Altenhilfe-Arbeitgeber im Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) in Bayern die neue Vertretung. Landesvorsitzender Kai A. Kasri: „Wir begrüßen das Landtagsvotum für eine starke Interessenvertretung der Pflegekräfte. Statt auf Zwang setzt Bayern auf überzeugenden Gestaltungswillen“. Nun liege es an den Pflegekräften, diese „wegweisende Möglichkeit“ offensiv zu nutzen.

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